Montag 01.01.07, 00:00 Uhr

Meldungen von bo-alternativ.de zum Naziaufmarsch am 22.3.2003


23.02.03, 08.00 Uhr
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Ca. 1000 Menschen demonstrierten am Samstag allein vor dem Hauptbahnhof gegen den Nazi-Aufmarsch.
Eine Leserin von bo-alternativ hat ganz solidarisch einen ersten Erlebnisbericht über die Ereignisse am gestrigen Samstag geschickt.
Hier sind weitere Bilder zu den Demos.


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22.02.03, 23.30 Uhr

Bericht aus Langendreer:
Kriminalisierung und Spaltung haben nicht funktioniert
Etwa 1500 AntifaschistInnen haben Samstag Mittag in Bochum-Langendreer demonstriert und bewiesen, dass gegen Neo-Nazis immer noch die besten Mittel sind: Präsenz und möglichst direkter Widerstand der Bevölkerungsmehrheit.
Anders als die herrschende SPD und die Bochumer Polizei es gewünscht hatten, gab es neben der Mainstream-Kundgebung auf dem Husemanplatz noch zwei weitere, entscheidende Kundgebungen gegen den dritten Nazi-Aufmarsch innerhalb weniger Wochen. Zunächst um Fünf vor Zwölf die Kundgebung vor dem Hauptbahnhof, mit dem – erfolgreichen – Zweck der Blockierung des Ausgangs für anreisende Neo-Nazis, dann die Kundgebung und anschließende Demonstration durch Langendreer. All das hat dazu geführt, dass der dritte Anlauf der Neo-Nazis, in Bochum unbehelligt zu marschieren und Fuß zu fassen, im Gegensatz zu den beiden vorhergehenden, mehr oder weniger desaströs verlaufen ist. Am Ende konnten dann gegen 15.30 Uhr lediglich rund 120 Faschisten – polizeigeschützt – durch Werne marschieren. In einer Rede auf der Antifa-Kundgebung wurde unterstrichen:
„Die Polizei hatte den festen Willen, den Aufmarsch der Nazis zum dritten Mal innerhalb von zwei Monaten zu garantieren und schwer zu schützen vor angeblich gewaltbereiten DemonstrantInnen. Das wurde begründet mit ‚rechtsstaatlichen‘ Argumenten. Alternativen zur Genehmigung des Aufmarsches habe es angeblich nicht gegeben. Aber: die Neo-Nazis haben sich niemals an die Auflagen gehalten und haben verbotene faschistische Sprüche und Symbole in Anschlag gebracht, wie etwa: ‚Ruhm und Ehre der Waffen-SS‘, Hakenkreuze, A.H.-Symbole, etc.“
Für die OrganisatorInnen der Antifa-Demonstration war völlig klar: „Es scheint bei der Polizeiführung eher ein ideologisch-politisches Problem zu geben: AntifaschistInnen und Faschisten werden als ‚Radikale‘ auf die gleiche Stufe gestellt. ‚Gewaltbereitschaft‘ wird beiden gleichermaßen unterstellt. Entsprechend bedrohlich geht die Polizei gegen antifaschistische DemonstrantInnen vor.“ Gerade die Gegen-Demonstration in Langendreer war im Vorfeld kriminalisiert worden. Polizei, SPD-Stadtführung und WAZ hatten hier an einem Strang gezogen.
