Mittwoch 10.05.23, 12:51 Uhr
Beitrag von Alfons Zimmer, Pastoralreferent an den Justizvollzugsanstalten i.R., beim Gedenkrundgang am 8. Mai 2023 auf dem Friedhof Freigrafendamm in Bochum

Die wegen ihrer Überzeugung in den Gefängnissen der Nazis Gequälten und Ermordeten mahnen:
Zusammenstehen gegen den Nazismus


Ganz laut, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, sprechen heute am Ende unseres Rundganges die Personen auf diesen Stellwänden zu uns. Sie haben die Befreiung am Weltkriegsende entweder knapp erlebt oder sie haben sie nicht mehr erlebt. Politisch und weltanschaulich hatten diese Leute sehr unterschiedliche Standpunkte. Alle zusammen aber waren sie als Gegner der Hitlerdiktatur in Haft. Mit uns bilden sie nun einen großen solidarischen Kreis. Ihnen gelten die Schlussworte heute am 8. Mai und allen politischen Gefangenen aus den drei Bochumern Gefängnissen, 1. aus dem Bochumer Zentralgefängnis Krümmede, 2. aus dem Gerichtsgefängnis ABC-Straße, 3. aus dem Polizeigefängnis Uhlandstraße. Soweit auswärtige Gefangene damals in Bochum während der Haft verstorben sind, sind auf diesem Friedhof begraben worden.

2014, liebe Zuhörer/innen, war ich schon 2 Jahrzehnte hauptsächlich in der Krümmede tätig, als kath. Seelsorger. Viele Gedenkveranstaltungen so wie heute hatte ich schon mitgemacht bis dahin. Da erst entdeckte ich, dass das Thema der politischen Gefangenen auch ein Thema „in meinem eigenen Haus“ war, der heutigen JVA Krümmede, dem damaligen Zentralgefängnisses. Ich wusste nicht, dass dort Personen einsaßen, die sich an einer Stelle gegen den Hitlerterror gewehrt hatten. Und die deswegen ins Gefängnis kamen. Ich dachte bis dahin, was die meisten dachten: Die normalen Justizgefängnisse wären für die „normalen“ Kriminellen gewesen, also für Delikte wie Diebstahl, Betrug, Raub, Totschlag usw. Und Regime-Gegner, politisch Andersdenkende, Hitlerkritiker, die wären gekommen in Schutzhaft der Gestapo, in Polizeigefängnisse oder gar in Konzentrationslager. Es war ein echter Schock für mich zu erkennen, dass das falsch war. Aber es ist ja klar: Wenn plötzlich jede Oppositionsarbeit, jede Kritik an Partei und Führung, jede Missbilligung des Krieges als normale Straftat zählt, dann füllen sich die normalen Gefängnisse schnell mit Kritikern. Es ist politischer Missbrauch des Strafvollzuges. Hingerichtet wurde in Bochum keiner, aber eine Reihe der Bochumer Häftlinge erhielt Todesurteile und wurden etwa in Dortmund und anderen Richtstätten des Reiches enthauptet.

Ich war verärgert, dass mir niemand davon erzählt hatte, die Justiz nicht, der Justizvollzug nicht, aber auch die lokalen Geschichtsfachleute nicht oder kaum. Einiges ist vergessen worden mit der Zeit. Einiges ist auch bewusst verschwiegen worden? Die Gefangenenakten sind wohl erst 20 Jahre nach dem Krieg weggeworfen worden, leider. Auch das Stadtarchiv hat zugestimmt, dass die Akten – bis auf wenige – als unbedeutsam eingestuft wurden und nicht ins Landesarchiv kamen. Grobe Fehleinschätzung. Das Thema Verschwindenlassen hatte schon am Kriegsende ganz große Methode. Krümmede-Leiter Anderson war schon im März 1945 samt Personalakten verschwunden beim Näherrücken der Alliierten. Auch Gefangene sollten bei mehreren gelungenen und misslungenen Evakuierungen aus der Krümmede verschwinden. Ziel war es, sie als Zeugen vor Antreffen des „Feindes“ zu beseitigen. Am schlimmsten war die wirkliche Eliminierung von Menschen. Im Keller der Bochumer Gestapo-Außenstelle an der Bergstraße werden 20 politische Häftlinge und Zwangsarbeiter erschossen. Bochumer Gestapohäftlinge werden durch „Sonderbehandlung“, sprich Mord, im Dortmunder Rombergpark beseitigt Ende März 1945 um Karfreitag. Sie wurden als Zeugen beseitigt, z.B. das Wittener KPD-Mitglied Karl Schwartz, in den 30er Jahren schon in der Bochumer Haft, hier kleines Portrait vor dem Bittermarkmahnmal.

