Rede von Annemarie Grajetzky zur Kundgebung 22. Februar 2003 auf dem Husemannplatz

Bürgerinnen und Bürger, liebe Freundinnen und Freunde!

'Suchet der Stadt Bestes' Das ist ein alter bekannter und noch immer gültiger Slogan aus der Bibel. Um für das Wohl unserer Stadt etwas zu tun, darum versammeln wir uns hier. Ich will diesen Satz aus aktuellem Anlass ergänzen:
Wehret den Anfängen - und so suchet der Stadt Bestes!

Für mich ist das ein mutmachendes Zeichen, dass sich zum Protest gegen den Naziauf-marsch in Bochum ein breites Bündnis demokratischer Kräfte gebildet hat.
Der Aufmarsch von Rechtsradikalen im Dezember des vergangenen Jahres und dann im Janu-ar und schließlich heute erinnert viele von uns an die Verbrechen der Naziherrschaft in unse-rem Land. Wir werden nicht zulassen, dass sich eine solche Entwicklung auch nur in den kleinsten Ansätzen wiederholt.
Darin sind wir uns einig. Und darum sagen wir: Suchet der Stadt Bestes und wehret den Anfängen!

Viele von uns Älteren waren damals Kinder. Ich meine das Jahr 1945, als Amerikaner, Eng-länder, Franzosen und Russen uns von der Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus befrei-ten. Und dann lernten wir, dass der Faschismus mit seinen Parolen von Blut und Ehre und Rassenhass und Vergötzung der eigenen Nation niemals wieder eine Chance haben darf in unserem Land. Wir lernten: Der Faschismus ist nicht eine unter Demokraten zu tolerierende politische Meinung.- Nein ! Der Faschismus ist ein Verbrechen .

Am 4. Januar habe ich hier in Bochum einen Naziaufmarsch miterlebt. Gespenstisch war das. Junge Leute brüllten Naziparolen. Ich will uns mit Zitaten verschonen. Es sind junge Leute, die zur Generation unserer Kinder und Enkel gehören. Ich bin erschüttert und fassungslos. Entsetzt frage ich: Wer steckt dahinter ? Wer führt diese jungen Leute in die Irre ? Da zogen sie über den Ostring und - aufgehalten durch eine Sitzblockade von Gegendemonstranten- zogen sie weiter über die Castroper Straße zur Kaserne der Bereitschaftspolizei am Kirmes-platz. Fassungslos hörten wir einen Redner, wie er die Polizisten beschimpfte und ihnen sinn-gemäß zurief: ' Wir merken uns jedes Eurer Gesichter. Wenn wir da Oben das Sagen haben, dann kommt der Tag der Abrechnung' .Überrascht war ich doch, dass die Polizei diese meines Erachtens verfassungsfeindlichen Ausfälle zuließ.
Freundinnen und Freunde, auch heute werden in Langendreer und Werne die schrecklichen Naziparolen gegen Fremde zu hören sein. Parolen, mit denen die Nazivergangenheit verherr-licht wird. Eine böse Saat wird da ausgestreut. - Da dürfen wir doch nicht weghören und weg-schauen!: 'Wehret den Anfängen und suchet der Stadt Bestes!'

Schon am 4. Januar und dann am 18. Januar sammelte sich ein breites Bündnis von demokra-tisch gesinnten Gruppen und Initiativen, um sich dem bösen Treiben entgegenzustellen. Wir sind froh darüber, dass es im Widerstand gegen die Feinde der Demokratie keinen Unter-schied macht, zu welchem politischen oder kirchlichen Lager wir gehören. Ich habe noch im Ohr, was Superintendent Sobiech am 18. Januar auf dem Bahnhofsvorplatz den Versammel-ten zurief: "Wir lassen uns provozieren, weil wir ein Gegenbild vor Augen haben. Dieses Gegenbild ist : Freiheit, Menschenwürde, Gerechtigkeit, Solidarität."

Dafür stehen wir auch heute auf dem Husemannplatz. Der heutige 22. Februar ist ein wichti-ger Tag im Widerstand gegen Rechtsradikalismus in Bochum:
Gott sei Dank, dass sich das offizielle Bochum mit unserem Oberbürgermeister deutlich zu Wort meldet.

Wehret den Anfängen und suchet der Stadt Bestes.
Das Bündnis ist breiter geworden: Parteien, Gewerkschaften, Wirtschaftsverbände , Kultur-schaffende. Jüdische Gemeinde und Kirchen jetzt auf dem Husemannplatz . Und es ist doch wirklich zu begrüßen, dass sich nachher an anderen Orten , am Hauptbahnhof und in Lan-gendreer gleichgesinnte Gruppen und freie Initiativen im gewaltlosen Protest vereinen: Alle mit dem gleichen Ziel: Wehret den Anfängen und suchet der Stadt Bestes.

Wir wollen uns nicht schuldig machen durch Wegschauen und Weghören.
Wir wissen uns dem Erbe der Frauen und Männer des Widerstandes gegen den Nationalsozia-lismus verpflichtet:

Heute, am 22. Februar jährt sich zum 60. Mal der Tag, an dem die Geschwister Sophie und Hans Scholl wegen ihres Widerstandes gegen die Nazidiktatur durch das Fallbeil hingerichtet wurden. Sophie Scholl war 22 Jahre alt und ihr Bruder Hans war 25 Jahre alt. Wir erinnern uns: Als Mitglieder der Widerstandgruppe 'Weiße Rose' hatten sie auf Flugblättern die Nazi-propaganda als mörderisch und menschenverachtend entlarvt. Ihren Widerstand bezahlten sie mit ihrem Leben.
Manfred König schrieb in einem Leserbrief in der WAZ: Es ist eine Verhöhnung der Opfer , wenn ausgerechnet am Jahrestag der Hinrichtung hier in Bochum wieder ein Naziaufmarsch stattfindet.
Sophie und Hans Scholl haben uns vorgelebt, dass man dem Unrecht nicht durch Wegschau-en begegnet. Nein, sagt Sophie Scholl:" Man muss etwas machen ,um selbst keine Schuld zu haben."
Darum stehen wir hier und ich rufe Ihnen und Euch ein letztes Mal zu:
Wehret den Anfängen und suchet der Stadt Bestes.