Liebe Kolleginnen und Kollegen,
mein Name ist Regine Hammerschmidt und ich bin pädagogische Mitarbeiterin beim Kinder- und Jugendring. Die gesellschaftliche Wahrnehmung der Jugend war besonders zu Beginn der Pandemie sehr negativ. Sie wurde als „Gefährder_innen, Regelbrecher_innen, Feierwütige“ dargestellt, die keine Rücksicht nehmen und kein Verständnis zeigen. Dabei haben die meisten Kinder und Jugendliche von Beginn an die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie solidarisch während der letzten zwei Jahre mitgetragen, sie haben auf vulnerable Gruppen Rücksicht genommen, ihre Kontakte reduziert, auf vieles verzichtet, was zu einer „normalen“ Entwicklung dazugehört. Sie konnten keine Schulabschlüsse feiern, keine Auslandserfahrungen machen, haben ihre Uni nie betreten, keine neuen Freund_innen kennengelernt – kurz gesagt – kein jugendgemäßes Leben führen können.
Trotzdem halten sich die Allermeisten an die Hygieneauflagen, an die Maskenpflicht, an das ständige Testen und an die Abstandsregeln. Sie werden mit Distanzunterricht und Homeschooling, Quarantäneregeln und der Entscheidung sich impfen zu lassen oder nicht konfrontiert.
Bei vielen jungen Menschen – das zeigen aktuelle Studien – führt dies alles zu einer großen Verunsicherung, zu Zukunftsängsten und zu einer Verschärfung psychosozialer Belastungen wie Zwängen, Essstörungen, Depressionen und Süchten. Jugendliche benötigen mehr als alle anderen Gruppen den Austausch mit Gleichaltrigen für eine gesunde Entwicklung. Für diese Altersgruppe sind die Einschränkungen extrem belastend.
Insbesondere junge Menschen in prekären Wohn- und Lebensverhältnissen leiden unter dem Wegfall von Unterstützungsangeboten und Treffpunkten außerhalb ihrer Familien. Das Mittagessen in der OGS oder der Kita fiel weg wie auch die Betreuungsangebote und die Hausaufgabenhilfe.
Im Lockdown waren die Jugendfreizeithäuser geschlossen, Sport- und Spielplätze durften zu Beginn nicht einmal betreten werden. Es fanden nur wenige Ferienangebote statt – Gruppen- und Klassenfahrten wurden abgesagt.
Benachteiligte Kinder und Jugendliche in beengten Wohnungen, oft ohne ein eigenes Zimmer oder ohne einen eigenen Arbeitsplatz, mussten auf dem einzigen Smartphone der Familie – mit mehreren Geschwistern – am digitalen Unterricht teilnehmen und viele haben den Anschluss in der Schule verloren.
Sie konnten keine Praktika machen, bekamen keine Angebote der Berufsberatung und kaum Unterstützung bei Bewerbungen.
Kolleg_innen aus Jugendfreizeithäusern berichteten uns, dass „ihre“ Jugendlichen sich im Vorraum der Sparkasse trafen, um das Wlan nutzen zu können, da das Geld für die mobilen Daten fehlte.
Die Jugendämter verzeichneten nach dem Ende des harten Lockdowns einen Anstieg der Meldungen mit dem Verdacht auf Kindeswohlgefährdung. Viele Fachkräfte hatten davor gewarnt, dass Kinder und Jugendliche, die nicht zur KiTa bzw. zur Schule gehen können und hier regelmäßig „gesehen werden“ und die aus sehr belasteten Familien stammen, in der Pandemie besonders gefährdet sind.
Die Jugendverbände und -initiativen und die Kinder- und Jugendfreizeithäuser haben versucht, Kontakte zu halten, digitale Angebote zu machen, beim Homeschooling zu unterstützen, haben Arbeitsblätter ausgedruckt und Endgeräte verliehen und sie waren für Gespräche da. Zum Glück konnten im letzten Sommer einige Ferienfreizeiten stattfinden.
Die jungen Menschen benötigen finanzielle Hilfen für die digitale Ausstattung, Ferien- und Freizeitangebote zur Erholung, Präsenzunterricht an Schulen, solange wie dies vertretbar erscheint, eine zeitnahe Unterstützung durch pyschologische Berater_innen und vor allem ein Ende der Kontaktbeschränkungen.
Um die Angebote für Kinder und Jugendliche weiter aufrechterhalten zu können und diese noch auszubauen, benötigen die Träger der Jugendarbeit eine verlässliche Finanzierung.
In den letzten Monaten hat sich die Darstellung „der Jugend“ in der Presse und die Wahrnehmung in der Gesellschaft geändert. Die Bedeutung der Jugendzeit, die Wichtigkeit von gemeinsamen Aktivitäten für die Entwicklung und das Wohlergehen der Jugendlichen ist in der Öffentlichkeit und bei der Politik angekommen. Hoffen wir, dass dies Wirkung zeigt.
Wir fordern:
- die Belange von Kindern und Jugendlichen bei den Corona-Schutzmaßnahmen endlich stärker zu berücksichtigen,
- die Corona-Aufholpakete und Unterstützungsmaßnahmen für mindestens fünf Jahre zur Verfügung zu stellen,
- die Stärkung der Strukturen der Träger der Jugendarbeit und der Jugendhilfe, um dauerhaft verlässliche Angebote für Kinder und Jugendliche machen zu können.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!