Sonntag 01.09.24, 17:49 Uhr

Aufstehen gegen Wagenknecht! 2


von Ralf Feldmann

Das Bündnis Sahra Wagenknecht hat zur Gründung des Landesverbandes NRW am 7. September in Bochum nur einen erlesenen Club von 113 Erstmitgliedern zugelassen, ein Kadertreffen von Auserwählten. „Wir müssen draußen bleiben,“ klagen Sympathisanten, deren Aufnahmeanträge einfach nicht bearbeitet werden. Fans, die wie jüngst in Dortmund, Kritik an der Führerin laut werden lassen, weil sie unter den wenigen Mitgliedern „politisch Unbeleckte, die Millionäre sind“, entdecken, haben keine Chance. Gleichzeitig öffnet sich das BSW weiter zur AfD.

Thüringens Spitzenkandidatin Katja Wolf hat keine Scheu, Initiativen der AfD aufzugreifen. Und Wagenknecht ist ausdrücklich dagegen, „reflexartig alles abzulehnen, was von der AfD kommt und sich dafür als große Demokraten zu feiern“. Abgrenzung zur AfD ist für das BSW längst unwichtig geworden, weil es darum geht, mit Forderungen der AfD Wähler zu gewinnen, auch wenn die dann doch das Original wählen.

Hunderttausende in ganz Deutschland, 15 000 in Bochum, gingen Anfang des Jahres gegen die AfD und ihre Parole „Remigration“ auf die Straßen: für Menschenrechte, eine sozial gerechte, menschenfreundliche Gesellschaft und für die Verteidigung von Demokratie und Verfassung. Zehntausende, viele aus Bochum, protestierten gegen den Bundesparteitag der AfD in Essen. Verbunden in der Überzeugung: Die AfD ist eine verfassungswidrige Partei, eine Zusammenarbeit mit ihr ist ausgeschlossen. Sie gehört verboten. Das alles verhöhnt Wagenknecht nun in polemischem AfD-Ton als „Sichselbstfeiern von großen Demokraten“. Es ist an der Zeit, gegen Wagenknecht aufzustehen.

Ein maßgeblicher Teil der AfD will deutschen Staatsangehörigen mit Migrationsgeschichte nur einen rechtlich abgewerteten Status zuerkennen. Das sei, so das OVG Münster, Diskriminierung aufgrund der Abstammung, unvereinbar mit der Menschenwürdegarantie. Mit ihrem ethnisch-kulturellen Volksbegriff stelle die AfD die Gleichheit aller Staatsbürger in Frage. Sie missachte fortgesetzt die Menschenwürde von Ausländern und Muslimen, indem sie in großem Umfang herabwürdigende Begriffe gegenüber Flüchtlingen und Muslimen verwende und ihnen gleichberechtigte Religionsausübung bestreite. „Remigration“ ist mehr denn je eine Hauptforderung der AfD, nicht nur in Hinterzimmern. Sie und ihre Jugendorganisation JA fordern das auf Wahlplakaten. Verfassung und Menschenrechte sind AfD-Wählern, ob Nazis, Konservativen oder nach eigenem Selbstverständnis „normalen“ Bürgern, egal. Dafür kann es weder Verständnis noch Entschuldigung geben. Denn: Deutschblütige gegen andere, das war der Abgrund unserer Geschichte, den sie jetzt einen „Vogelschiss“ nennen. Der Faschismus gewann, weil die Konservativen mitmachten. Trotzdem ist das BSW „sozialkonservativ“ bereit, Türen zu öffnen, weil die so viele geworden sind. Es ist an der Zeit, gegen Türöffner aufzustehen.

