Mittwoch 10.05.23, 12:49 Uhr
Beitrag von Uli Borchers. Bündnis gegen Rechts, beim Gedenkrundgang am 8. Mai 2023 auf dem Friedhof Freigrafendamm in Bochum

Wer sich nicht an seine Vergangenheit erinnert, ist dazu verdammt, die Geschichte zu wiederholen


Am 13.März 1932 (und am 10.April, zweiter Wahlgang) wurden in Deutschland Wahlen zum Reichspräsidenten abgehalten. Kandidaten waren Paul von Hindenburg, Adolf Hitler und Ernst Thälmann, Vorsitzender der KPD. Die KPD führte ihren Wahlkampf damals unter der Parole „Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler, wer Hitler wählt, wählt den Krieg“. Die KPD sollte mit ihrer Einschätzung und Beurteilung der Konsequenzen aus dieser Reichspräsidentenwahl absolut richtig liegen. Paul von Hindenburg wurde gewählt und ernannte am 30. Januar 1933 Adolf Hitler zum Reichskanzler. Auch in der SPD gab es Menschen, die vor Hitler warnten und seine Kriegspläne früh durchschaut haben. Zu ihnen gehört Franz Vogt, seit 1920 SPD-Mitglied, seit 1932 Mitglied der SPD-Fraktion im preußischen Landtag, kurzzeitig auch Abgeordneter im Reichstag. In seinen autobiographischen Aufzeichnungen vom März 1934, verfasst nach der geglückten Flucht aus Deutschland im holländischen Exil, schreibt er:

„Und nun? Was wird werden? Am politischen Himmel ballen sich die Wolken zusammen. Ein Krieg scheint unvermeidlich. Die Welt rüstet im Fiebertempo zum größten Massenmorden der Weltgeschichte“. Und so ist es gekommen. Mehr als 60 Millionen Menschen haben durch den von Adolf Hitler und seinen Unterstützern angezettelten Zweiten Weltkrieg ihr Leben verloren. In militärischen Auseinandersetzungen, durch den Holocaust. Ermordet wurden Kriegsgefangene und ZwangsarbeiterInnen, Sinti und Roma, Homosexuelle, politische Gefangene, Frauen und Männer aus dem Widerstand. Zu ihnen gehören auch die Frauen und Männer, die auf diesem Grabfeld beerdigt worden sind. Der bekannteste von ihnen ist Fritz Husemann. Für die SPD ab 1924 in den Reichstag gewählt, „zählte er zu den Politikern, die das NS-Ermächtigungsgesetz ablehnten und sich in der Öffentlichkeit immer wieder gegen den Faschismus wandten“ (aus :VVN-BdA Bochum „Widerstand und…S.45). Nach einer Klage gegen die Deutsche Arbeitsfront und deren Vorsitzenden Robert Ley wurde Husemann zum dritten Mal verhaftet. Begründung : „fortdauernde illegale Gewerkschaftsarbeit“ (Wagner : „Hakenkreuz…S.185“). Wenige Tage nach seiner Deportation in das Konzentrationslager Esterwegen wurde er dort am 18. April 1935 ermordet. Auch Heinrich König wurde hier auf dem Freigrafendamm beerdigt, am 24. März 1946 auf den Kommunalfriedhof Weitmar umgebettet. Heinrich König war Vorsitzender der SPD und der ständigen Verfolgung durch die SA ausgesetzt. Er konnte der Verfolgung nur entkommen durch die Flucht ins Saarland und später nach Frankreich. 1943 wurde er von der Gestapo in Frankreich aufgespürt, nach Bochum zurückgebracht und so schwer gefoltert, dass er an den Verletzungen starb. Zur Geschichte von Heinrich König gehören die Ereignisse um seine Verhaftung am 11.März 1933. Heinrich König und seine Söhne wehrten sich gegen den Überfall der SA auf ihr Haus. „Es kam zu einem heftigen Feuergefecht, denn Heinrich König und seine Söhne schossen zurück. Sie wollten nicht ohne Gegenwehr in die Hände der SA fallen“ (Wagner:“Hakenkreuz… S.181“). Die Drei ergaben sich schließlich einem polizeilichen Überfallkommando, standen aber weiterhin unter Bewachung der SA. Heinrich König wurde im Polizeipräsidium festgehalten und dort schwer misshandelt. „Die SA war sich sicher, dass gegen die Königs Haftbefehl erlassen würde. Ihre Verhaftungsaktion gab sie als Maßnahme nach der Reichtagsbrandverordnung aus, legal durchgeführt von Polizei und Hilfspolizei (die SA). Die Gegenwehr (der Königs) war für sie Widerstand gegen die Staatsgewalt und schwere Körperverletzung, ja Mordversuch“ (Ralf Feldmann:“In Bochum…“). „Amtsgerichtsrat Eberhard Greiff lehnte aber die Ausstellung eines Haftbefehls ab, da er den Gebrauch von Feuerwaffen durch die Königs als einen Akt der Notwehr ansah oder – wie er sich ausgedrückt haben soll – ihnen zumindest die Notwehr nicht widerlegen konnte. Er ließ Heinrich König und seine Söhne wieder frei“ (Wagner:“Hakenkreuz…S.181). Die Folge für Eberhard Greiff: Verfolgung, Überfall, schwere körperliche Misshandlung durch die SA, ab 1940 Tätigkeit als Hilfsrichter in Berlin. Er hat den Faschismus überlebt. Über die anderen hier beerdigten Frauen und Männer ist wenig bekannt. Wir kennen nur ihre Namen, ihren Sterbetag und die Namen der Lager, in denen sie ermordet wurden oder gestorben sind. Es sind die Namen der Lager, in die die Nazi-Diktatur politische Häftlinge, Menschen aus dem Widerstand, aus rassischen Gründen Verfolgte, Jüdinnen und Juden deportiert, gequält, gefoltert und ermordet hat: Auschwitz, Buchenwald, Dachau, Neuengamme, Oranienburg, Ravensbrück.

