In Bochum ist ein Richter
standhaft geblieben

Zur Erinnerung an den Amtsrichter Eberhard Greiff
Von Dr. Ralf Feldmann

Richterliche Unparteilichkeit für eine gewisse Zeit außer acht lassen“
Die deutsche Richterschaft war in ihrer übergroßen Mehrheit von Anfang an eine loyale Stütze des nationalsozialistischen Menschenvernichtungsstaats. Mental ganz überwiegend noch tief verwurzelt im autoritären, staatvergötternden Denken der Kaiserzeit war ihr die Republik als Staatsform mit ihrer brüchigen Demokratie und den Grundrechten ihrer Verfassung fremd geblieben. Weit verbreitet klagten Richter über ihren sozialen Abstieg, ihren Ansehensverlust und ihre Schutzlosigkeit gegen Justizkritik aus der demokratischen Öffentlichkeit, die sie als respektlos empfanden. Im Grundmuster der Weimarer Strafjustiz schlug sich ihre politische Präferenz nieder: Milde nach rechts, Härte nach links. Als Reichspräsident Hindenburg und die hinter ihm stehenden Gruppen – adlige Großlandwirte, Industrie, Banken und Reichswehr – entschieden, die Weimarer Demokratie zu verlassen und Hitler mit der Ernennung zum Reichskanzler am 31. Januar 1933 den Weg zum autoritären Führerstaat und atemraubend schnell zur absoluten Diktatur ebneten, war von dieser Justiz weder ein widerständiges politisches Aufbegehren demokratisch gesinnter Staatsbürger zu erwarten noch – gleichsam von Richteramts wegen – die rechtliche Abwehr der scheinlegalen Konstrukte des Verfassungsbruchs, die den sogleich beginnenden staatlich gelenkten Terror von SA und SS stützen sollten. Anlass zum Widerstand hätte es für “Rechtswahrer“ beinahe tagtäglich gegeben.

Mahnwache, am Dienstag,
dem 11. März 2008,
10.30-12.30 Uhr,
vor dem Amtsgericht,
Husemannplatz

Gedenken an
Heinrich König
und Eberhard Greiff

Auf der Abschlusskundgebung
um 12 Uhr sprechen:
Prof. Bernd Faulenbach,
Vorsitzender des SPD-Unterbezirks Bochum
Dr. Ralf Feldmann,
Bochum gegen rechts,
Richter am Amtsgericht Bochum

Schon am 4. Februar erließ der Reichspräsident die “Verordnung zum Schutz des deutschen Volkes“, die dem Reichsinnenminister und den obersten Landesbehörden weitgehende Vollmachten einräumte, Versammlungen, Aufzüge und Druckschriften zu verbieten, offensichtlich mit dem Ziel den Wahlkampf der linken Parteien zur letzten Reichstagswahl am 5. März einzuschränken. Mit Runderlass vom 17. Februar forderte Göring als preußischer Innenminister die Polizei auf, einerseits die nationale Propaganda mit allen Kräften zu unterstützen, andrerseits dem Treiben linker staatsfeindlicher Organisationen mit den schärfsten Mitteln entgegenzutreten und “wenn nötig rücksichtslos von der Schusswaffe Gebrauch zu machen“. Seine besondere Dynamik erhielt dieser Schießbefehl durch einen weiteren Erlass Görings vom 22. Februar: danach konnten SA, SS und Stahlhelm als freiwillige Hilfspolizei eingesetzt werden zur Bekämpfung angeblich zunehmender linksradikaler Ausschreitungen. Hitlers Bürgerkriegstruppe sollte hoheitliche Befugnisse erhalten, Widerstand gegen sie damit mindestens als Widerstand gegen die Staatsgewalt strafbar werden.

