Trotz – wie sich raus stellte – berechtigter Unwetterwarnung waren ca. 250 Menschen am Freitag Nachmittag dem Aufruf des Bochumer Bündnisses zu einer Kundgebung gefolgt unter dem Motto: „Solidarisch durch die Pandemie – Demokratie stärken!“ Eine Dokumentation der Beiträge wird morgen folgen. (Hier) Vorab schon einmal der abschließender Höhepunkt der Veranstaltung, ein mit viel Beifall bedachter Beitrag von Sebastian 23 (Foto): »Liebe Zuhörende, es ist schön zu sehen, dass sich heute so viele Menschen versammelt haben, um zu zeigen, dass Bochum solidarisch ist. Schon letzte Woche waren bei der Gegendemo auf dem Tana-Schanzara-Platz hunderte von Menschen versammelt, um Querdenken zu zeigen, dass Bochum stabil ist. Und zwar nicht nur stabil gegen Verschwörungsmythen, sondern vor allem auch gegen Rechts. Und das wollen die Querdenker natürlich nicht hören, dass da immer auch Rechte und Rechtsextreme nicht nur mitlaufen, sondern längst auch entscheidende Teile der Bewegung lenken.
Aber wenn ich so etwas öffentlich sage oder schreibe, dann brüllen sie mir immer entgegen, dass das nicht stimmt und dass ich eine verdammte linke Zecke bin, ein Vaterlandsverräter, der sein Maul halten soll, weil sie mich sonst anzünden. Das muss dieses „Frieden, Freiheit und keine Diktatur“ sein, von dem sie immer reden.
Vor wenigen Tagen kursierte im Netz ein Video einer Querdenkerin, die bei einem „Spaziergang“ ein Fernseh-Interview gab, ganz unverhohlen, es wurde sogar ihr Name eingeblendet. Und sie sagte, dass sie (Zitat) „weder für noch gegen Nazis sei“, die da so mit ihr spazierten. „Weder für noch gegen Nazis“, das muss man sich mal überlegen. Wenn man noch überlegen kann. Was glaubt sie, wer sie ist? Die Schweiz auf zwei Beinen oder was? „Ach ja, Rassenhass, Menschenjagd, Brandanschläge… naja, da bin ich mehr so neutral.“ Gnädige Frau, wenn Faschos Ausländer durch die Stadt hetzen, Asylbewerberheime anzünden und Hass und Hetze propagieren, dann ist man dagegen oder erklärt sich einverstanden damit, dass das eben passieren darf. Besser kann man Mitläufer nicht definieren, als einen Menschen, der eben einfach da mitläuft und mitmacht, wo Nazis ihr Ding durchziehen.
Und in aller Kürze, wahrscheinlich ist es heute schon einmal gesagt worden: Es sind auch und insbesondere die führenden Köpfe von Querdenken und den „Spaziergängen“, die offen rechts sind. Das fängt bei Michael Ballweg an, dem Kopf von Querdenken, der beste Kontakte in die Reichsbürgerszene hat und dort Veranstaltungen organisiert. Das geht weiter mit Martin Kohlmann und Stefan Hartung, den beiden Chefs der Partei „Freie Sachsen“, die für einen großen Teil der Spaziergänge in diesem Bundesland verantwortlich zeichnen. Martin Kohlmann ist 2020 vom Amtsgericht Verden wegen Holocaust-Verleugnung verurteilt worden und war Chef von „Pro Chemnitz“, sein Vertreter Hartung kommt aus der NPD. Beide werden auch vom Verfassungsschutz als Rechtsextreme eingestuft. Wer bei deren „Spaziergängen“ mitläuft, der ist nicht auf einer Demo, auf der zufällig auch Faschos unterwegs sind, sondern auf einer Demo, die von Rechtsextremen organisiert wurde.
