Im Rahmen des Klima-Wochenendes im Bergbaumuseum diskutierten ein Dutzend Teilnehmer:innen im Workshop “Klima & Wohnen” am Sonntag-Vormittag, wie sich die Versorgung der Bevölkerung mit bezahlbarem Wohnraum vereinbaren lässt mit den Zielen des Arten- und Klimaschutzes. Bochum gehört zu den 10 am dichtesten besiedelten Städten in Deutschland – wo auch immer gebaut wird, hat die weitere Flächenversiegelungen unerwünschte Folgen. Entsprechend wehren sich inzwischen 16 örtliche Initiativen gegen lokale Bauvorhaben, um ökologisch bedeutsame Freiflächen zu retten.
Zu Beginn stellte Martin Krämer vom Mieterverein das Thesenpapier “Für eine soziale und ökologisch zukunftsfähige Wohnungspolitik in Bochum” vor. Es war vor einem Jahr von 19 Organisationen in Bochum aus dem sozialen und ökologischen Bereich vorgelegt worden (Download hier). Die Gruppe, die sich inzwischen “Bündnis für gutes Wohnen in Bochum” (GuWoBo) nennt und Veranstalterin dieses Workshops war, wurde daraufhin von der Stadt zur Teilnahme am Begleitgremium des Evaluierungsprozesses des “Handlungskonzepts Wohnen” eingeladen.
Das Handlungskonzept Wohnen war immer wieder Thema in diesem Workshop. Es wurde 2017 vom Rat der Stadt Bochum beschlossen, stellte einen engen Wohnungsmarkt für Bochum fest und setzte zur Lösung der Probleme vor allem auf Neubau: 800 Wohnungen sollten jährlich neu entstehen, davon 200 öffentlich gefördert. Damit hoffte man, zum einen das Wohnungsangebot insgesamt zu vergrößern, zum anderen den seit Jahrzehnten schrumpfenden Anteil an Sozialwohnungen zu stoppen. Denn, so stellte das Handlungskonzept fest, jährlich fallen 180 Sozialwohnungen durch Rückzahlung der öffentlichen Darlehen aus der Bindung und werden damit freifinanzierten gleichgestellt.
Diese Zahl war, so legte Martin Krämer dar, ein Irrtum. In Wirklichkeit ist die Zahl der Bindungsausläufe mehr als doppelt so hoch. Selbst wenn es 200 neue Sozialwohnungen pro Jahr gäbe, wäre die Schrumpfung weiterhin dramatisch. Aber auch dieses Ziel wird seit 2017 jedes Jahr deutlich verfehlt. Das liegt, so Krämer, an einer fatalen Ausnahmeregelung: Das Handlungskonzept legt eine Sozialwohnungsquote von 20 bis 30 % bei Neubauprojekten vor, aber erst ab 2000 qm Gesamtfläche. Man kann also 39 50-qm-Wohnungen bauen, ohne eine einzige Sozialwohnung dabei. Und wenn man größere Bauvorhaben in verschiedene Bauabschnitte teilt und die Baugenehmigungen nacheinander beantragt, ist noch viel mehr möglich. Freifinanzierter Wohnungsbau hingegen schaffe vor allem teuren Wohnraum mit Mieten über 10 € pro qm. Die Wohnungsnot beträfe aber hauptsächlich Geringverdiener:innen, die solche Mieten nicht bezahlen könnten.
Helge Ehrhard, Dipl. Ing. für Zukunftsenergie von Scientists for Future, referierte anschließend über klimafreundliches Sanieren im Bestand. Denn eine Dauerforderung des Bündnisses GuWoBo ist, sich stärker der Bestandspflege zu widmen, statt einseitig auf Neubau zu setzten: Preiswerten Wohnraum erhalten, Schrottimmobilien instandsetzen, Leerstände akquirieren ist zwar nicht einfacher, aber letztlich preiswerter und weniger umweltschädlich als Neubau – egal, ob auf der grünen Wiese oder als Ersatzbau nach Abriss.
Ehrhards Fazit war sehr gespalten. Bochum sei zwar die Kommune im Ruhrgebiet, die das Dachflächenpotenzial (für Sonnenenergie oder Dachbegrünung) am zweitbesten nutzt, schöpfe dabei aber immer noch nur 3,4 % des Potenzials aus. Zwar könne Solarthermie nur die Hälfte des Wärmebedarfs der Stadt decken, allerdings verfügten fast die Hälfte aller Gebäude in der Stadt über ein Flachdach, so dass sie sich prinzipiell dafür eignen, Solaranlagen darauf zu installieren, die keinen zusätzlichen Flächenbedarf haben. Schwierigkeiten beim Ausbau mache allerdings die Technik. Bis 2012 sei Deutschland z. B. führend in der Produktion von Photovoltaik gewesen, seither gebe es aber eine regelrechte Verhinderungsgesetzgebung, so dass es jetzt nur noch eine einzige Produktionsstätte in Deutschland gebe. 95 % der Technologie stamme inzwischen aus China, was durch Corona und Krieg inzwischen zu Lieferengpässen führe.
