Sonntag 17.12.23, 20:43 Uhr
Redebeitrag des Unterstützer:innenkreises Kohlenstr135 am 16. 12. 2023 auf der Demonstration "Klaus bleibt – gegen Zwangsräumung und Abriss"

Wenn Wohnraum als Ware gehandelt wird


Der rechtliche Kampf, den du, Klaus seit Jahrzehnten um dein Zuhause führen musst, ist noch nicht verloren. Und zusätzlich sind alle Leute, die hier stehen oder die die Kundgebung bereits verlassen haben sowie die bereits über 250 Unterzeichner*innen der Petition von Genug ist Genug, mit dir in einen politischen Kampf gegen das Unrecht eingetreten, das die Stadt hier anrichten will.

Der Plan, die Häuserreihe hier in der Kohlenstraße abzureißen, hat sowohl einen inhaltlichen Bezug zur Wohnungskrise als auch zur ökologischen Frage. Das hast du, Klaus, bei der Veranstaltung in der Ko-Fabrik schon erwähnt, und wir haben heute schon von Fridays For Future und Stadt Für Alle etwas dazu gehört. Und es zeigt sich sehr deutlich der krasse Gegensatz zwischen den Bedürfnissen von Klaus zu den Prioritäten der Stadt. Durch den drohenden Abriss und durch die angekündigten Zwangsräumung werden also zahlreiche Probleme sichtbar, die ganz sicher keine individuellen sind. Und diese Probleme sind nicht nur in ihrem Ausdruck, sondern, davon bin ich überzeugt, auch in ihrer Ursache verbunden. Die Ursache liegt darin, dass Wohnraum, genau wie die meisten anderen gesellschaftlichen Ressourcen, in Deutschland als Waren gehandelt bzw. vermietet werden.

Holen wir ein bisschen aus. Wohnraum ist nicht für alle Menschen gleich da. Je knapper günstiger Wohnraum ist, desto höher sind die Mieten. Wer lediglich über ein niedriges bis mittleres Einkommen verfügt, hat selbst in Bochum mittlerweile schon Schwierigkeiten ein lebenswertes Zuhause zu finden. Und die ökonomisch am schlechtesten gestellten Personengruppen, die also auch am meisten unter den steigenden Mieten leiden, sind nach wie vor alleinerziehende Frauen, migrantisierte Menschen und Kinder.

Maßnahmen wie die Mietpreisbremse haben diese Probleme bisher schon nicht lösen können, und nun kommt noch die Inflation dazu. Neben effektiven Maßnahmen, welche die Miethöhe begrenzen, braucht es also auch Löhne und Sozialleistungen, von denen man gut leben und wohnen kann; und gute Löhne sind, am Rande bemerkt, nur Löhne, die die strukturelle Missachtung von Fürsorge und der Arbeit von weiblichen und migrantisierten Menschen nicht weiter fortschreiben.

Je knapper günstiger Wohnraum ist, desto höher sind nicht nur die Mieten, sondern desto größer ist auch die unmittelbare Macht auf Anbieter:innenseite. Die Wohnungskrise hat in nahezu allen Großstädten zu einer Situation geführt, in der auf eine freie Wohnung teilweise hunderte Bewerber:innen kommen, zwischen denen die Vermieter:innen sehr selektiv auswählen können. Bei diesen Auswahlprozessen werden erneut Benachteiligungen wirksam. Während WGs oder mehrköpfige Familien teilweise schon nicht gern gesehen sind, weisen Studien vor allem auf die Diskriminierung von queeren Paaren und auf die Benachteiligung von Menschen mit Namen oder einem Aussehen hin, dass von Vermieter:innen als „nicht deutsch“ wahrgenommen wird. Um stark segregierte Städte zu vermeiden wäre es schonmal ein Anfang, wenn das Menschenrecht auf Wohnen und Diskriminierungsverbote tatsächlich politisch und gerichtlich durchgesetzt würden.

Die beschriebenen Problemlagen werfen darüber hinaus auch ganz grundsätzlich die Frage nach der Sinnhaftigkeit von Privateieigentum auf, und zwar vor allem dort wo es um die Sicherung der Daseinsvorsorge geht. Generell besteht eine sehr ungleiche Verteilung des Besitzes von Wohneigentum und das tut natürlich seinen Teil zum Anwachsen sozialer Ungleichheit. Private Eigentümer:innen und insbesondere Immobilienkonzerne, haben ein strukturell angelegtes Interesse daran, dass ihre Investitionen sich auszahlen. Neben größtmöglichen Gewinnen, rührt das auch daher, dass sie weiterhin attraktiv für Investor:innen sein müssen, um sich auf dem Markt zu behaupten. Dieses Interesse ist somit nicht etwa Ausdruck eines moralischen Verfalls, sondern Produkt der herrschenden Verhältnisse. Dementsprechend sind die beschriebenen Probleme durch rechtliche Regelungen nur geringfügig einzudämmen, solange der Wettbewerb und die Möglichkeit Gewinne zu erzielen, nicht grundlegend infrage gestellt werden. Es läuft also darauf hinaus, dass die Wohnungskrise – wie bereits einleitend erwähnt – schon dort beginnt, wo Wohnraum als Ware behandelt wird.