Am Ende des Samstags konnte jedoch festgehalten werden, dass Kriminalisierung und Spaltung nicht funktioniert haben. Es gab nicht die insbesondere vom Polizeipräsidenten halluzinierte „Gewalt“, aber es gab eine breite Beteiligung von allen Teilen der Bevölkerung an der Demonstration. Ein ehemaliges Vorstandsmitglied der Bochumer Grünen stellte fest: „Alle Linken in der Stadt gehen heute freundlich mit den Bochumer Grünen um. Ihnen wird an diesem Tag nicht vorgeworfen, dass sie gerade dabei sind, die Kranken- und Arbeitslosenversicherung sowie andere soziale Grundrechte wie Kündigungsschutz und gleicher Lohn für gleiche Arbeit wegzuschlagen. Wir freuen uns, dass die Grünen wenigstens in der Frage der antifaschistischen Gegenwehr noch PartnerInnen sind.“
Hätte die „Toleranz“-Strategie der Polizei sich durchgesetzt, dann hätten die Neo-Nazis zum dritten Mal und wahrscheinlich nicht zum letzten Mal problemlos ihren Aufmarsch gehabt und sie würden – wie inzwischen in anderen Städten üblich – zu jeder sich bietenden Gelegenheit durch die Stadt ziehen. Vor diesem Hintergrund, so Reinhard Wegener vom Bahnhof Langendreer, haben am Samstag viele AntifaschistInnen – weil letztlich Politik und Polizei ihren gesellschaftlichen Aufgaben nicht nachgekommen sind – sich zu entschlossenen Manövern gezwungen gesehen: „In dieser Situation müssen wir mit ganz vielen solidarischen Menschen deutlich machen, dass das demokratisch/historisch legitimierte Mittel der Sitzblockade auf dem S-Bahnhof Langendreer-West nicht kriminalisiert werden darf.“
Spätestens nach den Ereignissen dieses Wochenendes müssen, so Reinhard Wegener, ein paar Fragen neu gestellt werden: „Welche Rolle spielt der Polizeipräsident, welche Rolle spielt die Polizei insgesamt, und welche Rolle spielt die SPD dabei? Der primäre Eindruck ist: Eine solche Polizei, vor allem mit einer solchen Führung, wollen wir nicht. Wenn schon Gegen-Rufe als Beeinträchtigung des ‚Demonstrationsrechtes‘ der Nazis gewertet werden; wenn schon die Passage in einem Flugblatt Anlass zur Kriminalisierung gibt, in der es heißt: ‚zeigen Sie deutlich, dass Nazis hier unerwünscht sind‘, dann reicht es jetzt ganz einfach!
1. Ein Polizeipräsident, der meint, dass AntifaschistInnen ‚zusammen‘ mit Nazis verantwortlich waren für den Zusammenbruch der Weimarer Republik, hat nichts begriffen und ist eine Gefahr für die Bevölkerung.
2. Eine SPD, die antifaschistische und antikriegs-Lippenbekenntnisse abgibt, sie aber nicht so meint und entsprechend keine inhaltlich/materiellen Konsequenzen zieht, wird in zugespitzten Situationen Gegnerin von Demokratie und Frieden.
3. Der Rücktritt des Bochumer Polizeipräsidenten Wenner ist spätestens jetzt fällig!
4. Die von den BürgerInnen finanzierte Polizei, die sich als Staat im Staate geriert und die mit Besatzer-ähnlichen Strategien die demokratischen Rechte zur antifaschistischen Gegenwehr aushebelt, brauchen wir nicht!“