Der Reichstagsbrand in der Nacht zum 28. Februar war den Nationalsozialisten hochwillkommener Anlass, staatlich gelenkte Gewalt vor allem zunächst gegen Kommunisten zu verstärken. Noch in der Nacht ordnete Göring als preußischer Innenminister “Schutzhaft“ für alle Abgeordneten und Funktionäre der KPD an, die Schließung ihrer Parteibüros und das Verbot ihrer Presse; sozialdemokratische Druckschriften aller Art wurden mitten im Wahlkampf für 14 Tage verboten. Bis zum frühen Morgen wurden in ganz Preußen Tausende von kommunistischen Funktionären verhaftet. Die Reichstagsbrandverordnung “zum Schutz von Volk und Staat“ vom 28. Februar beseitigte die wichtigsten Grundrechte der Weimarer Verfassung - durch Verordnung. Bis zum 8. Mai 1945 gab es danach keine Garantie mehr für persönliche Freiheit, Meinungs- und Pressefreiheit, Vereins- und Versammlungsfreiheit, Briefgeheimnis, Eigentum und Unverletzlichkeit der Wohnung. Zentrale richterliche Kompetenzen im Rechtsstaats wie etwa die Kontrolle über polizeiliche Hausdurchsuchungen oder Verhaftungen wurden entzogen oder eingeschränkt, der Rechtsstaat in seinem Kern praktisch noch vor dem Ermächtigungsgesetz vom 24. März liquidiert.

Unmittelbar nach dem Wahlerfolg der NSDAP am 5. März – mit ihren 43,9% und den 8% der verbündeten Deutschnationalen hatte das rechte Regierungslager die absolute Mehrheit erreicht – begann eine Welle offenen, brutalen Terrors gegen Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschaften. Systematisch auf breiter Front nahmen SA und SS, Hitlers Bürgerkriegstruppen in ihrer Funktion als staatliche Hilfspolizei, bisweilen legalistisch verbunden mit Feigenblättern der Schutzpolizei ihre Gegner massenweise in Schutzhaft, schlugen sie zusammen, verbrachten sie in ihre Wachlokale, überstellten sie loyaler Polizei oder quälten sie in den ersten “wilden“ Konzentrationslagern. So geschah es in Preußen 20000 Kommunisten; im Ruhrgebiet wurde mancherorts die Hälfte aller KPD-Mitglieder festgenommen. Aber auch Sozialdemokraten und Gewerkschafter blieben nicht verschont. Hier ereignete sich nun die rühmliche Geschichte des Bochumer Amtsrichters Eberhard Greiff.

Seine Standesvertreter reagierten auf die Abschaffung der Verfassung und dabei wichtigster richterlicher Kompetenzen des Rechtsstaats und auf die Brutalitäten des öffentlichen Terrors - nach dem Strafgesetzbuch schlimmste Straftaten - mit Schweigen und Anbiederung. Als Hitler am Tag vor dem Ermächtigungsgesetz in einer Erklärung jedenfalls die Unabsetzbarkeit, keinesfalls die Unabhängigkeit der Richter garantierte, versicherte der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes ihn umgehend der Dankbarkeit und Treue der gesamten Richterschaft, obwohl die halbe Zusage Hitlers mit der Forderung verknüpft war, nicht mehr die Rechte des Individuums, sondern das “Volk“ in den Mittelpunkt der Rechtsprechung zu stellen und gegen die Gegner der nationalen Revolution “mit barbarischer Rücksichtslosigkeit“ vorzugehen. An solcher “Erneuerung Deutschlands“ mitwirken zu wollen, hatten die Präsidien des Deutschen Richterbundes und des Preußischen Richtervereins schon vorher zugesagt. Nun bejubeln in der Deutschen Richterzeitung Stimmen die Zerschlagung des parlamentarischen Systems als “glorious revolution“ und verlangen, richterliche “Sachlichkeit und Objektivität, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit“ zugunsten der “deutschen Sache“ für eine gewisse Zeit außer acht zu lassen. Der Bochumer Amtsrichter Eberhard Greiff tat dies nicht.