Die Wagenknechtpartei steht gegen die Bereitschaft vieler Menschen und Initiativen in Bochum, Geflohene aus Krieg, Unterdrückung , Not, zerstörter Umwelt und Armut menschenfreundlich aufzunehmen. Migration wird bleiben, weil die Fluchtgründe bleiben oder sogar schlimmer werden. Migrantenabwehr gehörte immer schon zum rechtsoffenen Profil Wagenknechts. Konsequent reiht sie das BSW in die sehr breite Front der etablierten Parteien ein: Migrant*innen – Kinder nicht ausgenommen – sollen an Europas Grenzen oder außerhalb in Lagern eingesperrt und Asylverfahren in Drittländer auch nach Afrika ausgelagert werden. Ohne Militär und Gewalt – eigene europäische oder außereuropäisch teuer eingekaufte – geht das nicht. Im Überbietungswettbewerb rechtswidriger Vorschläge steht Wagenknecht vorn an der Spitze. Abgelehnten Asylbewerbern und denen, die aus „sicheren“ Drittländern kommen, will sie nun nach kürzester Frist alle Sozialhilfe entziehen, sie also hungern lassen. Erneut zeigt sie kaltherzige Verwandtschaft mit der AfD beim gemeinsamen Angriff auf das Fundament unserer Verfassung: die unantastbare Würde der Menschen. Christian Leye, Amid Rabieh und Sevim Dagdelen, nun führend in der Kaderpartei BSW, hätten Protest dagegen noch vor einigen Jahren in Bochum vornweg mitgetragen. Jetzt stehen im BSW ganz oben Migrantenkinder – auch die aus Bochum – gegen Migrantinnen und Migranten, gegen ihr Leid, gegen ihre Menschenwürde. Es ist an der Zeit, gegen Wagenknecht und ihre Gefolgschaft aufzustehen.

Das BSW will Friedenspartei sein. Wenn die Opfer von Krieg, Gewalt und Unterdrückung möglichst schnell in die Kriegstrümmer und in den Machtbereich von Diktatoren, Despoten und Menschenfeinden zurück sollen, nach Syrien und Afghanistan zum Beispiel, ist dann Frieden für sie? Friedensbündnisse werden wachsam sein müssen gegen diejenigen, die Frieden rufen und Menschen ins Elend abschieben wollen. Sympathisant*innen des BSW verhinderten nach Einschätzung der DFG/VK, dass die Forderung „Schutz und Asyl für alle Menschen, die dem Krieg entfliehen wollen“ in den Aufruf für die Friedensdemo am 3. Oktober in Berlin aufgenommen wurde. Ebensowenig die differenzierende Feststellung: “Der Krieg in der Ukraine hat eine Vorgeschichte, in der auch die NATO eine negative Rolle spielt – diese Vorgeschichte kann jedoch nicht den völkerrechtswidrigen Angriff Russlands rechtfertigen. Russland kann die Kampfhandlungen jederzeit einstellen und damit diesem Krieg beenden.“ Wer Kriegstreiber nicht so nennt, sollte vom Frieden schweigen. Es besteht die große Gefahr, dass das BSW nach der Linken auch die Friedensbewegung spaltet.

Wes Geistes Kind sie sind, zeigte das BSW durch die empathielose, durch Ressentiments bestimmte Ablehnung des Selbstbestimmungsgesetzes für queere Menschen und – jetzt sogar auf Wahlplakaten – mit lachhaften Parolen gegen eine gendergerechte Sprache, die verboten werden soll. Wiederum biedert sich die nach eigener Einschätzung „sozialkonservative“ Partei reaktionärer „Normalität“ an. „Vernunft“ als ihr behauptetes Markenzeichen bleibt auf der Strecke, Freiheit von Minderheiten, die ihr eigenes Leben leben wollen, sowieso.

Derselbe rückwärts gewandte Opportunismus in der Klimaschutz- und Energiepolitik. Der Abschied von fossilen Energieträgern soll hinausgeschoben werden. Treibhausgasemissionen im Verkehrssektor sollen „technologieoffen“ reduziert werden, ein striktes „Verbrenner-Aus“ und Energiesanktionen werden abgelehnt, ebenso die CO2-Bepreisung und der CO2-Emissionshandel. Während in Wirtschaft und Industrie, dort auch die betroffenen Beschäftigten, ihre Zukunft im ökologischen Umbau sehen – nicht zuletzt in der für Deutschland hochwichtigen Automobilindustrie – schließt sich das BSW denen an, die Erderwärmung für nicht so bedrohlich halten oder wie die AfD den Klimawandel schlicht leugnen. „Vernunft“ auch hier nur eine Phrase. Die Öl- und Gaslieferungen aus Russland sollen mit langfristigen Energieverträgen wieder reichlich fließen, auch wenn dadurch der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine finanziert würde, wiederum eine Übereinstimmung mit der AfD.