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22.02.03, 23.00 Uhr

Bericht von der Sitzblockade auf dem Bahnhof Langendreer-West:
Ziviler Ungehorsam, gewaltfreier Widerstand und nachdenkliche PolizistInnen
Bei den Überlegungen, wie sich engagierte Menschen in Bochum am Samstag den Nazis entgegenstellen können, war allen Beteiligten klar, dass Polizeipräsident Wenner jede Form von Widerstand schon im Vorfeld kriminalisieren und den Nazi-Aufmarsch durchknüppeln lassen wird. So entstand die Idee, dass am besten mit einer schlichten Form des zivilen Ungehorsams, einer Sitzblockade, der Aufmarschort der Nazis blockiert werden soll. Es wurde der Plan entwickelt, mit möglichst vielen Menschen von der Demonstration am Bochumer Hauptbahnhof zum Sammelpunkt der Nazis am S-Bahnhof Langendreer-West zu fahren und dann den Bahnhof möglichst lange für die Nazis zu blockieren. Etwa 600 DemonstrantInnen fuhren dann tatsächlich von einem Bahnhof zum anderen. Während der Fahrt wurden viele Leute darüber informiert, dass der Bahnhof Langendreer-West gleich dicht gemacht werden soll. Es blieben viele auf dem Bahnsteig stehen und folgten nicht der Aufforderung der Polizei, den Bahnsteig zu verlassen. Die Polizei eskalierte ihre Einschüchterungsversuche. Eine Reihe von älteren Mitgliedern des Friedensplenums setzte sich vor die Polizeikette. Die Polizei räumte schließlich den Bahnsteig. Die „Oldies“ vom Friedensplenum wurden vom Bahnsteig getragen. Der normale Kriminalisierungsprozess des Polizeiapparates nahm seinen Lauf. Die BlockiererInnen wurden festgenommen und sollten abtransportiert werden. Als die Hälfte der Festgenommenen schon im Transporter saß, setzte bei der Polizei offensichtlich ein Prozess des Nachdenkens ein. Was würde es bedeuten, wenn der Polizeipräsident ständig vor linksradikalen Gewalttaten gewarnt hat und dann nach der Demonstration nur die Gefangennahme des Altenteils des Friedensplenums präsentiert werden könnte? Die Situation entspannte sich. Die Polizei wurde freundlicher. Beschlagnahmte Dinge wurden zurückgegeben. Nach Aufnahme der Personalien wurden alle Festgenommenen ausgesprochen freundlich zur Kundgebung geleitet.
Weniger erfreulich ist, dass sich die Polizei nun auf die Kriminalisierung eines langjährigen Aktivisten aus dem Bereich der antirassistischen Arbeit stürzt. Ihm wird vorgeworfen, die Notbremse der S-Bahn gezogen zu haben und damit für längere Zeit die Strecke blockiert zu haben. Wer weitere Kriminalisierungsversuche beobachtet hat, melde sich bitte bei ruhrgebietost@rote-hilfe.de.