Notwehr
In Bochum waren in der Verhaftungswelle nach dem Reichstagsbrand bis zum 5. März 100 Mitglieder der KPD verhaftet worden, im gesamten Ruhrgebiet mehr als 2000. Die Presse berichtete darüber und nannte sogar den § 22 der Verordnung zum Schutz des deutschen Volkes vom 4.2.1933 als dafür herangezogene Rechtsgrundlage. Gegen Sozialdemokraten und freie Gewerkschaften hielten sich SA und SS bis zur Reichstagswahl noch zurück. Diese brachten Nationalsozialisten mit 36,3% und Deutschnationalen mit 6,2% auch in Bochum die – relative – Mehrheit für das regierende Rechtsbündnis. Das Signal, gegen Sozialdemokraten und Gewerkschaften loszuschlagen, gab am 10.März eine über alle deutsche Sender verbreitete Rede Görings in Essen, die freie Bahn zur Abrechnung gab: “Ihr dürft abrechnen mit den Verrätern, wir stehen zu unserem Wort, und es wird abgerechnet...Lieber schieße ich ein paar Mal zu kurz oder zu weit, aber ich schieße wenigstens. Die nationale Revolution, in der wir stehen, wird vollenden, was am 5. März begonnen wurde.“ Das war nichts anderes als der unverblümte Aufruf zum Terror ohne Rücksicht auf rechtliche Grenzen und auf die scheinlegalen Konstrukte seiner Erlasse.

Heinrich König, Stadtverordneter, Fraktions- und Ortsvereinsvorsitzender der SPD in Bochum, Abgeordneter des Preußischen Provinziallandtags und Vorstandsmitglied des SPD-Unterbezirks, einer der führenden demokratischen Politiker in Bochum, war in der folgenden Nacht das erste Verhaftungsziel eines SA-Trupps. Schon Tage vorher hatten sie ihm an seinem Haus vorbei marschierend gedroht: “König, du wirst aufgehängt!“ Sich freiwillig zu ergeben, lehnte König ab. Er wollte sich nur der staatlichen Polizei stellen. Einen zum legalen Schein anwesenden Polizeibeamten hatte er nicht bemerkt. Gegen den Versuch der SA gewaltsam einzudringen verbarrikadierte er sich. Bei einem heftigen Feuergefecht schossen Heinrich König und seine Söhne zurück. Dabei wurde ein SS-Mann, ein Hilfspolizist, durch einen Bauchschuss schwer verletzt. Erst dem alarmierten Überfallkommando ergaben sie sich. Aber nicht die staatliche Polizei blieb Herr der Aktion, sondern die SA, die Heinrich König schwer misshandelte, zunächst in eine Parteigaststätte verschleppte, dann ins Polizeipräsidium, wo in dieser Nacht etwa 60 Sozialdemokraten und Gewerkschafter zusammengetrieben wurden. Alle bis auf Heinrich König und seine Söhne wurden am nächsten Tag wieder frei gelassen. Die SA war sich sicher, dass gegen die Königs Haftbefehl erlassen würde. Ihre Verhaftungsaktion gab sie als Maßnahme nach der Reichstagsbrandverordnung aus, legal durchgeführt von Polizei und Hilfspolizei. Die Gegenwehr war für sie Widerstand gegen die Staatsgewalt und schwere Körperverletzung, ja Mordversuch.

Amtsgerichtsrat Eberhard Greiff lehnte den Erlass eines Haftbefehls ab und ließ die Verhafteten frei, weil er den Waffengebrauch als einen Akt der Notwehr ansah oder – wie er sich mündlich überliefert ausgedrückt haben soll - er “ihnen Notwehr nicht widerlegen konnte“. Denn zweifellos sahen sich Heinrich König und seine Söhne dem gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriff eines Bürgerkriegstrupps ausgesetzt, der – angestachelt vom Innenminister persönlich – auf Rache aus war und nicht als staatliche Hilfspolizei eine legale Verhaftung durchzuführen hatte. Man hätte Sachlichkeit und Objektivität nach dem Vorschlag der Deutschen Richterzeitung schon eine gewisse Zeit “für die deutsche Sache“ außer acht lassen müssen, um dem Heuchelgespinst der SA rechtlich auf den Leim zu gehen. Nur durch einen Seiteneingang des Gerichts gelang den Königs der Weg in die Freiheit; der Haupteingang war durch die SA besetzt, die die Freigelassenen sofort wieder verschleppt hätte. Die “Rote Erde“ forderte die sofortige Verhaftung des Richters, der „“in bewusster und böswilliger Absicht gegen die Interessen von Volk und Staat“ verstoßen habe. “Wer glaubt, heute noch gegen die nationalsozialistische Bewegung und gegen die Sicherheit unseres Staates handeln zu können, hat sich in der Kraft unserer Bewegung getäuscht. Wir werden gegen diese Leute brutal und legal vorgehen.“ So geschah es wenig später. Die SA lauerte Eberhard Greiff nachts auf, misshandelte ihn und schlug ihn bis zur Bewusstlosigkeit zusammen. Greiff sollte wegen seines Widerstands gegen die nationale Bewegung nach dem Berufsbeamtengesetz zum 1.Dezember 1933 nach Oppeln versetzt werden, weigerte sich aber, und ließ sich im Alter von 49 Jahren in den Ruhestand versetzen, später von 1940 an beim Amtsgericht Berlin als Hilfsrichter jedoch wieder reaktivieren. Heinrich König konnte zunächst ins Saarland fliehen, dann nach Frankreich, wo er im Frühjahr 1943 von der Gestapo aufgegriffen und nach Bochum zurückgeschafft wurde. Hier in seiner Heimatstadt starb er an den Misshandlungen der Gestapohaft.

