Rede von Johannes Ludwig, Mitglied des Vereines "ERINNERN FÜR DIE ZUKUNFT " am 22.02.03.


Guten Tag,
1945 suchten die abgemagerten, erschöpften und traumatisierten Überlebenden des Massenmordes durch das Nazi-Deutschland ihre Verwandten, selten fanden sie welche:
'Nach dem Gottesdienst lesen wir...Namen...von Verwandten vor. Ich lese einen Namen und jemand antwortet "verbrannt !"
Ein weiterer Name wird vorgelesen und jemand ruft: ' Er lebt ! '
Einer wird ohnmächtig, als er erfährt, daß es seine Schwester nicht mehr gibt.'
So geschehen und in einem Brief aufgeschrieben hat es Herr Eizenberg am 21.06.1945. *) Ein Leben aufs Neu Vlg. Brandstätter

Im Jahr 1946 hatte die Jüdische Religionsgemeinde Bochum 55 Mitglieder, Menschen. *) Spuren im Stein Vlg. Klartext

Das ist jetzt knapp 58 Jahre her !

Ab 1996 wuchs die Anzahl der Mitglieder auf über ungeahnte 1000 Menschen; Jüdinnen und Juden, die zuvor nach Bochum und die Umgebung eingewandert sind, sich hier in unserer Stadt niedergelassen haben.

Das ist jetzt knapp 8 Jahre her !

Sie haben Familie, Brüder und Schwestern, Großväter und Großmütter und es kommen weiter Menschen aus den verschiedenen Gegenden der Welt nach Bochum, die hier in unserer Stadt hoffen, ein Zuhause zu finden, Schutz vor Verfolgung oder Schlimmeres zu erhalten.
Unter ihnen leben Menschen, die nahe Familienangehörige durch die mörderische Politik der deutschen Nazidiktatur verloren haben. Es sind lebende Zeugen der Zeit, in der die deutsche Wehrmacht unter der politischen Führung der Nationalsozialisten und ihrer Generäle die damalige UDSSR überfallen hatten.
Millionen von Menschen starben, wurden als Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen ins deutsche Reich auch hier nach Bochum verschleppt. Sehr viele wurden in ihren Tod gejagd oder hingerichtet.
ihren Tod gejagt.

Was muß in den Menschen, die sich in Bochum niedergelassen haben, vorgehen, wenn sie erfahren, daß am heutigen Tag des Jahres 2003 zum 3. Male Nazis in Bochum frei herumlaufen dürfen, ja sogar unter dem Deckmantel politischer Forderungen Demonstrationen anmelden dürfen.
Wir dürfen unsere neuen Nachbarn unter keinen Umständen allein lassen!

Was, bitte schön, sagt ein Polizeibeamter in Bochum, der den erschreckenden Auftritt der Nazis schützt, zum Beispiel seinem jüdischen Nachbarn, oder seiner bosnischen Nachbarin aus Srebrenica seinen Kindern, die sich hier in Bochum niedergelassen haben ?

'Zum Nachtisch meldet ein Rechtsanwalt Zweifel an Auschwitz an ?', so die Frankfurter Rundschau vom 15.01.2002. Dort wurde berichtet:
Im November 2000 traf die Deutsche Bank ein handverlesenes Publikum auf der Düsseldorfer Königsallee zum Gänse-Essen. Herr Spiegel vom Zentralrat war mit seiner Frau eingeladen, um einen Vortrag über jüdisches Leben in Deutschland zu halten.

Einer der Gäste, ein 71-jähriger Rechtsanwalt, meldete sich beim Nachtisch zu Wort. ...Er sei als 15-jähriger Pimpf in einer Flakbatterie in der Nähe von Auschwitz stationiert gewesen. Von dort aus sei man zum Duschen, Saunen usw. in das Lager Auschwitz gefahren, ohne etwas von den Gräueltaten an Juden zu bemerken, auch sein Vater...habe ihm versichert, hiervon nie etwas gehört zu haben.
Dieser Herr Rechtsanwalt ging in seinen Worten sogar noch weiter, als er meinte, wenn man die Erinnerung an diese Gräueltaten immer wieder wachrufe, stünde dies den Bemühungen ... einer Verständigung... entgegen, würde sie konterkarieren...
An jenem Gänse-Essen der Deutschen Bank nahmen etwa 70 Personen teil, darunter waren die Herren wie der Oberbürgermeister von Düsseldorf (CDU) Herr Joachim Erwin, der Universitätsrektor Gerd Kaiser und der Regierungspräsident Herr Jürgen Bussow von der SPD.
"Niemad hat etwa gesagt: Wir sind nicht dieser Auffassung. Das hier ist eine Einzelmeinung." was Herrn Spiegel und seine Frau an diesem Abend besonders erschütterte....
*) FR v. 15.01.2002 über 'Gänse-Essen in Düsseldorf'

Das ist jetzt knapp 3 Jahre her !