Zur Krümmede: Die ersten beiden politischen Häftlinge, die ich kennenlernte durch einen Hinweis von außen, stehen hier als auch erstes bei den Portraits. Es sind sehr verschiedenartige, fast gegensätzliche Persönlichkeiten. Es ist der Kommunist Werner Eggerath, der zum Zeitpunkt seiner Bochumer Haft Anfang 1945 schon 10 Jahre Zuchthaus hinter sich hatte. Und der kath. Priester Josef Reuland, der im dritten seiner 7 Haftjahre bei der Evakuierung der Anstalt Ende März 45 an der Wittener Straße einen Halsdurchschuss erleiden und überleben sollte. Beide haben sehr vieles gemeinsam. Beide mussten bei Eiseskälte im Winter 44/45 unter Lebensgefahr Bomben in der Stadt entschärfen. Bei beiden lautete die Anklage auf „Vorbereitung zum Hochverrat“. Und beide haben nach Befreiung sofort alles aufgeschrieben, was sie in den Gefängnissen erlebt hatten, so dass es heute jeder nachlesen kann. Eggerath gehörte der verbotenen KPD an, das war seit 1933 gleichbedeutend mit Vorbereitung zum Hochverrat. Und Reuland kritisierte die Nationalsozialisten als religionsfeindlich. Das galt ebenfalls als Vorbereitung zum Hochverrat. Er wurde von einem laut schreienden Roland Freisler in Berlin persönlich zu 7 Jahren Zuchthaus verurteilt.

Reuland stammt aus meiner Trierer Heimat, hat zufällig gleichen Beruf wie ich und die gleiche Konfession. Zugegebenermaßen motivierte mich das sehr stark. Ich habe aber immer genauestens darauf geachtet, dass ich alle Politischen egal welcher Partei und welcher Konfession oder welcher Weltanschauung gleich gerecht behandle, alle gleichermaßen erwähne.

So muss sofort gesagt werden, dass seit 1933 sofort und in großen Zahlen Kommunisten in Haft gerieten, auch eine Anzahl von Sozialdemokraten, auch einige Regimekritiker aus dem Zentrumsumfeld. Hauptfeld des frühen Hitlerterrors war aber die -Zitat – „Trockenlegung des kommunistischen Sumpfes“. So verhängte das OLG Hamm allein im Jahr 1934 „politische“ Urteile über mehr als 4000 Personen, darunter viele Haftstrafen gegen Kommunisten. Dazu kamen viel ohne Urteile in die Polizeigefängnisse. Am Ende mehr zum Thema Polizeigefängnis. Die Anstalten hatten Schwierigkeiten, diese Großgruppe von Häftlingen aufzunehmen. Die meisten Haftentschädigungsanträge nach dem Krieg stellten KPD-Leute, dann in weitem Abstand Sozialdemokraten, zum kleineren Prozentsatz Zentrumsleute.

Von den Kommunisten haben wir viele Namen, aber fast keine Bilder, keine Portraits, weil es meist unbekanntere kleine Arbeiter waren. Nur Werner Eggerath, der ging nach Haftentlassung im Mai 45 sofort an die politische Arbeit, wird Landtagsabgeordneter in Thüringen schließlich Regierungspräsident von Thüringen und Abgeordneter der DDR-Volkskammer. Sein Gesicht ist auf einer DDR-Briefmarke zu finden. Stellvertretend für die großen Zahlen unbekannter inhaftierter Kommunisten allein in der Krümmede steht Wilhelm Pfromm Heizer aus Kassel, 7,5 Jahre Haft wegen Kontakten zu illegaler KPD, gestorben in der Krümmede 1942 im 6. Haftjahr.

Für die Sozialdemokraten steht Heinrich König. Er hatte sich als Untergetauchter in Frankreich der Résistance angeschlossen, starb nach schwerer Misshandlung im Gerichtsgefängnis ABC-Straße 1943.

Und für zentrumsnahe Personen steht Wilhelm Engel, nach Bochumer Haft wegen Wehrkraftzersetzung u.a. angeklagt, gestorben 1945 in Berlin, seine Asche wurde hierher überführt. 2 Mitglieder seiner Bochumer Gruppe, Stadtinspektor Josef Hammerschmidt und Pater Korte, starben bei einem Luftangriff im Gerichtsgefängnis ABC-Straße 1944.

