Samstag 05.02.22, 12:02 Uhr
Redebeitrag auf der Kundgebung „Solidarisch durch die Pandemie – Demokratie stärken!“ am 4.2.2022 in Bochum

Caroline Heitmann, Pflegerin in einer Notaufnahme in Essen 2


Hi, ich bin Caro

Caroline Heitmann, Pflegerin

Ich bin eine von vielen Beschäftigten im Gesundheitswesen Von der die Politik viel geredet hat und die Tagesschau berichtet. Ich arbeite als Pflegekraft in einer Notaufnahme. Im Sommer 2020 habe ich dort angefangen, als ein großes Aufatmen stattfand, weil die erste Welle vorbei war und wir Besserung erhofften. Ich kann euch eins sagen: Besser ist es nie geworden und besser war es auch vorher nie. Schon als ich meine Ausbildung 2017 anfing, durfte ich ein kaputt gespartes Gesundheitssystem kennen lernen. Schon damals gingen viele Kolleg:innen am Krückstock: kaputt nach all den Jahren ohne Verbesserung im Gesundheitswesen. Schon damals gab es zu viele Patient:innen für zu wenig gut ausgebildete Kräfte. Zu viel Versorgung für zu wenig Zeit.

Menschen haben Unfälle, Herzinfarkte und Schlaganfälle. Niemand sucht sich das aus und in diesem Moment sucht sich kein Betroffener das Krankenhaus oder den Zeitpunkt aus. Es ist keine freie Entscheidung, heute mal in die Notaufnahme zu gehen.

Ich suche mir das auch nicht aus. Ich kann mir nicht aussuchen, ob ich zehn oder 30 Patient:innen in einer Schicht betreue. Ob 5 davon eine Hochleistung meines Könnens benötigen oder 15.

Was ich aussuche ist eine gute Versorgung, um medizinischen Standards gerecht zu werden und um mein Gewissen zu beruhigen. Doch auch ich merke, ich komme an meine Grenzen.

So sehr ich mir auch wünsche, wenigstens medizinische Standards einzuhalten und die Patient:innen gleichzeitig gut zu begleiten, kann ich es nicht. Ich habe keine zehn Hände und klonen kann ich mich auch nicht. Trotz Impfung.

Meine Kolleg:innen und ich können nicht leisten, was notwendig ist, sondern versuchen jeden Tag, wenigstens das Mindeste zu ermöglichen. Es ist ein Kartenhaus. „Gute Versorgung im Krankenhaus“ ist eine Illusion, die nicht der Wahrheit entspricht.

Es ist eine Illusion, die die Politik seit den Neunziger konsequent aufrecht hält, immer neu ausschmückt und eine Schleife darum bindet. Weder Fallpauschalen, die Pateient:innen eine Artikelbeschreibung gaben, noch Investition in Geräte und Neubauten werden wirkliche Verbessrung bringen.

Es ist gut, dass ich Monitore in meiner Notaufnahme habe, aber es macht keinen Sinn, wenn niemand zum Alarm des Monitors, zu dem Menschen, der am Monitor liegt, gehen kann, weil ich mit drei anderen Notfällen beschäftigt bin. In diesem Jahr wird das Land NRW 192 Millionen Euro in Geräte und Infrastruktur der Kliniken stecken. Das wären umgerechnet mehr als 3000 Menschen, die zum Monitor laufen könnten. Mehr als 3000, die das Wohlbefinden des Patienten einschätzen können.

Wisst ihr wie oft bis jetzt Corona erwähnt habe? Bis jetzt kein einziges Mal. Eigentlich bin ich es auch leid, ewig dieselbe Leier runter zu beten. Meinen Kolleg:innen genauso. Wir waren schon vor Corona in der K.O.-Runde und der Umgang mit diesem Virus und mit uns haut uns alle im Gesundheitswesen um. Bis wir nicht mehr können. Bis zum Knock out.

Und trotzdem beschäftigen wir uns jeden Tag mit Corona. Und trotzdem nehmen wir Corona jeden Tag ernst. Wir nehmen jeden Patienten in der Notaufnahme ernst. Wir kommen nicht daran vorbei, Corona ernst zu nehmen. FFP2, Kittel, Faceshields, Desinfektionsmittel, Antigenschnelltest, PCR-Test, Impfung: das alles sind Begriffe die mir aus den Ohren heraushängen. Dennoch weiß ich ihren Sinn zu schätzen und habe sie jeden Tag in Gebrauch. Ohne sie wäre ich schutzlos. Ohne sie habe ich kein Mittel, um mich gegen Corona zu verteidigen. Ohne diesen Schutz wäre ich wahrscheinlich nicht mehr da. Ohne wäre das Gesundheitssystem auch hier schon längst kollabiert.