Da gibt es nichts dran schönzureden, erst recht nicht in Deutschland. Wir haben eine historische Verantwortung, klar Position gegen Rechte zu beziehen – und was macht ihr Impfgegner stattdessen? Ihr näht euch einen gelben Stern auf die Jacke, auf dem „ungeimpft“ steht. Ihr vergleicht Impfungen mit den Menschenexperimenten von Mengele. Ihr beschimpft Impfbefürworter als „Faschisten“. Das ist nichts anderes als eine Relativierung des Holocaust und der Verbrechen der Nationalsozialisten. Und ihr solltet euch schämen. Und dann impfen. Beides.
Und dann kommen sie immer um die Ecke mit so Sprüchen wie „Ihr wollt doch den Lockdown“ oder „Ihr seid Schlafschafe“ oder gar „ihr habt einen Lockdown-Fetisch“. „Schlafschafe“ – das finde ich das schärfste. Das wird von Leuten ausgesprochen, die den Machern von Querdenken hinterherrennen. Eben schon erwähnt habe ich Michael Ballweg. Der Typ lässt sich Spenden auf sein Privatkonto schicken, als „Schenkungen“ getarnt – und damit muss er nicht nachweisen, wofür er das Geld verwendet.
Oder Reiner Füllmich, der als Anwalt seit 2020 eine Sammelklage gegen die Regierung in den USA ankündigte – und daran sollten sich Querdenkerinnen mit jeweils 800 Euro finanziell beteiligen. Die Sammelklage ist bis heute nicht eingereicht, die Kohle ist weg. Füllmich hat übrigens vor einem Jahr angekündigt, dass die Impfung 25% der Deutschen sofort umbringen würde. Na klar.
Oder Bodo Schiffmann, ebenfalls führender Kopf von Querdenken. Der hat im August 2021 angefangen, Spenden zu sammeln für die Flutopfer im Ahrtal. Satte 700.000 Euro sind so zusammengekommen – direkt auf das private paypal-Konto von Schiffmann. Und kein Cent davon ist inzwischen im Ahrtal angekommen. Als seine Spender deswegen unruhig wurden, hat Schiffmann die Flucht ergriffen und lebt nun in Tansania. Mit dem Geld.
Das sind die Leute, denen Querdenkerinnen hinterherrennen – aber klar, wer auf die WHO, die Bundesregierung oder eine überwältigende Mehrheit aller Wissenschaftlerinnen weltweit hört, ist ein Schlafschaf. Leuchtet ein. So, und kommen wir man zu dem Vorwurf, wir hätten einen „Lockdown-Fetisch“. Da krieg ich echt Blutdruck, wenn Querdenker glauben, sie seien die Einzigen, die keinen Bock mehr auf Pandemie, Masken, dauernde Tests, Quarantäne und Lockdown haben.
Leute, ich verspreche, wirklich alle sind genervt. Und ihr seid diejenigen, die am wenigsten zu einer Besserung der Lage beitragen. Glaub ihr wirklich, es macht irgendjemandem Spaß, dauernd diese Masken tragen zu müssen? Nein, wir machen das, weil es sein muss, um uns und andere zu schützen. Glaubt ihr wirklich, wir werden morgens wach und denken: „So, jetzt ne schöne Spritze in den Arm und dazu ein Dinkel-Croissant und ´nen entkoffeinierten Cappuccino, darauf hab ich Bock.“ Das ist doch völliger Quatsch – auch wir hassen Dinkel-Croissants und entkoffeinierten Cappuccino. Aber die Impfspritzen, die lieben wir wirklich, ist doch auch klar.
Come on, Leute, das ist nicht schwer zu verstehen – über 50% der Deutschen sind geboostert, über 95% der Intensivpatientinnen, die wegen Corona behandelt werden, sind nicht geboostert. Die Impfung wirkt nicht, ruft ihr immer – wie kommt ihr darauf? Guckt euch mal die Inzidenzen an und dann die Hospitalisierungsrate – das liegt doch nicht daran, dass Omikron eine Schmusemutation, die statt Spike-Proteinen von Flausch und Zuckerwatte umgeben ist. Das liegt daran, dass wir so viele Geimpfte und Geboosterte haben inzwischen. Glaubt ihr wirklich, dass es Menschen gibt, die den Lockdown und die soziale Isolation abfeiern? Also, ich feier die höchstens, weil ich dann weniger Leuten wie euch begegne.