Die Fälle so erledigen, dass damit die Staatsführung zufrieden ist“
Das Licht des mutigen Amtsrichters leuchtet um so heller, wenn man sieht, wie - nicht nur beflissen und anpässlerisch, sondern innerlich überzeugt - die Gerichtsspitzen in Bochum zur gleichen Zeit und bis zum bitteren Ende nationalsozialistisches Unrecht eilfertig umsetzten. Für die Vertreibung jüdischer Richter und Anwälte aus ihren Ämtern und Berufen gab es anfangs nicht einmal den Anschein einer gesetzlichen Grundlage, sondern nur die rechtlich völlig haltlose Anordnung des Reichskommissars für die Preußische Justizverwaltung, Kerrl, vom 31. März 1933, jüdische Richter im Zuge eines allgemeinen Judenboykotts zu beurlauben oder am Betreten des Gerichts zu hindern und nur noch ausgesuchte jüdische Anwälte auftreten zu lassen. Landgerichtspräsident Broicher hatte dennoch keinerlei Bedenken und meldete drei Tage später Vollzug. Ebenso reibungslos exekutierte er die endgültigen Amtsenthebungen von Richtern und die Entlassung von Anwälten als Folge des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums noch im Jahr 1933 und des Reichsbürgergesetzes von 1935. Die profunden Einzelstudien Hubert Schneiders zu den Schicksalen Bochumer Anwälte und Richter in dem vom Bochumer Anwalt- und Notarverein herausgegebenen Sammelband “Zeit ohne Recht“ führen zu dem deprimierenden Resümee, dass Broicher dabei Vorgaben nie hinterfragte und Eingriffe der NSDAP willfährig aufgriff; politische Stellungnahmen der Gauleitung wurden – im Einvernehmen mit dem Oberlandesgerichtspräsidenten in Hamm mit Rücksicht auf das politische Klima der Gauhauptstadt - immer zur Grundlage der Entscheidung. Als rechte Hand in Personalsachen fungierte dabei das an Jahren junge Altparteimitglied Landgerichtsrat Dr. Roebling, der 1938 mit gerade 36 Jahren zum Präsidenten des Landgerichts Siegen avanciert, ab 1943 in Bochum der Präsident des Untergangs wurde, nur in Parteiuniform auftrat, zu spät kommende Mitarbeiter mit Fußtritten begrüßte und bei zahlreichen Appellen die in militärischer Formation angetretene “Gefolgschaft“ auf den unvermeidbaren Endsieg einzuschwören bemüht war.

