Sonntag 18.02.18, 16:34 Uhr
Senkung der Mietobergrenzen für Leistungsberechtigte

Politisch gewollte Armut 6


Bochum Prekär erklärt, wie das rot-grün regierte Bochum zukünftig ca. 2 Mio Euro bei den Mietkostenübernahmen für Bedarfsgemeinschafdten weniger ausgeben will: »Auch in Bochum ist Wohnraum knapper und teurer geworden. Trotzdem hat der „Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales“ weder Geld noch Mühe gescheut, die Mietobergrenzen für Leistungsberechtigte in den Rechtskreisen Hartz IV, Grundsicherung und Weitere abzusenken. In seiner Sitzung vom 24.01.2018 hat er die (wissenschaftlich unzureichenden) Erhebungen und Ausführungen der Verwaltung zum Anlass genommen, sich von einer Berücksichtigung des NRW-Betriebskostenspiegels zu verabschieden und die anzuerkennenden Betriebskosten in allen Bedarfsgemeinschaft-Größen (ausser „Singles“ und fünfköpfige Bedarfsgemeinschaften) abzusenken. Fraglich bleibt auch, ob der Rückgriff auf EMPIRICA-Daten verlässlich die Verfügbarkeit von Wohnungen am Wohnungsmarkt wiedergeben kann. Es ergeben sich folgende neuen Richtwerte:

Personen im Haushalt Richtwert m² Bruttokaltmiete EUR mtl. bisher EUR mtl
1 50 366,50 364,50
2 65 457,60 466,05
3 80 542,40 573,60
4 95 624,15 681,15
5 110 762,30 788,70
6 125 768,75 896,25

Ab einer Haushaltsgröße von 7 Personen bzw. einer Wohnungsgröße von 140m² wurde festgestellt, dass Wohnraum, der dem ermittelten Richtwert entspricht, nicht mehr in ausreichendem Umfang verfügbar ist. Ab dieser Haushaltsgröße sei daher die Prüfung der Angemessenheit „nach den Umständen des Einzelfalles“ vorzunehmen.

Die Zahlen sind entnommen dem Dokument „Ausführung des neuen schlüssigen Konzeptes ab dem 01.12.2017„, das neben eben diesem „Schlüssigen Konzept“ und Erläuterungen zu „Angemessenheit laufender Kosten und Verteilung“ zu finden ist im Ratsinformationssystem der Stadt Bochum.
Die bisher gültigen Mietobergrenzen finden sich hier und hier:

In o.g. Sitzung hat der Sozialausschuss einen „Bestandsschutz“ eingerichtet für Menschen, deren Wohnungen bislang preislich angemessen waren und die jetzt Probleme kriegen würden.

Allein die FDP/Stadtgestalter haben die Verschlechterungen abgelehnt, während die Linkspartei sich in allen Punkten enthalten hat. Sie haben wohl nicht mehr durchgeblickt und sich „politikfähig“ verhalten. Das Abstimmungsergebnis.

Zudem wurde die „Wirtschaftlichkeitsgrenze“ für Wohnungskosten geringfügig über der Mietobergrenze erhöht auf 10%, mindestens aber 60,– Euro. Hier wäre eine Umzugsaufforderung unwirtschaftlich.

Da fraglich bleiben muss, ob diese Sätze einer gerichtlichen Überprüfung standhalten wird Betroffenen geraten, eine Beratungsstelle aufzusuchen. Adressen sind hier zu finden.

Im Jahr 2016 wurden bundesweit 594 Mio. Euro Wohnkosten nicht von den Jobcentern übernommen.

In Bochum dürfte der Betrag bei 2 Millionen Euro jährlich liegen, die von den Betroffen aus dem kargen Regelsatz abgeknappst werden müssen.

Dazu hat das Bündnis „AufRecht bestehen“ eine Kampagne gestartet: Wohnen ist Menschenrecht für alle!

Auch Diakonie und Caritas werden aktiv: Diakonie-Caritas-Kampagne: Jeder Mensch braucht ein Zuhause

Eine Übersicht über die sozialpolitischen Positionen der Kampagne findet sich hier.

 


6 Gedanken zu “Politisch gewollte Armut

  • Rolf

    Hallo,

    zugegeben, bei Abstimmungen der politischen Gremien durchtzublicken, ist manchmal etwas schwierig. Deshalb nur als Richtigstellung, obwohl in der Niederschrift der Sitzung alles richtig dokumentiert ist:

    Die Darstellung, dass sich die Linksfraktion bezüglich der Absenkung der Mietobergrenzen in allen Punkten enthalten habe, ist falsch.

    Die Linksfraktion hat sowohl dem Antrag zugestimmt, dass das angeblich „schlüssige Konzept“ nicht zur Anwendung kommen soll – als auch anschließend dem von ihr selbst hilfsweise eingebrachten Änderungsantrag, dass die Verwaltung auf den zentralen Berechnungstrick verzichten soll, der zu den Kürzungen führt.