Ja, es gab die mutigen Frauen und Männer, die sich gewehrt haben gegen Entrechtung und Verfolgung, die Widerstand geleistet haben gegen den Faschismus, gegen den Krieg. Ihre illegale Tätigkeit war mit der Gefährdung ihres eigenen Lebens verbunden, wenn Flugblätter und Schriften verteilt, Dokumente gefälscht, Verfolgte versteckt wurden oder ihre Flucht ins Ausland organisiert wurde. Das ist alles wichtig und muss immer wieder verstärkt gewürdigt und beschrieben werden. Die wichtigste Frage ist allerdings die, wie konnte es im damaligen Deutschland überhaupt zum faschistischen Durchmarsch/Erfolg kommen? Welche Schlussfolgerungen ziehen wir heute aus der Erfahrung, dass es dem Bündnis aus rechten Parteien, Großgrundbesitzern, Industrieverbänden, einer reaktionären Presse und einer faschistischen NSDAP gelungen ist stärker zu sein als die nominell großen Gewerkschaften, einer KPD mit millionenhafter Wählerschaft, stärker zu sein als die organisierte Arbeiterbewegung? „Shelomo Seliger, Überlebender des Konzentrationslagers Flossenbürg hat zum Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers am 23. April 1945 gesagt: „Ein Volk, das sich nicht an seine Vergangenheit erinnert, ist dazu verdammt, die Geschichte zu wiederholen“. (Süddeutsche Zeitung 24.April 2023)

Die Gefahr des offenen Faschismus besteht in Deutschland nicht. Der militante Rechtsextremismus ist vorhanden. Mehr als 200 Menschen sind seit 1989 durch bewaffnete militante Rechtsextreme bei Übergriffen und Anschlägen ermordet worden. Solingen, Mölln, Hünxe, Halle, Hanau, der sog. „NSU“ sind dafür die Synonyme.

Eine offen rechtsradikale Partei -die AfD – sitzt im Bundestag und in den meisten Länderparlamenten. Ihre Wählerschaft besteht aus Millionen. Martina Renner von der Partei DIE LINKE hat auf ihre parlamentarische Anfrage an die Bundesregierung die Antwort erhalten, dass es mindestens 16 sog. Todeslisten rechtsradikaler Organisationen gibt, als pure Namensdatei mit 25.000 Namen und als Bilddatei mit 4000 Menschen (FR 13.4.2023). Es gibt mehr Beispiele, jedoch niemand kann heute noch behaupten, dass eine Bedrohung, eine Gefahr von Rechts nicht existiert.

Heute am 8.Mai erinnern wir an die Verbrechen des Faschismus, wir benennen die Täterinnen und die Täter. Wir erinnern an die Opfer, wir würdigen den Widerstand, wir feiern die Überlebenden.

KEIN VERGEBEN! KEIN VERGESSEN!
Dazu gibt es Gelegenheit: Für den 20. Mai – also in knapp zwei Wochen – hat das Nazi-Bündnis „NRW erwacht“ zur Kundgebung in Bochum aufgerufen. Wir bereiten Gegenaktivitäten vor und organisieren den Protest. Beachtet die Aufrufe auf unseren Webseiten und in den Sozialen Medien und kommt.

IN BOCHUM IST KEIN PLATZ FÜR NEONAZIS!

Quellenverzeichnis:

  • Franz Vogt: Autobiographische Aufzeichnungen Amsterdam 20.März 1934 S.43-VVN-BdA Bochum: „Widerstand und Verfolgung in Bochum und Wattenscheid“/“Schriftenreihe zur antifaschistischen Geschichte Bochums Nr.3, Wurf Verlag November 1988
  • J.V.Wagner: Hakenkreuz über Bochum Studienverlag Brockmeyer 1983
  • Ralf Feldmann: In Bochum ist ein Richter standhaft geblieben / Zur Erinnerung an den Amtsrichter Eberhard Greiff / bo-alternativ März 2008
  • Frankfurter Rundschau 13.4.2023 S.6