Nutzerunabhängige wärmetechnische Faktoren
Die ARGE Bochum versendet nach Eingang eines Widerspruchs gegen eine Kürzung der Heizkostenerstattung eine Anfrage, „welche äußeren und nicht zu beeinflussenden Faktoren einen erhöhten Heizbedarf begründen“.
Bei Einzelheizungen (z.B. Gas-Etagenheizung oder Nachtspeicher) wird dabei Bezug genommen auf die Richtlinie 2067 des Vereins Dt. Ingenieure. Die VDI 2067 ist aber keine Auslegungsrichtlinie. Sie soll vielmehr helfen, bereits in einer sehr frühen Planungsphase (Konzeptionsphase) eine Entscheidung zwischen verschiedenen Varianten für eine definierte Nutzung fällen zu können. Diese Richtlinie berücksichtigt bereits, dass nicht alle Zimmer einer Wohnung gleich beheizt werden. Als „Pi mal Daumen“ – Formel kommen dabei heraus 70 % des Wertes, der sich bei einer Vollheizung aller Räume ergeben würde. Es entbehrt aller Logik, wenn die ARGE davon dann nochmals 30 Prozent wegen nicht zu beheizender Flächen abziehen will.
Bei Sammelheizungen soll nicht mehr erstattet werden, als dem Durchschnitt der Wohnanlage entspricht. Ein „durchschnittliches“ Heizen gibt es aber nicht – der/die Eine heizt selten oder gar nicht, Nachbar oder Nachbarin normal, der Durchschnitt soll dann 50 Prozent sein? Heizungstechnisch wie rechtlich ist das Unsinn.
Heizungsbedarf in aller Regel nicht erhöht
Zunächst ist festzustellen, dass der Heizungsbedarf in aller Regel nicht erhöht ist, sondern angemessen. Das gilt auch dann, wenn die Heizkosten hoch erscheinen mögen: unser Heizverhalten hat sich nicht geändert, aber die Heizkosten sind in den letzten Jahren enorm gestiegen; wir kennen sicher so MancheN, der/die noch viel höhere Heizkosten hat als wir. Ein unwirtschaftliches Heizverhalten („zum Fenster hinaus heizen“) wird in aller Regel nicht vorkommen.
Aber Vorsicht: wenn die Heizkosten sehr ins uferlose wachsen (beispielsweise im Jahresdurchschnitt zwei Euro/qm monatlichen Abschlag deutlich überschreiten), könnte die ARGE uns ggf. auffordern, sich eine heizkostengünstigere Wohnung zu suchen. Ob die aber zu finden wäre? Wir sollten dann aber vielleicht mit dem Vermieter/ der Vermieterin sprechen und/oder eine Heizkostenberatung des Mieterbundes oder der Stadtwerke in Anspruch nehmen. Trotzdem wären auch ungünstige sehr hohe Heizkosten in aller Regel nicht uns anzulasten, die ARGE MUSS diese Kosten übernehmen und sich ggf. selbst um eine sachverständige Abklärung möglicher Ursachen bemühen – eine In-Augenscheinnahme („Hausbesuch“) durch den „Bedarfsermittlungsdienst“ der ARGE ist da sicherlich ungeeignet.
Die Angemessenheit der individuellen Heizkosten hängt von einer Vielzahl von besonderen Faktoren ab, die in der jeweiligen Variante bei ALLEN Betroffenen vorliegen. Diese Faktoren können wir selbst nicht beeinflussen, und wir verfügen auch nicht über die Möglichkeit, ihre Bedeutung einzuschätzen. Das können nur zugelassene Bausachverständige oder Heizungssachverständige und GebäudeenergieberaterInnen. Wir brauchen nur einige ganz allgemeine Tatbestände aufzulisten, beurteilen, ob sie von Bedeutung sind, können wir nicht.
Falls wir eine solche Anfrage der ARGE erhalten, sollten wir das oben Dargestellte durchdenken, Beratung nutzen, und dann eine Liste nach folgender Übersicht zurückschicken. Diese Übersicht ist zusammengestellt nach Unterlagen des Dt. Mieterbundes, des Fraunhofer-Institutes, des VDI, Fa. MINOL, klimatologischer Untersuchungen, etlicher Sozialgerichtsentscheidungen, sozialrechtlicher und ingenieurswissenschaftlicher Kommentare und weiterer Quellen.
Nutzerunabhängige wärmetechnische Faktoren
I. Meteorologie, Klimatologie, Geografie, Stadtklima
Der Heizungsbedarf ist selbstverständlich abhängig von der geografischen Lage (Norden-Süden-Osten-Westen, Windrichtung, Luftfeuchtigkeit …), aber auch von der Lage des Ortes in der Landschaft (Höhe oder Senke ,…), der Windführung darin, aber sogar auch davon, dass diese Faktoren innerhalb eines Ortes variieren können. Auch hat jedes Jahr und jeder Ort/ Ortsteil eigene unterschiedliche klimatische Bedingungen, Witterungen, Wetterlagen und Grosswetterlagen. Dazu kommen meteorologische Einflüsse (lange oder kurze, kalte oder milde Winter, „gefühlte“ Temperatur und objektive Temperatur) – die Zahl der Heiztage in der Heizperiode und die absoluten Außentemperaturen. Auch die Lage ist wichtig: liegt das Haus eher alleine oder ist es eng umgeben von anderen Häusern?
II. Die bauliche Situation
Besonders wichtig ist das Alter des Hauses: 80 % der Wohneinheiten wurden in Deutschland vor 1982 errichtet wurden, für diese Wohngebäude war zum Zeitpunkt der Errichtung KEIN Mindest-Wärmeschutz gesetzlich vorgeschrieben. Für diese Wohneinheiten ist ein relativ hoher Wärmebedarf /Energieverbrauch (im Vergleich zu heutigen Häusern mit guter Wärmedämmung) völlig normal und angemessen.
Weiterhin sind wichtig:
Lage und Beschaffenheit der Wohnung innerhalb des Hauses (was liegt darüber – darunter – ringsum?) und Bauzustand der Wohnung, Geschosshöhe (Höhe der Räume), Zustand / Isolierung von Türen und Fenstern, Wärmeisolierung (falls überhaupt vorhanden – Stand der Technik nach Baujahr), der Wohnfläche des Hauses (je größer, desto geringere Heizkosten), sind Keller, Dachboden, Treppenhaus isoliert oder zumindest gegen Luftzug abgedichtet? Gibt es andere Wärmeverlustquellen? Sogar Art und Umfang der Möblierung und des Fussbodens wirkt sich aus. Auch die Grösse der Räume und die Aufteilung der Wohnfläche auf die Räume.
Stichwort: Wetterseite
In einem Mehrfamilienhaus gibt es innen- und außenliegende Wohnungen mit jeweils unterschiedlichem Heizbedarf. Die innenliegende Wohnung hat wärmetechnisch gesehen am meisten Vorteile, weil die umliegenden Wohnungen sie vor Kälte schützen. Die außenliegenden Wohnungen haben dagegen einen höheren Heizbedarf, weil sie von mehr kalten Außenwänden umgeben sind. Den höchsten Heizbedarf haben Wohnungen im obersten Geschoss mit Randlage. In diesen Wohnungen kann der Heizbedarf um 47 % höher sein, als in einer flächenmäßig gleich großen, innenliegenden Wohnung. Die Wohnlage hat also eine erhebliche Bedeutung für die Höhe Ihrer Heizkostenabrechnung. Diesen Umstand können wir jedoch durch unser eigenes Heizverhalten nicht beeinflussen.
Transmissionswärme
Oft wird verkannt, dass auch das Heizverhalten der Nachbarn einen erheblichen Einfluss auf die eigenen Heizkosten haben kann. Man nennt diesen Aspekt Transmissionswärme oder Wärmeklau. Untersuchungen ergaben, dass dieser Wärmeklau eine Größenordnung von bis zu 40 % Mehrbedarf an Heizenergie bedeuten kann. Der Extremwert wird erreicht, wenn eine ständig beheizte Wohnung an allen Seiten von weniger beheizten Wohnungen umgeben ist.
Das ist schon dann der Fall, wenn Berufstätige ihre Wohnungen während der Arbeitszeit nicht beheizen, eine andere, dazwischen liegende Wohnung aber beheizt wird. Auch das ist kaum zu ändern, wird aber bei Sammelheizungen durch die Abrechnung mit Grund- und Verbrauchskosten wenigstens in seiner Auswirkung gemindert.
III. Die Heizungsanlage
Wichtig sind der Wirkungsgrad der Heizung und ihrer Wartung, ihr Alter und allgemeiner Zustand, der Jahresnutzungsgrad, die Art der Energiequelle, die Länge, Führung und Isolation der Heizungsrohre in der Wohnung und der thermische Ausnutzungsgrad von in den Wohnungen installierten Heizkörpern. Viele Betroffene haben eine alte, energieuneffiziente Heizungsanlage, eine neue bessere können sie sich nicht leisten. Stromheizungen sind superteuer.
Wissenschaftliche Untersuchungen haben ergeben, dass Unterschiede im Wärmeverbrauch innerhalb einer Wohnanlage bis zum 7,5fachen möglich und hauptsächlich auf die hier beschriebenen Ursachen zurückzuführen sind. Diese doch erheblichen Unterschiede sind übrigens nicht nur von Messdienstunternehmen festgestellt worden, sondern auch wissenschaftlich belegt.
IV. Die Preise
Die Energiepreise sind ja in den letzten Jahren enorm gestiegen. Die Preise des Versorgungsunternehmens noch mehr. Das ist z. T. sehr kurzfristigen Schwankungen unterlegen. Ob die ARGE über eine magische Kristallkugel verfügt, in der sie die Preisentwicklungen ablesen kann?
Subjektive Faktoren – nicht beeinflussbar!
Auch diese Faktoren sind von uns nicht beeinflusbar. Oder können wir etwa unsere „Lebensuhr“ zurückdrehen und uns um Jahre jünger machen? Oder wollen wir unsere (Klein-) Kinder abschaffen, nur damit unser Heizenergieverbrauch den ARGE-Vorgaben entspricht?
Die Heizkosten hängen auch ab vom Alter oder dem Gesundheitszustand (Behinderung), von Anzahl und Lebenssituation der Personen in der Wohnung, außerdem vom völlig unterschiedlichen subjektiven Temperaturempfinden und objektivem Wärmebedarf ab. Der wissenschaftliche Fachbegriff dazu heisst „Konstitution“. Damit werden wir schon geboren. Auch das hat Einfluss auf das gewünschte Heizverhalten (Zimmertemperatur, Lüftungsverhalten usw.).
Auch wenn die Temperatur eine physikalisch feststehende Größe zu sein scheint, ist das Temperaturempfinden der Menschen doch subjektiv und von vielen Faktoren – sowohl physischer, wie auch psychischer Natur – abhängig. Jedem/jeder ist es schon passiert, dass er/sie sich mit mehreren Personen in einem Raum befindet und gleichzeitig ist es einem zu warm, dem andern aber zu kalt. 20 Grad Raumtemperatur empfinden Kinder und Jugendliche als angenehm, wogegen ältere Leute dabei eine Gänsehaut bekommen. Es ist eine Grundregel, dass Senioren es um drei bis fünf Grad wärmer brauchen als jüngere Menschen. Selbst psychische Faktoren spielen eine Rolle für das Temperaturempfinden. Einsame oder depressive Menschen können selbst eine wohlige Raumwärme von 23 Grad als kühl empfinden, wogegen geselliges Partytreiben die gleiche Raumtemperatur als unerträglich heiß erscheinen lässt. Das immer wieder angeführte Argument „Ich bin ganz allein in der Wohnung – da sind diese Heizkosten unmöglich“, ist deshalb nicht richtig und lässt eher den gegenteiligen Schluss zu.
Auch ist die Besonderheit zu berücksichtigen, das erwerbslose Hilfebedürftige eben aufgrund der Erwerbslosigkeit gezwungen sind, eine gegenüber dem Durchschnitt deutlich angehobene Zeitspanne in der Wohnung zu verbringen
VI. Schluss:
In dieser oder jener Variante sind die oben genannten Faktoren bei uns allen vorhanden. Ob und wie sie Einfluss haben auf die effektiven Heizkosten wissen wir nicht und können wir auch gar nicht einschätzen. Es genügt völlig, wenn wir der ARGE Hinweise geben auf diese Faktoren und sie dadurch darauf aufmerksam machen, dass auch alle Gerichte und die Bundesregierung selbst eine klare Einzelfallbetrachtung verlangen. Dazu bedarf es aber entsprechenden Sachverständigeneinsatzes. Wirtschaftlich ist das nur sinnvoll bei echten „Ausreissern“- und da sollte aus wirtschaftlichen und ökologischen Gründen auch nicht gezögert werden.
Stand: 2007-08-10