Der wichtigste Schutz aber, den kein Klinikchef, kein Politiker beschaffen kann, wie FFP 2-Masken, ist Solidarität. Und genau das bringt uns momentan in die Bredouille. Denn am Ende des Tages versorgen nicht FFP 2 Masken, Impfstoffe oder Kittel die Patient:innen, sondern meine Kolleg*innen und ich. Neue Covid-Erkrankte werden in die Notaufnahme kommen. Und es wird mehr Arbeit sein. Darum brauchen wir jetzt mehr Personal. Das wissen alle seit Jahren! Darum haben wir an den Unikliniken in NRW gemeinsam mit unserer Gewerkschaft ver.di einen Notruf gestartet und der Landesregierung und unseren Arbeitgebern ein Ultimatum gestellt.

Wir wollen einen Tarifvertrag Entlastung, in dem festgelegt wird, wieviel Personal da sein muss, damit Menschen gut versorgt sind und wir bei der Arbeit nicht mehr krank werden. 100 Tage haben sie Zeit. Wenn bis dahin nichts passiert, dann werden wir die Arbeit niederlegen – an allen 6 Unikliniken in NRW, am 1. Mai, am Tag der Arbeiterklasse. Und dann brauchen wir Eure Solidarität – wir brauchen sie jetzt schon! Meine Kolleg:innen und ich nehmen Corona nicht nur Ernst, wir haben Ehrfurcht. Wir tragen schon genug Last mit uns.

Die Krise ist nicht neu – auch nicht im Gesundheitswesen. Corona hat nur noch deutlicher gemacht, woran es mangelt. Es gibt Milliarden für Konzerne. Milliardäre sind in den letzten zwei Jahren noch reicher geworden und Arme noch ärmer. In den Kliniken, in den Kitas, in den Alteneinrichtungen, in den Schulen arbeiten zu 80% Frauen, die unter ihrer Solidarität, ihrer Fürsorge, ihrer Arbeit zusammenbrechen!

Ohne Umverteilung, ohne starke, öffentliche Sozial- und Gesundheitsstrukturen werden wir in der Krise bleiben. Wer über Corona und seine Auswirkungen redet, soll vom Privatisierungen, Profitgier – von Kapitalismus nicht schweigen! Hier werden heute Unterschriften von der Volksinitiative Gesunde Krankenhäuser gesammelt, damit sich was ändert. Ich sage: Unterschreibt, wenn ihr Solidarisch sein wollt mit mir, meinen Kolleg:innen – mit Euch! Unterschreibt, aber vor allem: Macht mit. Wir wollen keinen Applaus. Wir brauchen Bündnisse für ein anderes Gesundheitswesen. In Bochum gibt es da. Macht mit!

Ich finde es einen Akt der Solidarität, sich und andere mit einer Impfung gegen Corona zu schützten. Und dass Impfungen schützen, sehe ich im Krankenhaus jeden Tag. Aber ich sage auch: Wenn sich nichts ändert in unseren Kliniken, Schulen, Kitas – in den Sozial- und Gesundheitseinrichtungen, dann ist die nächste Krise schon da. Und da hilft keine Impfung. Da hilft Solidarität und Widerstand!


2 Gedanken zu “Caroline Heitmann, Pflegerin in einer Notaufnahme in Essen

  • Jeannette Dietrich

    Aus meiner Seele geschrieben! Wunderbar.
    Und noch mal zur Bekräftigung:
    Profit hat im Gesundheitswesen nichts zu suchen! Dies ist ein Leitmerkmal des Kapitalismus, Ausbeutung der Patienten und des medizinischen Personals. Ein Symptom. Davon gibt es viele.
    Solidarität mit allen Menschen und Ländern!
    Weg mit dem Kapitalismus!

  • Nicole Skiba

    Danke für diesen sehr wahrhaftig gut geschriebenen und ausführlichen Bericht.. ich arbeite selbst als Krankenschwester seit 30 Jahren im Krankenhaus,und ich hoffe ihr erreicht bis zum 1.Mai etwas..man ist so kaputt und erschöpft und kann einfach nicht mehr.Wieviele Kolegen haben Burnout, sind zur Reha gewesen…nix hat es gebracht…sie haben ihren Beruf verlassen obwohl sie ihn eigentlich lieben…von der Politik erwarte ich nichts…für den kleinen Bürger hat man nichts über…wenn ich könnte würde ich auch aussteigen,aber man schleppt sich nur noch mühsam zur Arbeit …wie lange ich das noch kann weiß ich nicht.

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