"Die Zahl der rechtsextremen Straftaten ist im vergangenen Jahr erneut gestiegen!", so schreibt die überregionale Presse in Deutschland am 13. Februar 2003. Weiter heißt es dort: "Demnach wurden im vergangenen Jahr mindestens 10 579 - ich wiederhole die Zahl 10 579 - Straftaten mit rechtsextremen Hintergrund verübt, während es 2001 noch 10 054 Delikte waren, dabei handelt es sich um Mindestzahlen, da noch mit Nachmeldungen aus den Bundesländern zu rechnen sei.
* FR Nr. 37 v. 13.02.2003

Das ist jetzt noch nicht einmal über 1 Jahr her in Deutschland 2003 !

Liebe Anwesende,
seit 1995 besuchen jährlich - nicht ganz ohne Zutun des Vereines "Erinnern für die Zukunft" - größere und kleinere Gruppen von Überlebenden der alten jüdischen Gemeinde Bochum ihre Geburtsstadt, aus der sie fliehen mußten, wollten sie nicht in die Vernichtungslager im Osten verschleppt werden. Sie sind Gäste der Stadt Bochum.
Die Besuche sind für die Gäste zumeist schmerzhaft, geprägt durch die Erinnerung an Demütigung und Verfolgung.
Für uns sind die Besuche ein Geschenk, denn diese Menschen begegnen uns in der Regel vorbehaltlos und offen. Sie berichten über ihre Erfahrungen hier, sind neugierig auf das neue, das demokratische Bochum.

Inzwischen gibt es häufige Briefkontakte, u.a. auch aus Isreal und weitere Besuche in der Stadt Bochum sind für dieses Jahr geplant.

Was, bitte schön, sollen wir unseren willkommenen Gästen eigentlich sagen, wie sollen wir ihnen vor ihre Augen treten, wenn sie erfahren, daß es heutzutage in eben dieser Stadt Bochum möglich ist, behördlicherseits genehmigte, durch hiesige Polizisten geschützte öffentliche Veranstaltungen, Demonstrationen und womöglich auch noch sogenannte Kulturfeste geben darf, auf denen die Veranstalter und Mitglieder als Nazis offen und unverblümt für ihre sogenannten politischen Auffassungen öffentlich auftreten dürfen.
Leute also, die sich zum Teil gerichtlich haben bestätigen lassen, daß sie sich in der sogenannten Tradition der deutschen Nationalsozialisten verstehen.

Liebe Anwesende:

Die Nazis fallen nicht vom Deutschen Himmel in die Stadt Bochum.
Sie sind unter anderem das Produkt einer familiären Sozialisation, sie haben deutsche Eltern, deutsche Großväter,deutsche Großmütter,
nicht allzu selten gehören sie zu den Tätern der Nazigeneration.

Nationalistische Töne in der heutigen Politikergeneration aller Parteien
bestärken jene Individuen, ihr mörderisches Bewußtsein als politisches
Bewußtsein weiterzugeben an ihre Kinder und Kindeskinder mit all ihren vom Menschenhass vergifteten Argumenten. Diese Personen gehören nicht selten der gebildeten, gehobenen Bürgerschicht in Deutschland an, auch in dieser Stadt Bochum.

Ich fordere angesichts des Angriffes auf die Würde der Menschen durch das behördlicherseits erlaubte und von hiesigen Polizisten geschützte öffentliche Auftreten der Nazis:

Sofortiges Verbot aller faschistischer Organisationen in Deutschland
Sofortiges Verbot der NPD !
Kein erlaubter Aufmarsch der Nazis hier in Bochum oder Wattenscheid oder anderswo !

Schweigt nicht, wenn die Nazis als gute, saubere Bürger und Bürgerinnen getarnt, ihre menschenverachtende Parolen in modernen Worthülsen kundtun - das ist kein Spaß!
Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen !
Den sich offen zeigenden Nazis darf keine Toleranz oder ein falsch verstandener Demokratiebegriff entgegengebracht werden - sie sind unbelehrbar !

Treten wir ihnen entgegen, keine Kundgebung, keine Demonstration der Nazis !
Die Mehrheit der Bochumer Bürger und Bürgerinnen will keine Naziaufmärsche in ihrer Stadt Bochum dulden, weder heute, morgen noch übermorgen !
Fordern wir nicht nur heute alle Vertreter der im Rathaus vertretenen Parteien, auch die hier ansässige Justiz, Richter und Richterinnen
alle Vertreter der Gewerkschaften, der Kirchen, der Schulen und der
Sportverbände, die Vertreter des VfL Bochums die der hiesigen Industrie- und Handelskammern und die, der Universität Bochum
dazu auf:

Haltet zusammen !
Stellen Sie sich dem braunen Mob entgegen, überlaßt ihnen niemals diese Stadt, schon gar nicht ihre Straßen und Plätze !


Ich danke Ihnen für Iure Aufmerksamkeit.