Hier auf dem Bochumer Hauptfriedhof befinden sich zwei Grabfelder, 19 und 34, in denen insgesamt 1720 Zwangsarbeiter*innen begraben sind, die hier in Bochum im Nationalsozialismus starben.
Die Zwangsarbeiter*innen kamen zum größten Teil aus Polen, der Sowjetunion, Jugoslawien, Belgien und Frankreich.
Insgesamt mussten mehr als 30.000 Menschen in Bochum Zwangsarbeit leisten. Es gab mehr als einhundert Lager und Unterkünfte für Zwangsarbeiter*innen, die meisten von ihnen waren eingesetzt im Bergbau, in Stahlwerken oder in der Rüstungsindustrie.
Sie sollten den Mangel an Arbeitskräften, der durch den Kriegseinsatz entstand, ausgleichen. Zwangsarbeiter*innen oder Zivilarbeiter*innen, wurden oftmals mit falschen Versprechungen aus den besetzten Gebieten nach Deutschland geholt. Später wurden sie gewaltsam nach Deutschland gebracht, es wurden aber auch Häftlinge in sogenannten „KZ-Außenlagern“, wie es mehr als einhundert in Bochum gab, aus ihren „Stammlagern“ transportiert, um unter fürchterlichen Bedingungen Zwangsarbeit zu verrichten. Dabei verzeichnet der Bochumer Verein den größten Einsatz von Zwangsarbeiter*innen.
Zwangsarbeiter*innen mussten widrige Bedingungen, Beleidigungen und Gewalt ertragen.
Trotz, oder gerade wegen dieser Bedingungen gab es auch unter den Zwangsarbeiter*innen Widerstand.
Widerstand in der Zwangsarbeit war sehr unterschiedlich ausgeprägt, zeigte sich aber vor allem in kleineren Aktionen, die dem Erhalt der eigenen Würde, der Gegenseitigen Hilfe und dem Überleben dienten. Organisierten Widerstand gab es vereinzelt. Sicher ist aber, dass jegliche Widerstandshandlungen mit einem hohen Risiko und im Extremfall schwersten Folgen wie Deportierung in ein Konzentrationslager oder Hinrichtung verbunden waren.
Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs war es Zwangsarbeiter*innen noch möglich Heimaturlaub zu machen. Verletzte, Kranke oder Schwangere Zwangsarbeiter*innen konnten für den Zeitraum der Genesung in die Heimat zurückkehren. Dies nutzten viele aus, um in der Heimat unterzutauchen und so der Versklavung zu entfliehen, andere verletzten sich selbst oder versuchten schwanger zu werden, um so der Zwangsarbeit zu entkommen und in der Heimat unterzutauchen und sich somit der Zwangsarbeit zu widersetzen.
Diese Möglichkeit gab es alsbald aber nicht mehr, da das NS-Regime die Strategien Durchschaute und die Rückkehr in die Heimat untersagte. Auch war diese Möglichkeit der Flucht je nach Herkunft der Zwangsarbeiter*innen eingeschränkt, Menschen aus Polen oder der Sowjetunion mussten beispielsweise durch Besatzungs- oder Kriegsgebiete fliehen, um in Ihre Heimat zu gelangen, was ihnen die Flucht deutlich erschwert hätte.
Andere versuchten durch Ihre Arbeit Widerstand zu leisten, indem sie verlangsamt arbeiteten oder sogar mangelhafte Ware produzierten, beides Versuche den NS-Staat, wenn auch nur geringfügig, zu schwächen.
Wie viel hier noch offen und zu erforschen ist, wird auch deutlich am Beispiel des ehemaligen Zwangsarbeiterlagers in der Bergener Straße in Bochum. Während der Ort durch die Arbeit der Initiativgruppe Bergener Straße etwas mehr in den Fokus der Stadt gekommen ist, ist vieles weiterhin unklar. Konkrete Beispiele für Widerstand, den es auch im Lager Bergener Straße gegeben haben wird, sind nur schwer zu finden: Zeitzeug*innen leben kaum noch, Dokumente über den Widerstand wurden zerstört oder sind nur schwer zu finden. Auch deshalb ist es wichtig, dass wir darüber sprechen und an die Akte des Widerstands erinnern, von denen wir wissen.
Wir möchten eine Geschichte als Beispiel der vielen Zwangsarbeiter*innen vorstellen:
Adrianus de Leeuw, geboren am 9.6. 1926 in Tilburg in den Niederlanden, liegt hier auf dem Hauptfriedhof auf dem Grabfeld 19A, Reihe M, Grab 14.
Im Alter von nur 15 Jahren ist er, zunächst wohl aus Überzeugung nach Deutschland gereist, um als sogenannter Zivilarbeiter in Deutschland zu arbeiten.
Adrianus arbeitete zunächst in Essen als Bergmannslehrling und lebte im Zwangsarbeiterlager Rabenhorst des Unternehmens Krupp. Nach wenigen Monaten kehrte er zunächst in die Niederlande zurück. Im März 1942 kam er wieder nach Deutschland, diesmal gemeinsam mit seinem 15-jährigen Bruder. Beide wurden im März 1942 als Arbeiter bei der Zeche Sälzer-Amalie, einem Steinkohle-Bergwerk in Essen, registriert. Hier schien die Zwangsarbeit, die sie verrichteten, zu viel zu werden. Denn am 30. März 1943 flohen beide, ein Zeichen des Widerstands. Eine Liste der Zeche vermerkt ihren Verbleib ab dem Datum als „Ausgeblieben“.
Dem jüngeren Bruder scheint die Flucht gelungen zu sein. Adrianus Name allerdings taucht in einer weiteren Arbeiter*innenliste der Krupp-Werke auf, dort ist er vom 3.5.1943 bis zum 25.8.1943 geführt mit dem Vermerk „Vertragsbruch“. Was dieser Vertragsbruch war, lässt sich nicht rekonstruieren, allerdings war er daraufhin für 1 ½ Jahre im Polizeigefängnis Bochum inhaftiert, bevor er im Alter von 18 Jahren am 8.1.1945, laut Vermerk an Lungentuberkulose, dort verstarb.
In seiner Todesanzeige heißt es „Da er die Misshandlungen nicht ertragen konnte, wurde er körperlich ausgelaugt und langsam ausgezehrt.“ Diese Aussage passt sicher zu den Quellen und dem Verlauf seiner Zeit als Zwangsarbeiter und Gefangener in Bochum. Es beschreibt aber gleichzeitig auch das Schicksal der meisten Zwangsarbeiter*innen.
Auch wenn er zu Beginn „freiwillig“ nach Deutschland kam und sogar seinen Bruder überredete ihn zu begleiten, müssen wir sein junges Alter bedenken und die falschen Versprechungen, die ihm womöglich gemacht wurden. Bei seinem Heimaturlaub nach wenigen Monaten schien er noch überzeugt, sprach lieber Deutsch als Niederländisch und brachte seinen Bruder dazu, ihn zu begleiten. Nach weiteren 10 Monaten Zwangsarbeit ergriffen die Brüder allerdings die Flucht und widersetzen sich somit aktiv. Adrianus entkam diesem System, anders wie sein Bruder, nicht. Adrianus wurde nur 18 Jahre alt.
Heute wollen wir daher an Ihn und all diejenigen erinnern, die, in welcher Form auch immer, Widerstand geleistet und sich der Ausbeutung durch das NS-Regime widersetzt haben. Dazu gehören auch die vielen Geschichten von mutigem Widerstand, die nicht mehr erzählt werden können. Gedenken wollen wir auch den Überlebenden und Opfern des Nationalsozialismus.
Ihrem mutigen Handeln unter schwersten Bedingungen und Gefährdung des eignen Lebens wollen wir eine Stimme geben und uns dafür einsetzen, dass Ihre Geschichte lebendig bleibt.
Lassen wir uns ihr mutiges Handeln als Vorbild dienen, auch in heutigen Zeiten des erstarkenden Faschismus, den wachsenden Bedrohungen von Rechts und der Normalisierung rechter Positionen in Politik und Gesellschaft wachsam entgegenzutreten, „Nein“ zu sagen und uns für Menschenrechte und Demokratie einzusetzen.
Jennifer Haas und Magdalena Köhler, Fritz Bauer Forum