Darunter waren einige Zeugen Jehovas, sog. Ernste Bibelforscher Vereinigung. Ihr Verbrechen: Sie verweigern den Wehrdienst, sie verweigern den Hitlergruß. Sie verweigern den Eid auf Hitler. Für sie steht heute aus der Krümmede Friedrich Poburski. Nach Bochumer Haft kam er ins KZ Sachsenhausen, dann nach Bergen-Belsen, KZ. Dort starb er einen Tag nach Befreiung durch die Briten.

Von dieser Großgruppe der politisch Oppositionellen kommen wir zu einer zweiten Gruppe, für die Pfarrer Reuland steht. Hauptsächlich aus religiösen Gründen, aber auch aus Gewissensgründen sind sie gegen nationalsozialistisches Unrecht.

Der kath. Küster Wilhelm Espenhahn machte in Witten regimekritische Aussagen. Haft. Er nahm sich 1942 in der Krümmede das Leben.

46 bisher bekannte katholische Priester saßen in der Krümmede. Der erste war 1933 Vikar August Stöcker aus Riemke. Er nannte auf der Kanzel die Nazis „braune Indianer“ und „Germanenhorden“ und predigte, Christentum und NS-Ideologie passten nicht zusammen. Von den 46 kath. Priestern starben in Bochumer Haft sieben. Ist das viel? Ja. Dafür, dass man nicht einmal weiß, dass überhaupt einer wegen Widerstandes drin war. Pfarrer Anton Spieker etwa starb 1941. Er hatte 1940 nach Besetzung der Beneluxstaaten durch die Wehrmacht nicht das von Hitler angeordnete Siegesläuten durchgeführt. Einige Pfarrer wurden in Dortmund, Brandenburg-Görden und anderswo enthauptet. Nicht mitgezählt sind die Pfarrer aus dem Polizeigefängnis. Dazu waren 3 niederländische protestantische Pfarrer waren in der Krümmede. Im Polizeigefängnis saß kurz Ludwig Steil aus Herne, der bekannteste unter den evangelischen. Er starb 1945 in Dachau.

Nicht eine eigene Gruppe aufmachen möchte ich für die, die aus Gewissensgründen unmenschlichen Regime-Anordnungen nicht gefolgt sind. Karl Klauke aus Lüdenscheid hat trotz Anzeige seinem jüdischen Mieter nicht gekündigt, daher in Haft wegen Judenfreundschaft.

Der schon erwähnte Reuland sollte mit 500 weiteren Krümmede-Gefangenen im März 1945 vor Eintreffen der Alliierten evakuiert werden. Als Zeugen sollten sie verschwinden. Zu Fuß kam Reuland nicht der Kolonne hinterher. Er erhielt einen Genickschuss in einem Bombentrichter an der Wittener Straße. Die Kolonne zog weiter. Reuland war nicht tot, die Polizei brachte ihn zum Sterben ins Gefängnislazarett. Gerettet wurde Reuland von mitgefangenen Ärzten, von einem belgischer Medizinprofessor und einem niederländischen Mediziner. Nach Kriegsende kommt er sofort ins Josephskrankenhaus und wird im Sommer 1945 von seiner Gemeinde abgeholt.

Mit diesen beiden mitgefangenen Ärzten, liebe ZuhörerInnen, kommen wir zu einer dritten Gruppe von Gefangenen und zwar zur allergrößten, nämlich den Résistance-Gefangenen aus den besetzten Ländern FR, Belgien und den Niederlanden. Warum waren sie in Haft? Als Patrioten ihrer Länder begingen sie Sabotage gegen die Wehrmacht, Spionage für die Alliierten. „Feindbegünstigung“ hieß das, sie verbreiteten sogen. „deutschfeindliche“ Schriften, brachten Fallschirmspringer außer Landes u.v.m. Auf alles stand die Todessstrafe. Im Dez. 1941 erlässt Generalfeldmarschall Keitel auf Anordnung Hitlers: Alle Widerstandleistenden in den besetzten Ländern sollten nach ihrer Festnahme zur Abschreckung spurlos in den Gefängnissen des Reiches verschwinden. Es sollten nicht vor Ort Märtyrer geschaffen werden. Der sog. Keitel-Erlass, auch Nacht-und-Nebel-Erlass, NN-Erlass genannt, führte ab 1942 zu übervollen westdeutschen Justizgefängnissen. Allein 56 Konvois, Gefangenentransporte, kamen von Lille, von Brüssel usw. nach Bochum. Am Stichtag 22. Mai 1943 saßen nach eigenen Angaben der Justiz in der Krümmede 1131 männliche NN-Gefangene ein, nur die NN-Leute, die Résistanceleute! Man sprach in der Krümmede genauso viel Französisch und Flandrisch wie Deutsch.

