Sonntag 10.10.21, 21:40 Uhr

Mutiger Widerstand kommt quasi nicht mehr vor 1


In ihrer Begrüßungsansprache zur Eröffnung der Ausstellung über Raphael Lemkin und die Fritz Bauer Bibliothek kritisierte Irmtrud Wojak die vorherrschende Erinnerungskultur, die im Faschismus häufig nur Opfer und Täter kennt und dabei vernachlässigt, den Widerstand gebührend zu würdigen und damit ermutigend zu wirken. Auszüge aus ihrer Rede: »Die deutsche Kultur der Erinnerung gilt mit ihrem in Jahrzehnten herausgebildeten, kollektivem Negativgedächtnis als besonders vorbildlich. Sie wird im Hinblick auf das bis dato singuläre Verbrechen des Holocaust als Erfolgsgeschichte mit Vorbildfunktion für Staaten in der Übergangsphase nach einer Diktatur international gepriesen. Diejenigen, die „Im Kampf um des Menschen Rechte“ ihr Leben riskierten, werden im Rahmen dieser Gedenkkultur als Opfer erinnert. Ihr mutiger Widerstand kommt in diesem Geschichtsbild vom Land der Täter und Opfer hingegen quasi nicht mehr vor. […]

Tatsächlich hat es sich im Rahmen der Erinnerungskultur eingebürgert, kaum noch an den Widerstand zu erinnern – mit den Ausnahmen Claus Schenk Graf von Staufenberg, Hans und Sophie Scholl und vielleicht noch Georg Elser an den Jahrestagen ihres Opfertodes. Entsprechend wird noch seltener öffentlich über den politischen Widerstand und den Kampf für Menschenrechte gesprochen. […] Diese Entkonkretisierung der Opfergruppen, die während des Nationalsozialismus verfolgt wurden und Widerstand leisteten, wird zwar teilweise auch kritisiert. Nach der deutsch-deutschen Wiedervereinigung von 1990 avancierte das Geschichtsbild aus hier Tätern und da Opfern jedoch zur viel gelobten bundesrepublikanischen Erfolgsgeschichte.
Erst in jüngster Zeit wird mehr und mehr Verantwortlichen bewusst, dass sich durch dieses “Verbrechen Erinnern“ allein, das die Gewalt und somit auch Ohnmachtsgefühle und Wut wiederaufleben lässt, weder ein Anwachsen von Rassismus und Nationalismus noch als dessen Kehrseite der Antisemitismus verhindern lassen. Ebenso wenig können durch bloße Appelle an Empathie und Mitgefühl mit Opfern und Überlebenden von Terror und Gewalt unsere freiheitlichen Werte und demokratischen Strukturen auf Dauer vor Auszehrung bewahrt und für alle Zukunft gesichert werden. Junge Menschen, die mit dem seit den 1990er Jahren vorherrschenden Geschichtsbild aufgewachsen sind – hier Täter und Zuschauer, dort Opfer und Überlebende – haben in nicht geringem Ausmaß den Bezug zur Geschichte verloren. Wie könnte es auch anders sein, wenn ihnen überwiegend der Eindruck vermittelt wird, niemand konnte etwas gegen das Unrecht und die Verletzung der Menschenwürde tun und wenn es doch jemand tat, dann war es vergeblich. […] Man kann dies auch so sagen: Die Geschichte von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Genozid darf nicht vergessen werden, schon gar nicht die ihrer Opfer. Jedoch genauso wenig die Geschichte ihres Kampfes und der Widerstand gegen Menschenrechtsverletzungen.«
Zur vollständigen Rede im Fritz Bauer Blog: Ohne Auftrag – Im Kampf um des Menschen Rechte


Ein Gedanke zu “Mutiger Widerstand kommt quasi nicht mehr vor

  • Ulli Sander, Dortmund

    In Dortmund wurde ein „demokratischer Freisler“ – so nennt er sich selbst – für die AfD in den Bundestag gewählt: Mattias Helferich. Freisler ließ tausende Menschen hinrichten. Sein Volksgerichtshof mordete die Studenten der Weißen Rose. Ermordet wurden Menschen nur deshalb, weil sie einen ausländischen Rundfunksender hörten. Um den jüngsten zum Tode Verurteilten, den 17jährigen Helmuth Hübener wegen sog. “Rundfunkverbrechen” und Verteilens von Flugblättern hinrichten lassen zu können, veranlassten Juristen wie Freisler die Senkung des Alters für die Todesstrafe. Schon vor 50 Jahren haben Nachkriegsbehörden Roland Freisler Absolution erteilt, indem sie davon ausgingen, dass der bei einem Bombenangriff ums Leben gekommene höchste Richter nach dem Krieg weiter in seinem Beruf aufgestiegen wäre. Daher wurde seiner Witwe Marion Freisler die Witwenrente der Kriegsopferversorgung um monatlich 400 DM für viele Jahre erhöht. Das war in einer Zeit, da Widerstandskämpfer:innen, die sowohl vor als auch nach 1945 als Kommunist:innen aktiv waren, ihre Entschädigungsrente wegen Verstoß gegen das KPD-Verbotsurteil entzogen wurde. – Zu sagen, es werde nur an Täter und Opfer erinnert, nicht an Widerstandskämpfer, ist allerdings nicht ausreichend. Es werden Stolpersteine für die Opfer gelegt, unsere Organisation, die VVN-BdA begrüßt dies und ergänzt: Es muss auch Warntafeln vor den Tätern geben, den Tätern aus dem Kreis der ökonomischen Eliten. Namen wie Krupp-Straße müssen abgeschafft werden. Es wird viel rassistischer Tamtam um die arabischen Clans gemacht, aber niemand spricht über den Quandt-Clan, der 1945 hunderte Zwangsarbeiter in den Tod in der brennenden Scheune von Gardelegen-Isenschnibbe schickte und seine vielen Millionen, die er durch Sklavenarbeit der Zwangsarbeit erzielte, nie den Überlebenden zahlte.

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