Der eigene Wohnraum ist häufig einer der intimsten Orte, und wenn auch besonders für viele FLINTAs und Kinder ein Gewaltraum, so ist er in unserer Gesellschaft doch der zentrale Raum unserer privat stattfindeden Reproduktion. Das heißt: hier ziehen wir uns zurück, erholen uns, kochen unser Essen, treffen unsere Liebsten und so weiter. Dennoch verfügt der Großteil von uns, also alle die Mieter:innen sind, nicht selbst über diesen sehr zentralen Bestandteil ihres Lebens. Die Häuser gehören also meistens nicht denen, die darin leben. Besonders gewaltvoll werden wir an diesen Umstand erinnert, wenn es zu Zwangsräumungen kommt. Die Anzahl der Zwangsräumungen, von denen viele direkt in die Obdachlosigkeit führen, schwankt in Bochum jährlich zwischen 150 und über 300. Der Zweck der Räumung beläuft sich meistens lediglich auf eine vermeintlich profitablere Nutzung des Wohnraums, und allein dafür werden jährlich hunderte Menschen ihrem Zuhause beraubt, werden psychische Krisen und Suizide bewusst in Kauf genommen.

Hier am Beispiel der Kohlenstraße sehen wir, dass der Staat nicht nur Eigentum garantiert, indem er Zwangsräumungen gerichtlich absegnet und durch seine Exekutive durchsetzen lässt, sondern dass er auch den Umgang mit seinem eigenen Eigentum viel zu oft dem ökonomischen Mantra der Gewinnmaximierung unterwirft. Im Gerichtsprozess, den Klaus seit Jahrzehnten für den Erhalt der Wohnhäuser kämpft, beruft sich die Stadt Bochum explizit auf die Unwirtschaftlichkeit dieser Häuserreihe vor der wir gerade stehen. Damit beweist sie einmal mehr: Wohnen ist, in der bestehenden Gesellschaft, wie so vieles, nicht primär für die Befriedigung unserer Bedürfnisse da. Wie eingangs schon festgestellt, ist Wohnraum wie so vieles, in der bestehenden Gesellschaft eine Ware. Wenn wir wollen, dass Wohnraum stattdessen unter kollektivem Zugriff und nach kollektiven Interessen gestaltet wird, dann müssen wir für diese Veränderung selbst eintreten. So wie Klaus hier für seine Interessen gegen den wirtschaftlichen Verwertungszwang eintritt, so können alle hier in ihren Lebenslagen durch das Eintreten für ihre Interessen zu einem politischen Wandel beitragen, denn unsere Interessen sind bei weitem nicht so indivudell, wie es manchmal scheint, da von der gleichen Gesellschaft strukturiert. Wir hoffen daher, dass die Demonstration heute nur der Anfang gewesen ist!

Wir fordern, dass Klaus in seiner Wohnung bleiben kann, in der er bereits seit seiner Geburt lebt!

Wir fordern den Erhalt der Häuser, gegen den nur ihre vermeintliche Unwirtschaftlichkeit spricht!

Und wir fordern eine andere Daseinsvorsorge, in der die Befriedigung von Grundbedürfnissen nicht dem Markt überlassen wird. Wohnraum gehört nicht auf den Markt. Wir wollen, dass Wohnraum nicht nur durch unsere Miete und Steuern bezahlt wird, sondern dass wir auch kollektiv und demokratisch darüber mitbestimmen, wie unsere Städte aussehen und wie der vorhandene Wohnraum genutzt wird.

Vielleicht können wir uns für die anstehenden Auseinandersetzung durch einen Blick in die Geschichte inspirieren lassen: Diese Häuser hier waren vor vielen Jahrzehnten im Besitz von Georg Heusner. In den 80ern haben sich hier hunderte Menschen für eine der größten Besetzungen in Deutschland zusammengefunden und sie tauften das Viertel kurzerhand Heusnerviertel. Ihr erklärtes Ziel war es, den Bau der Autobahn hinter uns zu verhindern und eine selbstverwaltete Zone zu etablieren. Und diese Häuserreihe hier ist durch ihr Engagement tatsächlich übrig geblieben! Jetzt könnt ihr alle hier zusammen mit euren Freund:innen überlegen, wie ihr es den Hausbesetzer:innen von damals gleichtun könnt! Wir werden Klaus mit seinem Kampf für den Erhalt der Häuser in der Kohlenstraße in keinem Fall alleine lassen! Ab heute bist du kein, wie in der WAZ zu lesen war, „einsamer Mieter“ mehr! Noch wohnst du in der Kohlenstraße und noch stehen diese Häuser!

Liebe Mitdemonstrierenden, lasst uns uns darüber hinaus auch solidarisch mit allen anderen zeigen, die mit der Wohnungskrise zu kämpfen haben. Lasst uns konsequent sein, insofern, als dass wir die Profitlogik nicht nur überall anprangern, wo sie unserem guten Leben mal wieder im Wege steht. Sondern lasst uns darüber hinaus dafür einstehen, dass wir als Gesellschaft einer Lebensweise näherkommen, die ökologische Grenzen und menschliche Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellt!