Montag 06.02.23, 16:05 Uhr
Mieterverein Bochum zu den Meldungen über Pläne von VBW und anderen

Alternativen zur Neubaustrategie 4


Wie die WAZ Bochum am letzten Freitag und heutigen Montag gemeldet hat, stoppen bzw. reduzieren die VBW und andere Unternehmen Neubauprojekte. Das greift der Mieterverein Bochum in seiner heutigen Pressemitteilung auf und fordert eine veränderte Wohnungspolitik: »Am Glockengarten plant die VBW statt 200 Wohnungen nur noch 94. Der zentrale Hintergrund ist, Neubau hat sich im letzten Jahr dramatisch verteuert. Die im Handlungskonzept Wohnen beschlossene Strategie durch Neubau den Wohnungsmarkt zu entspannen, kann in der neuen Marktlage erst recht nicht mehr funktionieren. Der Mieterverein sieht eine sich zuspitzende Situation, die schnell nach Antworten verlangt.

Die VBW ist mit Abstand der wichtigste Anbieter von neuen Sozialwohnungen in Bochum. Die Hälfte aller neugebauten Wohnungen sollen auch in Altenbochum sozial gefördert sein. Die Reduzierung des Volumens bedeutet, dass über 50 Sozialwohnungen weniger werden entstehen. Wie problematisch dies ist, zeigt der Vergleich zu den Jahren 2018-22, in denen im Durchschnitt in ganz Bochum nur 58 Sozialwohnungen entstanden.

Die Vonovia hatte erst Anfang letzter Woche den kompletten Stopp aller Neubauprojekte angekündigt. Ähnliche Fragen stellen sich allen anderen Wohnungsunternehmen. Die Baupreise sind 2022 um 16 % gestiegen, die Bauzinsen haben sich verdoppelt. Lieferengpässe und Facharbeitermangel kommen hinzu.

Für die Neubaustrategie der Stadt, die jährlich 600 freifinanzierte und 200 öffentlich geförderte Wohnungen bauen wollte, kann daher erst recht nicht mehr funktionieren. Die Strategie war in Bezug auf geförderte Wohnungen schon vor der Baukrise weitgehend gescheitert. Statt 800 Sozialwohnungen entstanden nur 233.

Veränderte Wohnungspolitik ist notwendig

Der Mieterverein macht der Stopp vieler Neubauprojekte große Sorgen, denn gleichzeitig gehen Wohnungen durch Umwandlung, Abriss oder Leerstand infolge nachhaltigen Instandhaltungsstaus verloren. Die Mietpreise steigen seit einigen Jahren erheblich, wie der neue Wohnungsmarktbericht der Stadt jüngst konstatierte. Infolge des Ukraine-Krieges kommen erheblich gestiegenen Energiepreise, die viele Mieter:innen 2023 zu hohen Nachzahlungen zwingen. Die Mietbelastung, die in Bochum laut Wohnungsmarktbericht Ruhr schon davor ruhrgebietsweit am höchsten lag, bringt immer mehr Mieter:innen an ihre Belastungsgrenze.

Der Mieterverein erwartet von den Fraktionen im Rat und Oberbürgermeister Thomas Eiskirch eine zeitnahe Beschäftigung mit der völlig veränderten Lage auf dem Wohnungsmarkt. Der Mieterverein Bochum wünscht sich schnelle Maßnahmen. Das nimmt der nachhaltigen Evaluation des Handlungskonzepts nicht die Notwendigkeit. Dennoch hält der Mieterverein ein Jahr Warten für keine adäquate Option.

Wie dennoch bezahlbarer Wohnraum erhalten und neu entstehen kann, der auch dem Klimanotstandbeschluss der Stadt Rechnung trägt, haben der Mieterverein und 18 weitere Akteure in der „Erklärung für eine sozial und ökologisch zukunftsorientierte Wohnungspolitik in Bochum“ erarbeitet. Die zentrale gemeinsame Forderung ist eine Konzentration auf die Bestandspolitik. Deren Aufgabe ist es, Leerstand und Instandhaltungsstau zu reduzieren sowie Abrisse und Umwandlungen zu verhindern. Neue Wohnungen könnten verstärkt zum Beispiel durch Aufstockungen entstehen, die schneller und preisgünstiger erstellt werden können.«


4 Gedanken zu “Alternativen zur Neubaustrategie

  • Norbert Hermann

    Wohnungsnotstand

    Die Vorschläge des MVBO sind gut und richtig, aber etwas für die „lange Bank“, wer Bochum’sche Verhältnisse kennt.

    „Der Mieterverein sieht eine sich zuspitzende Situation, die schnell nach Antworten verlangt.“ – Die Situation ist schon „spitz“ – es herrscht absoluter Wohnungsnotstand. Ordnungsrechtlich untergebracht sind in Bochum – Stand 31.12.2022 – 2211 Menschen. Das sind nicht nur Geflüchtete. Vor einem Jahr waren es fast ebenso viele. Da gibt es also Bewegung, aber es kann sein, dass immer wieder Menschen kommen, und das Angebot bisher zurückgehaltenen Wohnraumes hat auch seine Grenzen. Zudem gibt es natürlich eine große Dunkelziffer, was Wohnungslosigkeit betrifft (https://www.bo-alternativ.de/2017/10/22/im-untergrund/).

    „Auf dem Esch“ in Höntrop werden Industriegroßzelte für 300 Menschen errichtet, weitere Flächen sind in der Hinterhand. Auch Studierenden fehlen Wohnungen.

    Es gibt Leerstand in Bochum, 7.100 Wohnungen (Leerstandsquote von 3,6 %) waren das am 31. Dezember 2020, sagt der Wohnungsmarktbericht 2022 (https://www.bochum.de/C125830C0042AB74/vwContentByKey/W2CM6GP2884BOCMDE/$File/Wohnungsmarktbericht_2022_WEB.pdf – S. 46 und S. 111). Aber erstens ist das gar nicht so viel, wie es sich anhört, sondern gar ein Hinweis auf einen angespannten Wohnungsmarkt, und zweitens stehen davon nur etwa 500 tatsächlich für eine aktuelle Vermietung zur Verfügung. Was viel zu wenig ist für einen funktionierenden Wohnungsmarkt.

    Von den ordnungsrechtlich untergebrachten Menschen ist etwa ein Drittel sehr unzureichend untergebracht, in einer Schule in Langendreer und in mehreren Containeranlagen. Die Ãœbrigen in Ãœbergangsheimen und in von der Stadt angemieteten Wohnungen leben oft sehr beengt (https://bochum.ratsinfomanagement.net/sdnetrim/UGhVM0hpd2NXNFdFcExjZQRku6lhmmdAgOq4SVYISlmsbMez0I6PYy1y2OnUTy7W/Datenpool_Unterbringung_Gefluechtete_31.12.2022.pdf).

    Da lohnt es sich, 7-8 Jahre zurückzublicken, und auch mal in andere Städte zu schauen: In Mülheim wurde das „Flüchtlingsdorf Saarn“ errichtet, in Holzbauweise. „Gegenüber konventionellen Containern oder Großraumzelten hatten die Holzhäuser einige Vorteile: Bessere Wärmedämmung, Bessere Schalldämmung, Flexibler Aufbau. Ein weiterer Punkt, den die Stadt Mülheim damals überzeugte: Die Häuser können je nach Bedarf umgenutzt werden.“ (https://wolffgruppe.de/projects/fluechtlingsunterkuenfte-muelheim-an-der-ruhr/de/index.html#:~:text=Neubau%20von%20Multifunktions%2DHolzh%C3%A4usern%20als,Personen%20sowie%20ein%20Verwaltungstrakt%20entstanden.)

    Was im Oktober 2021 daraus geworden ist: Zwei der leerstehenden Holzhäuser wurden als Grundkörper zur Erweiterung einer Schule genutzt. 2020 wurden acht leerstehende Flüchtlingsunterkünfte zu einem Corona-Not-Krankenhaus umfunktioniert. (https://www.derwesten.de/staedte/muelheim/muelheim-fluechtlinge-fluechtlingsheim-schule-krankenhaus-unterkunft-id233468050.html). Jetzt wird ein Teil der Häuser wieder für Geflüchtete genutzt.

    Es gibt auch Wohnanlagen in Tiny-House-Bauweíse, auch mehrstöckig, sog. „Eco-Villages“. Die Bodenversiegelung ist geringer und offener als in herkömmlicher Bauweise. Und wem das zu viel Versiegelung ist, der/die kann sich ja ein Tiny-House auf die eh versiegelte Garageneinfahrt stellen lassen.

    Jedenfalls kann die Unterbringung in Containern und Großzelten nicht weiter geduldet werden.

    • Norbert Hermann

      Werner Rügemer: Wohnen ist Menschenrecht

      Hier noch ein Hinweis au einen Beitrag von Werner Rügemer in verdi-publik 01-2023:

      WOHNEN — Das Wohngeld steigt, aber die Wohnungsnot nimmt zu

      https://publik.verdi.de/ausgabe-202301/wohnen-ist-menschenrecht/

      „82 Zwangsräumungen gab es 2021 in Deutschland – täglich. Insgesamt waren es 30.000, mehr als jemals zuvor. Öffentlich sichtbar sind ein paar der offiziell 45.000 Obdachlosen. Aber die etwa eine Million Wohnungslosen – sie hausen verschämt und unsichtbar in Garagen, Kellern, Autos, Campingwagen, Zelten im Wald oder gedrängt bei Freunden und Bekannten. Weil es keine billigeren Ausweich-Wohnungen gibt, haben sich zuletzt eine Million Hartz IV-Bezieher vom 449-Euro-Regelsatz im Durchschnitt 92 Euro monatlich abgeknapst.“

      „Unter der Dauerkanzlerin Angela Merkel ging die Armut in Arbeit und Rente weiter …“

    • Martin Krämer

      Die Leerstandzahlen sind leider eine Art BlackBox. Wieviele wirklich vermietbar sind, ist unklar. Es dürften schon mehr als 500 sein, der Wohnungsmarktbericht schreibt dazu deren Zahl sei nicht genau abzuschätzen. Aber in der Tat dürften viele Instandhaltungsstau haben. Ob sie nicht trotzdem vermietet werden, ist damit übrigens leider nicht gesagt. Die Berichte über erhebliche Missstände in vermieteten Wohnungen häufen sich jedenfalls.

      Andererseits dürfte eine ebenso unbekannte und nicht geringe Zahl von Leerständen nicht per Stromzählermethode erfasst werden, denn diese zählt nur Stromzähler mit Minderverbrauch. Nach einigen Monaten ohne Vermietung werden diese Zähler von den Stadtwerken meist ausgebaut und tauchen daher nicht als Leerstand auf. Für diese länger leerstehenden Wohnungen dürften noch stärker gelten, dass diese unter Instandhaltungsstau leiden.

      Diese Leerständen sind aber auch eine Chance, wenn es gelingt viele wieder bewohnbar zu machen. Dazu müsste die Stadt stärker eingreifen. Die Wohnungsmarktbeobachtung sollte befähigt werden kleinteiliger vorzugehen, um die Leerstände konkret zu erfassen. Erst darüber könnten wirksame Lösungen gefunden werden. Mag in manchen Fällen Druck auf Vermieter:innen über eine noch zu verabschiedende Zweckentfremdungssatzung wirkungsmächtig sein, wird in anderen Fällen eher Hilfen für überforderte Vermieter:innen notwendig sein, die Sanierungen zum Beispiel finanziell nicht stemmen können.

      • Norbert Hermann

        Interessante Vorschläge

        Inge Bartke-Anders hat hier im 6. Leserbrief einige interessante Vorschläge gemacht:

        https://www.bo-alternativ.de/2023/02/02/ueber-200-zwangsraeumen-2022-in-bochum/

        Unter anderem: Aufstocken über “ über Pkw- Abstellflächen ( der Autohäuser ), Parkplätzen der Supermärkte, des „Ruhrpark“ u.a.“. In Langendreer auf der Unterstr. hat ALDI einen neuen, großen Laden eröffnet mit riesigem Parkplatz. Da ließe sich gut in die Höhe bauen – wenn es sich nicht um eine Frischluftschneise handelt, die dann erheblich beeinträchtigt würde. – Die o.g. Zahlen zum Leerstand und zum kurzfristig beziehbaren Anteil sind geschätzt, richtig. Genaueres steht – wie angegeben – im erwähnten Wohnungsmarktbericht 2022

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