Aber mal im Ernst: Ich bin ja heute eigentlich gar nicht hier, um mich in Rage zu reden, ich sollte eigentlich aus meiner persönlichen Perspektive erzählen. Und das ist einfach gemacht: Ich bin Autor und Poetry Slammer – vor der Pandemie stand ich rund 150 mal pro Jahr auf der Bühne. Für die Mathe-Füchse unter euch: Das ist etwa jeden zweiten Tag. Besonders reich geworden bin ich damit nie, das war aber auch nicht mein Ziel, sonst hätte ich keine Gedichte geschrieben, sondern Sammelklagen gegen die Bundesregierung. Aber ich hab damit meinen Lebensunterhalt bestritten, indem ich eben selbst auf der Bühne stand und nebenbei eine Veranstaltungsagentur gegründet habe. In dieser Agentur haben wir sechs Mitarbeitende, denn ja, ich hab das quasi unmögliche geschafft und neue Arbeitsplätze im Ruhrgebiet geschaffen. Mit Beginn der Pandemie ist mir für beide Tätigkeiten die Grundlage weggebrochen, zumindest im ersten Moment. Ich bin dann ins Internet umgezogen, sowohl als Autor, als auch als Veranstalter – in Streams, Tweets, Podcasts, YouTube-Videos, Artikeln, Blogs. Das ist natürlich eine Alternative und darüber bin ich auch sehr froh, denn so kann ich meine Miete zahlen und manchmal sogar was essen.
Aber wenn ihr denkt, ich wäre nicht verdammt froh, wenn diese ganze Scheiße endlich vorbei wäre, dann habt ihr euch vertan. Es ist nicht nur mein Job, sondern meine große Leidenschaft gewesen, auf Bühnen zu stehen, mit dem Publikum zu reden, kreativ zu sein unter Menschen und im täglichen Austausch zu stehen. Die Pandemie hat mich als Künstler erstmal ordentlich entkernt und es war für mich und viele Kolleginnen ein ausgewachsener Horrortrip, eine neue Orientierung zu finden, ein neues Tätigkeitsfeld zu finden und dabei irgendwie klarzukommen. Nicht nur finanziell, auch psychologisch, sind dabei nicht wenige ins Straucheln geraten. Und es ist immernoch nicht mal im Ansatz abzusehen, wie viele Leute sich von kreativen Berufen und Jobs in der Veranstaltungsbranche abgewandt haben, um anderswo ihr Glück zu versuchen.
Natürlich ist es akut dramatischer, dass wir so viele Pflegekräfte verloren haben und Menschen in sogenannten systemrelevanten Berufen. Aber nicht nur dort ist es der Bundesregierung nicht gelungen, die nötige Unterstützung zu bieten. Und bevor ihr jetzt denkt: „Ja, ist mir scheißegal, ob es in Zukunft noch Poetry Slams gibt. Ich mag eh keine Gedichte.“, bedenkt bitte, dass es auch weniger Musik geben wird, weniger Filme, weniger Bilder, weniger Serien, weniger Kunst. All das sind katastrophale Folgen der letzten zwei Jahre, die uns als Gesellschaft noch lange betreffen werden. Aber wenn ich aus diesen Gründen keinen Bock auf Lockdown und Maßnahmen habe, so ist mir doch gleichzeitig klar, dass diese Maßnahmen notwendig sind, um die Ursache hinter all dem zu bekämpfen – die Corona-Pandemie.
Und das schaffen wir nicht, indem wir gegeneinander arbeiten. Das geht nur, wenn wir zusammenhalten, solidarisch handeln und uns gegen die Spalter und Hetzer von Querdenken und „Spaziergängen“ wehren. Darum danke euch allen, dass ihr hier seid, dass ihr ein Zeichen setzt und dass ihr klarmacht: Bochum ist stabil, Bochum ist solidarisch. Danke.«
So wahr und auf den Punkt gebracht