Viele von Ihnen erhielten durch die Sondergerichte, etwa in Essen, und vom Volksgerichtshof, der regional tagte, die Todesstrafe. Viele warteten in Bochum auf ihre Hinrichtung in Dortmund, in Köln, in Wolfenbüttel, in Brandenburg usw. Mindestens 121 NN-Gefangene starben an Haftfolgen, an Krankheiten, meist steht Lungentuberkulose auf dem Totenschein.

Beispiele: Die 13 von Lichtervelde, der Bürgermeister Eugen Callewaert und 12 Bewohner des flandrischen Ortes, kamen über den Nordbahnhof in die Krümmede. Enthauptung aller 13 wegen Feindbegünstigung im Gefängnis Wolfenbüttel am 15. Juni 1944.

Der Belgier Camille Thys saß ab Mitte 1942 in der Krümmede. Warum? Weil er als Bahnhofsvorsteher in Bassily, Belgien, auf Bitten des Pfarrers einen notgelandeten Fallschirmspringer versteckt gehalten hatte. Enthauptung in Dortmund am 2.Juni 1943. Pfarrer Alphonse Voordeckers kam über Bochum ins Zuchthaus Sonnenburg. Dort starb er 1944.

Ebenso 1 Jahr in Bochum waren der Franzose Désiré Didry. Er und 8 weitere Helfer, alle in Bochumer Haft, hatten abgeschossene Flieger von Frankreich nach Spanien gebracht. Am 30.6.1943 sterben sie alle 8 im Abstand von je 3 Minuten in Dortmund unter dem Fallbeil. Im Herbst 2023 wird uns aus Australien Peter Dowding besuchen. Er ist Neffe des mithingerichteten Bruce Dowding, der sich als Student dem französischen Widerstand angeschlossen hatte.

Liebe Interessierte,

es ist mal gesagt worden, dass wir wissen, wie es mit dem NS-Terror endete. Aber dass wir nicht genau wissen, wie es Schritt für Schritt angefangen hat. Es stimmt, dass wir mehr verstehen lernen sollten, wie alles angefangen hat, damit wir solche Entwicklungen früh genug verhindern. Aber es stimmt nicht ganz, dass wir genau wissen wie es endete. Nein, man braucht sich nur etwas damit zu beschäftigen, dann finden wir immer noch neue schreckliche Dinge, die wir nicht wussten über die apokalyptische Endphase des NS-Unrechtsregimes. Von den Fliegerlynchmorden und von den von der Gestapo erschossenen Zwangsarbeiterinnen in Riemke habe ich erst in den letzten Wochen gehört. Und die nachwachsende Generation weiß von vielem, woran wir seit Jahren in Gedenkveranstaltungen erinnern, oft noch gar nichts oder nicht genug.

Die Schlussgedanken gelten dem Polizeigefängnis und der Befreiung am Kriegsende:

Beim Polizeigefängnis am Polizeipräsidium Uhlandstraße gibt es ganz viele weiße Flecken in der Zeit 33-45. Die ist nur ganz wenig bis gar nicht erforscht. Viele Spuren weisen hin auf systematische Gewalt, Folter bis hin zum Mord. Zeugnisse von überlebenden Gefangenen gibt es fast keine. Die Zahl der Toten an der Uhlandstraße, die noch einmal dazu eigens in den Sterbebüchern nachgezählt werden muss, ist im Vergleich zur Belegungszahl auf den ersten Blick höher als die der in der Krümmede Verstorbenen. Gefangenakten gibt es keine. Möglicherweise sind sie wie die der Krümmede auch erst in den sechziger Jahren verschwunden. Die Polizeibehörde selber hat bisher zu wenig getan, um die Geschichte aufzuklären. Die dortige Gedenktafel darf kein Feigenblatt sein.

Exemplarisch für Gefangene und auch Getötete aus dem Polizeigefängnis stehen: Karl Springer und Benno Klier, Kommunisten, ermordet im Polizeigefängnis 1936, Otto Böhme, kein Bild, Kritiker an den Fliegerlynchmorden dort in Laer, ermordet vor dem Polizeigefängnis 1945 durch einen Gestapomann, – Böhme hat zwingend einen Stolperstein verdient.

Karl Schurstein, Zeuge Jehovas, ermordet 1942 in Schloss Hartheim, Johann Schmitfranz und Moritz Pöppe, Kommunisten, enthauptet 1944 in Brandenburg-Görden, Pater August Benninghaus, ermordet in Dachau 1942, Fritz Husemann, Sozialdemokrat, ermordet Esterwegen 1935, evang. Pfarrer Ludwig Steil, ermordet Dachau 1942, dazu Gruppen von Juden und von Zwangsarbeitern. Die Schutzhaft des Polizeigefängnis war eine rein polizeiliche Maßnahme. Mitwirkung der Gerichte war ausgeschlossen. Das Polizeigefängnis – eine alte Forderung – muss zwingend viel besser erforscht werden.