    Hier ist nachzulesen, wie die Abstimmungen tatsächlich verlaufen sind: http://linksfraktionbochum.de/2018/02/newsletter-1-2018-grosse-verschlechterungen-kleine-erfolge/#zwei

    In ihrem Redebeitrag (http://linksfraktionbochum.de/2018/01/rede-keine-hartz-iv-kuerzung-bei-den-mieten/) hat die Vorsitzende der Linksfraktion Sevim Sarialtun mehr als deutlich gemacht, dass erste Priorität der Linksfraktion ist, dass die Absenkung durch das neue angeblich „schlüssige Konzept“ nicht in Kraft treten darf. Nach der Ablehnung dieses Antrags (gegen die Stimme der Linksfraktion – sie hat sich NICHT enthalten, sondern natürlich zugestimmt!) wurde dann über den von der Linksfraktion selbst hilfsweise eingebrachten Antrag abgestimmt, dass zumindest die vollständigen Betriebskosten in Höhe des Betriebskostenspiegels NRW einbezogen werden sollen, wodurch wenigstens eine Absenkung der „Angemessenheitsgrenzen“ verhindert worden wäre. (Der Antrag im Wortlaut: http://linksfraktionbochum.de/wp-content/uploads/2018/01/2018-01-18-AGS20-A%CC%88nderungsantrag-Neufassung-KdU.pdf) Auch bei ihrem eigenen Antrag hat sich die Linksfraktion NICHT enthalten, sondern ihm natürlich zugestimmt.

    Erst nachdem auch dieser Antrag gegen die Stimme der Linksfraktion abgelehnt war, hat sie sich in Bezug auf den SPD/Grünen-Antrag mit der nicht ausreichenden „Bestandsschutz-Regelung“ usw. enthalten.

    Nachdem die Ausschuss-Mehrheit die beiden vorherigen Anträge leider abgelehnt hat, wäre es schwierig gewesen, gegen den Antrag mit der „Bestandsschutz“-Regelung zu stimmen, weil die Ablehnung dieses SPD/Grünen-Antrags durch den Ausschuss in dieser Situation zur Folge gehabt hätte, dass das „schlüssige Konzept“ sogar ohne die natürlich längst ausreichenden minimalen Korrekturen in Kraft getreten wäre.

    Die Darstellung, dass die FDP/Stadtgestalter mit ihrer Stimme gegen den SPD/Grünen-Antrag gegen die Kürzungen gestimmt hätten, ist also falsch. Sie haben damit lediglich gegen die oberflächlichen Entschärfungen gestimmt, zu denen SPD/Grüne letztendlich bereit waren. Denn das „schlüssige Konzept“ selbst wäre auch ohne Beschluss dieses Antrags in Kraft getreten, dann halt eben ohne „Bestandsschutz“ usw. (Richtig wäre allenfalls gewesen, dass diese Fraktion genauso wie die Linksfraktion mit ihrer Stimme für den ersten Antrag, der in diesem Bericht überhaupt nicht erwähnt wurde, gegen die Kürzungen gestimmt haben.)

    Viele Grüße
    Rolf

  • Rolf

    Im letzten Satz des vorletzten Absatzes ist mir ein „nicht“ verloren gegangen. Natürlich sollte es heißen: „[…] ohne die natürlich längst NICHT ausreichenden minimalen Korrekturen […]“

  • Ralf Feldmann

    Die Linke wollte die Absenkung der Mietobergrenzen „eigentlich“ nicht: das zeigt ihr -abgelehnter – Änderungsantrag, ebenso die engagierte Rede von Sevim Sarialtun. Unverständlich bleibt, warum sie sich zur rotgrünen „weissen Salbe“, die Rolf als minimale Korrekturen beschreibt, „nur“ enthalten und nicht dagegen gestimmt hat. Die Minimalkorrekturen wären doch auch bei einer Neinstimme der Linken durchgekommen. Die Irritation von Bochum Prekär ist also verständlich, die Darstellung, wonach sich FDP/Stadtgestalter durch Ablehnung des Antrags als soziale Wohltäter profiliert hätten, ist allerdings irreführend: denen war die „weisse Salbe“ schon zuviel.