Zwischen beiden lag ab März 1937 die Amtszeit des Landgerichtspräsidenten von Vacano. Er – ebenfalls Altparteimitglied seit 1932, aber als überzeugter Katholik in der Partei argwöhnisch beurteilt – hatte sich zuvor in Köln als Vorsitzender des Sondergerichts in Heimtückefällen gegen katholische Geistliche mit so scharfen Urteilen profiliert, dass sogar der Gauleiter versuchte, Abmilderungen zu erreichen. Seit Dezember 1936 gehörte er der Kommission des Reichsjustizministeriums für neues Strafverfahrensrecht an. Überliefert ist seine Stellungnahme in einer für die Unabhängigkeit der Justiz von Eingriffen der Staatsführung wichtigen Frage. Dabei ging es um den Vorschlag, den Oberreichsanwalt auf politische Weisung zu ermächtigen, eine Sache vom zuständigen Gericht an einen Strafsenat des Reichsgerichts zu bringen, wenn vor oder im Verlauf des Verfahrens Zweifel an der politisch erwünschten Erledigung aufkämen. Gegen die Kritik zahlreicher Kommissionsmitglieder fand Vacano bereits Trost darin, dass die Sache dann wenigstens in der Justiz bleibe, und sein Votum gipfelte in dem Satz: “Wir müssen uns...überwinden und uns dazu durchringen, solche Fälle durch ein Gericht so erledigen zu lassen, dass damit die Staatsführung zufrieden ist“. Lothar Gruchmann sieht darin in seinem Grundlagenwerk “Justiz im Dritten Reich“ die Einstellung auf den Punkt gebracht, “die unter den leitenden Männern der Justizverwaltung am stärksten bei Freisler hervortrat: die Bereitschaft, der Rechtspflege immanente Grundsätze über Bord zu werfen, nur um von der politischen Führung gestellte Aufgaben der Justiz zu erhalten und sie damit als taugliches Instrument des Regimes auszuweisen.“

In Vacanos Amtszeit fiel auch der Massenmord der “Euthanasie“-Aktion T 4, bei der 80.000 Menschen getötet wurden; der sich anschließenden “wilden Euthanasie“ fielen nach seriösen Schätzungen über 100.000 weitere Menschen zu Opfer. Nachdem zunächst die versammelten deutschen OLG-Präsidenten und Generalstaatsanwälte widerspruchslos schweigend Hitlers Vernichtungsbefehl als ausreichende Rechtsgrundlage des Massenmordes hingenommen hatten, wurden von ihnen auch die Landgerichtspräsidenten instruiert. Bischof von Galen im nahen Münster protestierte auf der Kanzel, der Katholik Vacano schwieg zum Mord wie seine Amtskollegen. Die Staatsführung war zornig auf den Bischof, mit der Elite der deutschen Justiz konnte sie abermals zufrieden sein. Wiederum nicht mit einem Amtsrichter: der Brandenburger Vormundschaftsrichter Lothar Kreyßig nahm die heimliche Tötung ihm anvertrauter Geisteskranker nicht hin, sondern zeigte den für die Durchführung verantwortlichen Reichsleiter Bouhler an, ließ sich von Reichsjustizminister Gürtner persönlich nicht umstimmen und wurde schließlich, weil er den Befehl des Führers als Gesetz nicht anerkennen wolle, als für das Richteramt untauglich in den Ruhestand versetzt.

Die Karrieren der Täter endeten planmäßig“ – der Unwille zu richten und zu erinnern
Nur wenige Richter haben in der Zeit des Nationalsozialismus Recht und Leben der Menschen gegen die Vernichtungsgewalt des Regimes verteidigt. Weil sich so viele unterwarfen, ließ die Elite der deutschen Justiz nicht nur die schändlichen Euthanasiemorde durchgehen. Eine sich ständig steigernde Terrorjustiz verhängte in den 12 Jahren 50.000 Todesurteile gegen “Volksschädlinge“, “Defätisten“ und “Wehrkraftzersetzer“, im Durchschnitt mehr als 10 Todesurteile täglich. Das Verbrechenssystem aus Gestapo, SS und Konzentrationslagern entzog sich sehr rasch der Kontrolle der Justiz.

Die Bestrafung der Verbrechen der Justiztäter scheiterte daran, dass dieselbe Justiz über sich selbst zu Gericht saß. Mit Ausnahme der 1947 in Nürnberg Verurteilten wenigen Spitzenjuristen und wenigen bei der Entnazifizierung als schwerbelastet Eingestuften waren alle Belasteten Anfang der fünfziger Jahre wieder in Amt und Würden. Nicht nur in Einzelfällen setzte das Justizpersonal der Sondergerichte die Karriere gerade auch in den Staatsschutzkammern der Nachkriegsjustiz des kalten Krieges fort und es kam vor, dass ein Täter des Nazi-Unrechts einem aus politischen Gründen erneut strafverfolgten Opfer des Nazi-Regimes straferschwerend vorhielt, es habe sich die Qualen des Nazi-Kerkers nicht zur Warnung dienen lassen. Von den Mördern in Robe etwa des Volksgerichtshofs oder den hochrangigen Mordhelfern der Euthanasie ist keiner verurteilt worden. Von ihnen, resümierte 1987 der Bundesverfassungsrichter Martin Hirsch, „sind nur noch einige Greise übriggeblieben, die sich für verhandlungsunfähig erklären ließen. Die Akten sind endgültig geschlossen. Unsere Nachkriegsjustiz hat eine öffentliche Erörterung der im Namen des Rechts begangenen Greuel vermieden. Die Karrieren der Täter endeten planmäßig, die Pensionen sind verzehrt. Die kollektive Verdrängung kann sich in die welthistorische Relativierung kleiden.“