Zuletzt zur Befreiung am 8. Mai 45:

Das, was für Gesamtdeutschland der Tag der bedingungslosen Kapitulation am 8. Mai war, ist für die Bochumer Gefängnisse schon der 10. April 1945, der Einmarsch der Alliierten unter Führung der US-Amerikaner. Die verbliebenen französischen Résistance-Gefangenen in der Krümmede singen ganz laut die Marseillaise. Ein englischer Offizier leitet das Gefängnis. Er überprüft, wer kriminell ist, wer politisch. Bis Anfang Mai werden alle Politischen entlassen.

Alle nicht: Zwar noch am 10. April befreit sterben noch in Haft im April 45 ein Niederländer und zwei Belgier, darunter August Derous, siehe Bild. Auch nicht befreit werden konnten 12 weitere Résistace-Gefangene aus der Krümmede. Sie starben schon Ende März bei Evakuierung der Anstalt tragischerweise durch alliierte Bomben in einem Zellenwagen am Nordbahnhof. So Jaques Lecomte, Franzose, + am 26. März 45, metallenes Totenbuch Feld 19a, kein Bild.

Tatsächlich entlassen und befreit wird der Franzose André Rossel-Kirschen. Er hatte als 15-jähriger Résistance-Mann, Jude und Kommunist, in Paris auf einen deutschen Offizier geschossen. Per LKW geht es über Brüssel sofort nach Paris. Vater und Brüder sind dort als Verwandte eines Terroristen längst erschossen worden, Mutter und Schwestern in Auschwitz ermordet. Entlassen werden brauchte nicht mehr Alexander Oskolkow, Bild. Er kam als 15-jähriger Zwangsarbeiter aus Donezk, war einer von vielen inhaftierten Ostarbeitern in der Krümmede. Er befreite sich selbst durch Flucht beim schon erwähnten Evakuierungsmarsch, versteckte sich, kommt in ein amerikanisches Sammellager, als einer von weit über 30.000 Zwangsarbeiter/innen in Bochum, kehrt mit Angst und Scham zurück in die Ukraine. Die Zwangsarbeiter gelten dort als Komplizen der Deutschen.

Kurz vor Befreiung ins Zuchthaus Hameln überführt wird Wim Habets, Niederländer, 4 Jahre in der Krümmede, weil er auf der Straße Goebbels parodiert und verspottet hatte. Von Hameln aus geriet er in einen Hungermarsch, überlebt den knapp mit 45 kg Körpergewicht bei 1,83m Körpergröße. Er schreibt Buch über seine Bochumer Zeit. In denselben Hamelner Hungermarsch gerät von Bochum aus Gustave Vandepitte. Wegen deutschfeindlicher Hetzschriften war der 20jährige Belgier im Außenlager der Krümmede am Stahlwerk Henrichshütte Hattingen. Zusammen mit 4000 Gefangenen wird von den Russen aus dem Zuchthaus Dreibergen in Mecklenburg befreit, mehr tot als lebendig. Dort wird auch die Belgierin Pierrette Cuelenaere befreit. Von einem Sondergericht in Bochum war sie wegen Aktionen einer revolutionären Gruppe in Gent zu Haft verurteilt worden. Landsmann Gustave Vandepitte schickt später seinen Mantel, den er aus der Kleiderkammer des Zuchthauses für den Rückweg mitgenommen hatte, an das Widerstandsmuseum in Bützow-Dreibergen zurück. Es ist eine Dokumentationsstätte zum politischen Missbrauch des Strafvollzuges. Der Missbrauch des Strafvollzuges und der Gefängnisse zur Beugung oder zur Beseitigung der Oppositioneller hatte in den Hitlerjahren ihren unübertroffenen Höhepunkt. Es gab sie aber auch vorher und nachher.

Alle diese Personen auf den Stellwänden, liebe Zuhörer/innen, sind Widerständler und Opfer gleichermaßen. Sie kommen aus verschiedenen politischen und weltanschaulichen Richtungen und Gruppierungen. Sie kannten sich vorher nicht, freundeten sich manchmal im Gefängnis an. Sie mahnen uns heute: Lernt aus der Geschichte! Lasst es nie mehr soweit kommen, dass die alte oder die neue Rechte an die Macht kommt. Sie werden in dem Falle wieder ihre Gegner in die Gefängnisse schicken. Steht alle zusammen gegen den neuen Nazismus!