  • Norbert Hermann

    Aufhübschung einer bösen Tat
    .
    Ich bin grundsätzlich kein Freund der „FDP/Stadtgestalter“ und habe mich auch wegen ihrer Ablehnung eines Abschiebeschutzes für Menschen aus Afghanistan entsetzt und empört an sie gewandt (ohne eine Antwort zu erhalten). Sie verfügen aber oftmals über eine erstaunliche Sachkunde. So auch hier: mit ihrem Antrag lehnen sie dieses sog. „Schlüssige Konzept“ ab und verweisen auf die Regelung, die das Bundessozialgericht für solche Situationen vorgesehen hat. Dem hat die Linksfraktion auch zugestimmt.
    Die Enthaltungen der Linksfraktion bei den verschiedenen Punkten des Antrages der Koalition signalisiert dass da doch noch etwas Positives dran sei. Ist es aber nicht, es ist eine scheinbare Aufhübschung einer bösen Tat. Ein Schein der schnell verblaßt.
    .
    Der Antrag der „FDP/Stadtgestalter“:
    “ … Der Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales möge folgende Ersetzung beschließen:
    1. Das aktuelle „Schlüssige Konzept“ kommt nicht zur Anwendung.
    2. Die Verwaltung wird beaufragt, zur ErmiHlung des realen Marktgeschehens eigene Daten zu erheben, die der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes zu den Vorgaben eines „Schlüssigen Konzeptes“ Rechnung tragen. Die Umsetzung ist in einer Richtlinie/ Handlungsanleitung der Verwaltung zu erläutern.
    3. Bis zur Vorlage und Beschlussfassung eines so neu zu erarbeiteten „Schlüssigen Konzeptes“ greiF die Verwaltung auf die Tabelle des § 12 Wohngeldgesetz zurück. …“
    .
    Quelle: https://session.bochum.de/bi/to0050.asp?__ktonr=176190

  • Ralf Feldmann

    Meine Polemik gegen die FDP/Stadtgestalter in dieser Sache nehme ich mit Bedauern zurück. Ich hätte mich besser informieren können statt reflexartig „draufzuhauen“.

  • Rolf

    @Ralf und Norbert: Ich gebe ja zu, es ist ein bisschen kompliziert, aber soooooo kompliziert nun auch wieder nicht. Wenn die Abläufe euch trotzdem noch „unverständlich“ sind, probiere ich es noch einmal zu erklären.

    Ausgangssituation: Die Verwaltung hat ein neues angeblich „schlüssiges Konzept“ mit den zusammengekürzten „Angemessenheitsgrenzen“ vorgelegt. Wird sie nicht durch einen Mehrheitsbeschluss in den politischen Gremien zurückgepfiffen, setzt sie das neue Konzept im Rahmen ihres Verwaltungshandelns wie vorgelegt um.

    Wichtig zum Verständnis: Anders als es „Bochum Prekär“ in seinem Beitrag möglicherweise den Eindruck erweckt, ist kein Beschluss notwendig gewesen, um das neue Konzept in Kraft treten zu lassen, sondern lediglich, wenn die Verwaltung angewiesen werden sollte, es entgegen ihrer eigenen Pläne nicht in Kraft treten zu lassen. Oder, wenn die Verwaltung beauftragt werden soll, das Konzept zu ändern.

    In dieser Situation gab es nun drei aufeinanderfolgend behandelte Anträge im Ausschuss, bei denen jeweils zwischen folgenden inhaltlichen Alternativen abgestimmt wurde:

    1. In der ersten Abstimmung ging es um die Frage, ob das Kürzungskonzept vollumfänglich zurückgewiesen werden soll oder nicht.

    —> Hier hat die Linksfraktion hat natürlich dafür gestimmt, dass das Konzept nicht in Kraft treten soll, also dass es vollumfänglich zurückgewiesen wird. Dieser Antrag wurde leider von der Mehrheit (SPD/CDU/Grüne) abgelehnt.

    2. In der zweiten Abstimmung ging es dann um die folgende Frage: Wenn der Ausschuss schon nicht bereit ist, die Verwaltung zu beauftragen, das angeblich „schlüssige Konzept“ insgesamt zurückzuziehen – soll das Konzept dann zumindest in dem zentralen Punkt korrigiert werden, durch den es zu der Senkung der „Angemessenheitsgrenzen“ kommen würde?

    —> In dieser zweiten Abstimmung hat die Linksfraktion natürlich dafür gestimmt, dass das Konzept dann zumindest so geändert wird, dass es zu keinen Kürzungen kommt. Dieser Antrag wurde von der Mehrheit (SPD/CDU/Grüne) leider ebenfalls abgelehnt.

    3. Bei der Abstimmung über den dritten Antrag ging es danach nur noch um die Frage, ob das Kürzungskonzept in der ursprünglich von der Verwaltung vorgelegten Form in Kraft treten soll, oder mit den von SPD/Grünen vorgeschlagenen Änderungen.

    —> Weil die Linksfraktion aber weder dafür war, dass das Kürzungskonzept in der von der Verwaltung vorgeschlagenen Version in Kraft tritt, noch dafür, dass es in der von Rot-Grün gewünschten Form in Kraft tritt, konnte sie hier weder mit „Ja“ noch mit „Nein“ stimmen. Damit blieb bei dieser dritten Frage nur die Enthaltung.

    Beste Grüße
    Rolf

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