Donnerstag 09.05.24, 19:15 Uhr
Uli Borchers am 8. Mai 2024 auf dem Friedhof Freigrafendamm in Bochum

Worte können sein wie winzige Arsendosen


Ich begrüße alle, die heute hierher gekommen sind, um an den Jahrestag der Befreiung von Krieg und Faschismus vor 79 Jahren zu erinnern. Wir werden heute Reden hören über diejenigen Frauen und Männer aus ganz Europa, die von der faschistischen Diktatur, der Wehrmacht, der Gestapo, der SS verfolgt, vertrieben, verhaftet, getötet, ermordet und zur Zwangsarbeit gezwungen wurden. Wir hören Berichte, Erfahrungen und Beispiele vom Widerstand gegen das verbrecherische System. Diese Begrüßung und Eröffnung soll deshalb nichts vorwegnehmen, soll aber eine Einstimmung sein zu diesem wichtigen Gedenktag.

Geschichtliche Ereignisse, vor allem die des Deutschen Faschismus von 1933 bis 1945, dürfen nicht vergessen werden, müssen immer präsent sein.
Die Verbrechen des Faschismus, die Zerschlagung von Arbeiterbewegung und dem parlamentarischen System, der Terror nach Innen und nach Außen gegen den Widerstand in allen Europäischen Ländern, die Verbrechen der Wirtschaft bei den Eroberungskriegen im Westen und im Osten sind einmalig, einzigartig brutal gewesen und müssen auch so bezeichnet werden

8. Mai 1945 ?:
– Faschismus in Deutschland ist in der Tat Geschichte, seinen Charakter darzustellen ist allen Wissenschaftlern und HistorikerInnen gelungen.
Wir wissen Alles über die Hitler-Diktatur.
– Je länger dieser Zeitraum zurückliegt desto schwerer ist es, die Frage zu beantworten „was hat das mit den gesellschaftlichen Verhältnissen zu tun, in denen wir heute leben“?

Und in diesen Verhältnissen ist zu finden
– das sich immer weiter ausbreitende Gift des Nationalismus,
– eine rechtsextreme Partei, die Millionen WählerInnen findet,
– eine Rechtsentwicklung in allen bürgerlichen Parteien

Ich habe zwei Bücher herangezogen, um vielleicht dort eine Antwort zu finden!
Victor Klemperer schreibt in seinem Buch „LTI-Lingua Tertii Imperii-Sprache des Dritten Reiches“ (S. 25-26) :„…der Nazismus glitt in Fleisch und Blut der Menge über durch die Einzelworte, die Redewendungen, die Satzformen, die er ihr in millionenfachen Wiederholungen aufzwang, und die mechanisch und unbewußt übernommen wurden….

Aber Sprache dichtet und denkt nicht nur für mich, sie lenkt auch mein Gefühl, sie steuert mein ganzes seelisches Wesen…

Worte können sein wie winzige Arsendosen: Sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun und nach einiger Zeit ist die Wirkung doch da“.

Sind wir da nicht ganz aktuell bei Gauland: „Fliegenschiss, Entsorgung in Anatolien, Wir werden Sie jagen…“; Höcke :„Denkmal der Schande…“ oder Alice Weidel.

Ein Beispiel nur aus den Reihen der CDU.
Vor einem Jahr ungefähr erklärte Friedrich März Die Grünen zum Hauptfeind im Lande!
Gab es damals keine AfD?
Wenn Sprache so eingesetzt wird, geht es immer um Diffamierung, in diesem Fall ist es auch eine Verharmlosung der Demokratiegefährdung durch die AfD!!
Wo ist denn jetzt die Lösung?
Oder die Möglichkeit, die Verhältnisse wieder zu verbessern?
Theodor Adorno hält 1967 einen Vortrag über „Aspekte des neuen Rechtsradikalismus“. Andere Zeiten, andere politischen Hintergründe, aber mit Einschätzungen, die heute wieder oder immer noch gelten:
„Der Rechtsradikalismus (ist) kein psychologisches und ideologisches Problem, sondern ein höchst reales und politisches.“
„Das sachlich Falsche, Unwahre seiner eigenen Substanz zwingt ihn (den R.), mit ideologischen, d.h. in diesem Fall mit propangandistischen Mitteln zu operieren.“
Adorno setzt auf die „durchschlagende Kraft der Vernunft“ um dem Rechtsradikalismus „entgegen(zu)arbeiten“.
Und sagt :“Wie diese Dinge weitergehen und die Verantwortung dafür, wie sie weitergehen, das liegt in letzter Instanz an uns“.
Das klingt wie eine „Binse“, es ist wahr, aber es ist nicht genug.
Vernunft alleine wird nicht reichen, den Rechtstrend in der Gesellschaft aufzuhalten!
Wir brauchen Menschen, die sich engagieren, organisieren und sich wehren! Solche wie uns!
Wir brauchen Gedenktage wie heute!
Wir brauchen Aktionen auf den Straßen!

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Uli Borchers,Bochumer Bündnis gegen Rechts

Quellen:
-Theodor W. Adorno Aspekte des neuen Rechtsradikalismus
Suhrkamp Verlag Berlin 4.Auflage 2019

-Victor Klemperer LTI
Reclam Taschenbuch Nr.20365, 26. Auflage Stuttgart 2016