In ihrer eigenen historischen Erinnerung der Justiz herrschte bis in die neunziger Jahre Verdrängen und Kleinreden vor. Rechtstheoretisch/philosophisch machte man den Rechtspositivismus der Richter, begriffen als absolute Bindung an das Gesetz ohne Orientierung am (göttlichen) Naturrecht, für die Zerstörung des Rechts verantwortlich. Das Gegenteil ist richtig: Die Überwindung des Rechts durch die menschenverachtende Ideologie des Nationalsozialismus mittels unbegrenzter Auslegung der Gesetze war der gehorsam befolgte Marschbefehl der Nazijustiz. Deshalb starben Tausende wegen Lappalien durch Richterspruch; selbst das Nazi-Recht wurde, wenn es Grenzen setzte, noch gebrochen. Und wenn der Führerwille oberstes Gesetz war, galt kein Gesetz mehr. Dagegen gab die rechtspositivistische Anwendung des Notwehrparagrafen durch Eberhard Greiff gegen die Anmutungen der braunen Schergen Heinrich König die Freiheit.

Auf symbolischer Ebene der Erinnerung reihte man sich buchstäblich ein: in den Ehrengalerien der Gerichtspräsidenten folgten die Spitzen der Nachkriegsjustiz lücken- und kommentarlos den Tätern der Nazijustiz, ohne dass den Späteren dabei unwohl gewesen wäre; Hakenkreuze auf den Justizuniformen der Vorgänger wurden aber retuschiert. Festschriften zu Gerichtsjubiläen feierten ein anständiges Aushalten in schwerer Zeit, um Schlimmeres zu verhüten, unterlegt mit Entlastungen aus Persilscheinen der Entnazifizierungsverfahren. Dieses Zerrbild der Tätergeneration ist seit der zweiten Hälfte der achtziger Jahre durch intensive quellengestützte historische Forschung zunehmend zerrissen, in unserem Land endlich auch angestoßen durch Forschungsprojekte des Justizministeriums. Für Bochum beschreiben inzwischen zahlreiche lokalhistorische Studien eindringlich und einfühlsam das Schicksal der Opfer und machen die Täter kenntlich.

An Menschen wie Eberhard Greiff kann die Geschichte der Nazi-Justiz nur ganz selten erinnern. Vielleicht findet sich demnächst bei den neuen Gerichtsgebäuden in Bochum ein heller Platz, den wir nach ihm benennen könnten, zum dauernden Gedenken daran, dass in Bochum in der dunkelsten Zeit der Entrechtung ein Richter standhaft geblieben ist. Und vielleicht sogar mit Blick zum Nordbahnhof in der Nachbarschaft, wo die Menschen zur Vernichtung verladen wurde, weil es zu wenige gab wie Eberhard Greiff.


Literaturauswahl: Wagner, Hakenkreuz über Bochum, 1983; Niermann, Das Landgericht Bochum in den Jahren der nationalsozialistischen Diktatur 1933-1945, in: Feckler/Brüggemann (Hg.). 100 Jahre Landgericht Bochum,1992; Bochumer Anwalt- u. Notarverein (Hg.), Zeit ohne Recht, Justiz in Bochum nach 1933, 2002; Scheibe/Wiegold-Bovermann, “Morgen werden wir die Gewerkschaftshäuser besetzen“, 2003; Angermund, Deutsche Richterschaft 1919-1945, 1990; Ingo Müller, Furchtbare Juristen, 1987; Loewy/Winter (Hg.), NS-“Euthanasie“ vor Gericht, 1996; Gruchmann, Justiz im Dritten Reich 1933-1940, 1988.

Heinrich König

Westfälische Volkszeitung vom 13.3.1933