Und „soziale Gerechtigkeit“ wird, da Wagenknecht jetzt Ludwig Ehrhard und den Rheinischen Kapitalismus als Gesellschaftsidylle der Vergangenheit verklärt, ein Versprechen ohne Folgen bleiben. Die promovierte Ökonomin verschweigt, dass durch diese Wirtschafts- und Sozialpolitik in jener Zeit, den ersten 20 Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg, die kleinste soziologische Gruppe der 3 Millionen Selbständigen rund 70% des neu geschaffenen Privatvermögens für sich reservieren konnte und 1,7% der privaten Haushalte 70% der Produktionsmittel und 35% des privaten Vermögens besaßen. Dabei war – und ist – die wirtschaftliche Macht der Produktionsmitteleigentümer durch Mitbestimmung und gewerkschaftliche Gegenmacht kaum beeinträchtigt. Die Arbeiter*innen von Thyssen-Krupp erfahren gerade, was diese Machtverteilung praktisch bedeutet. Gerne lässt sich die Vorkämpferin für „soziale Gerechtigkeit“ , die mit dem Kapitalismus längst Frieden geschlossen hat, im Alltag von Reichen und ihren Dienstleistern hofieren. In jungen Jahren noch vorn in der Kommunistischen Plattform der Linken hatte sie es zum 70. Geburtstag des Franz-Josef-Strauß-Intimus Peter Gauweiler auf einen Platz an Tisch Nr.1 der Gäste geschafft, dort gemeinsam mit Ehemann Oskar und dem Milliardär August von Finck, Unterstützer von AfD und Rechtspopulisten. Lifestyle-Linke seien aber nicht sie, sondern die anderen, derentwegen sie die Linke verlassen habe: Fridays-for-future-Aktive, Seebrücke, Genderaktivist*innen: alle bestenfalls wohlmeinende, selbstbezogene, Anstrengungen scheuende, privilegierte Sprösslinge wohlhabender Helikoptereltern, unerreichbar für die harten Probleme sozialer Gerechtigleit, mit denen sie nichts zu tun haben wollten, so die Belehrungen in ihrem letzten Buch. Böswillige Verleumdung war das zur Spaltung der Linken, der sie und manche Gefolgsleute ihre politische Karriere verdanken, die aber längst nicht mehr ihre Partei war, weil sie mit ihrer Politik dort keine Mehrheitschancen hatte.

Bochumer Spitzenpersonal

Ein Blick aus Bochum auf das künftige Spitzenpersonal des BSW in NRW, das im internsten Führungskreis ausgesucht wurde zum Durchwinken auf dem Gründungsparteitag. Persönliche Abhängigkeit von der Parteiführerin ist unverkennbar. Amid Rabieh, der „starke“ Mann einer rein männlichen Doppelspitze, zugleich stellvertretender Bundesvorsitzender, braucht mit 44 Jahren ohne sicheren beruflichen Hintergrund Politik zum Leben. In Bochum war er lange Kreissprecher der Linken und zugleich im Brotberuf angestellter Geschäftsführer der Ratsfraktion. Mitglied der Fraktion wollte er aber nicht werden, weil er dann – im politischen Ehrenamt – nicht gut gleichzeitig ein von der Stadt bezahlter Fraktionsmitarbeiter hätte bleiben können. Im Führungsteam von Wagenknecht zukünftig mit Aussicht auf ein lukratives Mandat wird er solche Sorgen nicht mehr haben. Ähnlich der Werdegang des Generalsekretärs der Bundespartei Christian Leye, ebenfalls Ex-Bochumer, der nach seinem Studium bald im Wahlkreisbüro Wagenknechts die Stellung für seine in Düsseldorf seltenst anwesende Mentorin hielt, Landessprecher wurde und es auf der Liste der Linken in den Bundestag schaffte. Der Kreis der Parteimitglieder wird klein gehalten, um den Kadern um Wagenknecht bei der ersten Beteiligung an Wahlen Mandate zu sichern. In dieses System passt Annabella Peters, Mitarbeiterin von Generalsekretär Leye, die zunächst einmal als stellvertretende Landesvorsitzende und offenbar einzige Frau für die Männergesellschaft an der Spitze der Landespartei auserwählt ist. In Brandenburg entschied jüngst eine geschlossenen Gruppe von 30 Erstparteimitgliedern ruckzuck über die Landtagsliste des BSW mit wahrscheinlich 15 erfolgversprechenden Plätzen. Von oben aus dem Zentralkomitee heraus: Sahra Wagenknecht hat das politische System ihrer Jugend wiederentdeckt.