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22.02.03, 20.00 Uhr

Bericht von der Kundgebung um fünf vor zwölf vor dem Bochumer Hauptbahnhof
„Den Gleichschritt übertönen!“
„Sollen sie doch versuchen, in Langendreer ihre Trommeln zu schlagen. Wir werden den Gleichschritt übertönen, denn wir sind zahlreich und unsere Herzen schlagen überall“, hieß es in einer der Reden, die ab 5 vor 12 am Kurt-Schumacher-Platz vor dem Bochumer Hauptbahnhof gehalten wurden. Hier hatten sich nach Abschluss der städtischen Kundgebung vom Husemannplatz etwa 800 Menschen versammelt, die dem Bündnisaufruf demokratischer Gruppen, Organisationen und Vereine sowie der alevitischen Gemeinde, des AStA, der Grünen und der PDS gefolgt waren. Diese hatten dazu aufgerufen, einen faschistischen Aufmarsch in Bochum zu verhindern. Im Namen der Medizinischen Flüchtlingshilfe erinnerte Kundgebungsmoderator Knut Rauchfuss an Kurt Schumacher, nach dem der Bahnhofsvorplatz benannt ist und der zehn Jahre in nationalsozialistischen Konzentrationslagern gequält wurde. Rauchfuss zitierte den ehemaligen Vorsitzenden der Sozialdemokraten mit den Worten: „Die ganze nationalsozialistische Agitation ist ein dauernder Appell an den inneren Schweinehund im Menschen. Das deutsche Volk wird Jahrzehnte brauchen, um wieder moralisch und intellektuell von den Wunden zu gesunden, die ihm diese Art von Agitation geschlagen hat!“ Rauchfuss rief dazu auf, diesem moralischen Genesungsprozess in Bochum durch eine machtvolle Verhinderung des Nazi-Aufmarsches einen Schritt nach vorne zu verhelfen. Bürgermeisterin Gabriele Riedl (Bündnis 90 / Die Grünen) erinnerte an den Todestag der Geschwister Scholl, die heute vor 60 Jahren von den Nationalsozialisten hingerichtet wurden, und mahnte, dass nicht nur in Bochum, sondern nirgends mehr ein Platz für Faschisten sein dürfe. Die Rede im Wortlaut. Johannes Ludwig von der Initiative „Erinnern für die Zukunft“ hielt eine viel beachtete Rede. Er erinnerte daran, dass der Verein überlebende ehemalige jüdische MitbürgerInnen einlädt: „Was, bitte schön, sollen wir unseren willkommenen Gästen eigentlich sagen, wie sollen wir ihnen vor ihre Augen treten, wenn sie erfahren, dass es heutzutage in eben dieser Stadt Bochum möglich ist, behördlicherseits genehmigte, durch hiesige Polizisten geschützte öffentliche Veranstaltungen, Demonstrationen und womöglich auch noch sogenannte Kulturfeste geben darf, auf denen die Veranstalter und Mitglieder als Nazis offen und unverblümt für ihre sogenannten politischen Auffassungen öffentlich auftreten dürfen.“ Die Rede im Wortlaut. Annemarie Grajetzki von den „Frauen für den Frieden in der evangelischen Kirche von Westfalen“, die bereits auf der städtischen Kundgebung gesprochen hatte, stellte fest, dass es ein großartiger Erfolg dieser Demonstration sei, dass die Nazis nicht mehr in der Innenstadt demonstrieren können. Die Rede vom Husemannplatz im Wortlaut. Uli Kriegesmann vom Vorstand der GEW betonte die Verantwortung der Schulen für die Vorbeugung vor der Entstehung faschistischen Gedankengutes. Bildung sei nicht allein eine Ansammlung von Wissen, sondern müsse menschliche Werte vermitteln. Daher beteilige sich die GEW an der Kundgebung. Die Rede im Wortlaut. Manfred Preuss von der Fraktion „Bündnis 90 / Die Grünen im Bochumer Rat“, der die Kundgebung vor dem Bahnhof angemeldet hatte, verurteilte in seinem Redebeitrag den alltäglichen Rassismus. Faschismus entstehe in der Mitte der Gesellschaft. In diesem Zusammenhang ging Preuss auch auf rassistische Wahlkampfparolen gegen die doppelte Staatsbürgerschaft ein und forderte die Verantwortung aller, auch im Alltag einzugreifen. Die Rede im Wortlaut. Die Hip-Hop-Gruppe Easy X trug über mehrere Stunden hinweg mit kritischen Liedern zum kulturellen Rahmen der Kundgebung bei. Um 12:34 setzten sich etwa 600 Leute mit der S-Bahn nach Langendreer-West in Bewegung, wo sie im Anschluss über eine Stunde lang den Bahnsteig blockierten. Von da an stauten sich anreisende faschistische Gruppen auf den Gleisen des Bochumer Hauptbahnhofes. „Wir bleiben hier, bis auch der letzte Faschist den Innenstadtbereich einschließlich des Bahnhofs verlassen hat“, verkündeten die verbliebenen KundgebungsteilnehmerInnen auf dem Bahnhofsvorplatz. Schließlich wurde gegen 13:45 Uhr ein S-Bahnwagen voll mit Neonazis nach Dortmund zurückgeschickt. 50 bis 70 weitere wurden noch so lange auf den Gleisen festgehalten, bis die Polizei die Blockade am Zielbahnhof Langendreer-West geräumt hatte. So lange harrten auch die antifaschistischen DemonstrantInnen vor dem Hauptbahnhof aus. Sie zeigten sich entschlossen, der Polizei zu beweisen, dass faschistische Aufmärsche in Bochum undurchführbar sind.