Sevim Dagdelen, Bundestagsabgeordnete aus Bochum, seit einiger Zeit hier nicht mehr präsent, langjährig Sahra Wagenknecht eng verbunden, fehlt wie auch schon auf Bundesebene überraschend im Führungskreis des BSW in NRW. Dass die Außenpolitikerin Putin versteht und im westlichen Imperialismus die Hauptursache des Ukraine-Krieges sieht, wäre im BSW kein Grund, sie in die zweite Reihe zu versetzen. Ebensowenig ihre traditionelle Zuneigung zu alten Stasi- und SED-Kadern und deren Faible für Mauer und Stasiknast, was ihr aus diesem Milieu sogar einen zynischen „Menschenrechtspreis“ einbrachte. Beginnt ihr Stern zu sinken, nachdem Talkshows an ihr vorbeigehen und Russia Today für wohlgefällige Interviews ausfällt? Für Bochum kein Verlust. Hier werden die Chancen des BSW nicht in den Himmel wachsen.


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2 Gedanken zu “Aufstehen gegen Wagenknecht!

  • Conny

    „Thüringens Spitzenkandidatin Katja Wolf hat keine Scheu, Initiativen der AfD aufzugreifen.!

    Ach, wie süß! :-)
    Wir hatten diese Diskussion bereits bei einem vorherigen Beitrag zur Gründung des BSW Landesverbandes.
    In 2 Bundesländer stellen BSW / AfD nun deutlich die politische Mehrheit und die Beiden werden selbstverständlich die Geschicke dieser Bundesländer mitgestalten. Mit Brandenburg wird in Kürze wohl das 3. Bundesland mit einer ähnlichen Konstellation da stehen. Wie wollt, ihr damit umgehen? Weiter hinter Brandmauern verstecken und rhethorische Wattbäuschchen schmeissen?

    Eure Brandmauern haben ihre Wirkung voll umfänglich verfehlt. Warum? ganz einfach, sie dienen nur dem Eigenzweck. IHR grenzt Euch eigennützig ab! Aber wen juckt das, soweit er / sie sich nicht in eurer Blase befindet? Mit den scheinheiligen Brandmauern habt ihr nicht mehr erreicht, als das ihr euch kuschlig am Kaminfeuer sitzend auf die eigene, revolutionäre Schulter klopfen könnt. Politischer Kampf funktioniert halt nicht mehr im Stil der 69er.

    So habt ihr nun mich und wahrscheinlich noch viele andere Menschen verloren, die mit Euren Brandmauern und Theoretisierereien nichts mehr anfangen können. Ihr seid mit euren Stilmitteln aus der Zeit gefallen. Habe einen Mitgliedsantrag beim BSW gestellt, um mir den Kram zumindest von innen anschauen zu können.

    Alles Gute auf Euren Wegen!

  • Hendrik

    Sachliches, argumentatives Kritisieren geht anders. Hier lese hier vor allem Polemik und nicht belegte Unterstellungen, dabei wäre ich an einer guten, sachlichen, linken BSW-Kritik äußerst interessiert! Ich vermute, dass dies auch nicht allzu schwer sein sollte.
    Aus meiner Sicht ein äußerst schwacher und zudem spaltender Text. Schade.