Ein weiteres wichtiges Anliegen des Bündnisses ist es, die Bürger:innen der Stadt bei allen Vorhaben einzubinden und mitzunehmen. Andrea Wirtz vom Netzwerk für bürgernahe Stadtentwicklung forderte die frühzeitige, umfassende und transparente Einbindung der Anwohner:innen in alle Bauvorhaben. Bisher, so stellte sie fest, ist das Ausmaß der Bürgerbeteiligung abhängig von Größe, Lautstärke und Kampfkraft der jeweiligen lokalen Bürgerinitiative. Das, so forderte sie, müsse anders werden. Bürger:innen müssten von Anfang an eng in alle Vorhaben eingebunden werden, nicht nur wegen ihrer direkten Betroffenheit, sondern auch wegen ihrer lokalen Expertise. Als Positivbeispiel nannte sie “Gerthe West”, wo es nach jahrelangen Protesten gelungen sei, einen Planungsprozess mit Bürgerbeteiligung zu installieren, an dessen Ende die Bebauungsziele um die Hälfte reduziert wurden. Aber es gebe auch Gegenbeispiel. So kämpfe die Höntroper Bäder-Initiative seit 8 Jahren für den Erhalt des Hallen- und Freibads, und es habe noch nicht ein Gespräch mit der Stadtverwaltung gegeben.
Nadja Zein-Draeger vom Netzwerk für Bürgernahe Stadtentwicklung moderierte die Diskussion und wies darauf hin, dass die Stadt Bochum am 3. 6. 2019 den Klimanotstand ausgerufen habe, was aber offensichtlich reine Symbolpolitik gewesen sei. So heiße es in einer Fußnote des damaligen Ratsbeschlusses, der Begriff Klimanotstand sei symbolisch zu verstehen und solle “keine juristische Grundlage für die Ableitung von Notstandsmaßnahmen sein”. Dementsprechend habe Stadtbaurat Dr. Bradtke einen vorgezogenen Klimacheck bei Baumaßnahmen abgelehnt, denn sonst hätte das Klima ja Vorrang vor anderen Belangen (wie dem Wohnungsbau).
In der Diskussion erinnerte Aichard Hoffmann vom Mieterverein an Zeiten vor der vorletzten Kommunalwahl, als Bochum noch eine andere Oberbürgermeisterin und einen anderen Stadtbaurat gehabt habe. Damals habe es keinerlei Wohnungspolitik in Bochum gegeben und auch praktisch keinen Neubau, mit der Folge, dass Menschen, die in Bochum arbeiten, in Witten gebaut hätten, oder in Sprockhövel oder gar Coesfeld – halt irgendwo im Einzugsbereich der A 43. Das sei auch nicht wirklich erstrebenswert gewesen, auch nicht im ökologischen Sinne. so dass es keine Lösung sei, Bauen einfach kategorisch abzulehnen.
Für den Verein “Freundinnen und Freunde des Hallen- und Freibades Höntrop” stelle ich richtig:
Es gab in den vergangenen Jahren vereinzelt Gespräche mit der Verwaltung. Diesen fehlte es allerdings an Offenheit. Die niedrigste Stufe der Bürgerbeteiligung, die der “Information”, wurde oft nicht erreicht. Vor allen Dingen fehlte den Gesprächen die Qualität einer “Konsultation”. Beides wurde durch die Ãœberführung der Bäder in die sogenannten “WasserWelten Bochum GmbH” nicht besser. Wir werden uns weiter um Bürgerbeteiligung bemühen, eine entsprechende Anfrage liegt den “Wasserwelten” seit dem 13.September 2022 vor.
“Damals habe es keinerlei Wohnungspolitik in Bochum gegeben und auch praktisch keinen Neubau, mit der Folge, dass Menschen, die in Bochum arbeiten, in Witten gebaut hätten, oder in Sprockhövel oder gar Coesfeld – halt irgendwo im Einzugsbereich der A 43. Das sei auch nicht wirklich erstrebenswert gewesen, auch nicht im ökologischen Sinne. so dass es keine Lösung sei, Bauen einfach kategorisch abzulehnen.” Die Argumentation hat zwei fragwürdige Knackpunkte. Ob dieses Bauen außerhalb wirklich in nennenswerter Anzahl stattgefunden hat, ist unklar. Gibt es dazu Zahlen? Zum anderen kann es doch nicht Ziel sein, dass alle Menschen zwangsweise in dem Ort wohnen, wo sie arbeiten. Dann hätte Bochum vermutlich weniger als 300.000 Einwohner:innen, aber Düsseldorf mehr als 1 Mio. Entscheidend ist die Art der Mobilität. Wer aus Recklinghausen mit der Bahn nach Bochum pendelt, wird eine weit bessere Klimabilanz haben, als jener, der aus Altenbochum mit dem Auto in die Innenstadt fährt.
»Gibt es dazu Zahlen?«
Zahlen zur Stadt-Umland-Wanderung gibt es regelmäßig in der Wohnungsmarktberichterstattung der Stadt Bochum:
https://www.bochum.de/amt-fuer-stadtplanung-und-wohnen/Dienstleistungen-und-Infos/Wohnungsmarktbeobachtung
Unser Stadtbaurat Dr. Bradtke war, bevor er nach Bochum kam, Baurat in Witten und hat mal auf einer öffentlichen Veranstaltung erzählt, wie hoch die Nachfrage Bochumer Bürger:innen z. B. im Neubaugebiet in Heven war.
»Zum anderen kann es doch nicht Ziel sein, dass alle Menschen zwangsweise in dem Ort wohnen, wo sie arbeiten.«
Natürlich kann und soll es da keinen Zwang geben. Aber es ist doch ein legitimes Interesse einer Stadt, dass Mneschen, die hier Arbeiten und für die die Stadt deshalb Infrastruktur vorhalten muss, auch hier ihre Steuern zahlen und hier als Einwohner gezählt werden. Denn auch alle Mittelzuweisungen des Landes richten sich stets nach der Einwohnerzahl.
»Entscheidend ist die Art der Mobilität.«
Selbstverständlich. Aber man braucht sich nur die hohe Zahl der Autos mit Kennzeichen EN und COE auf Bochumer Straßen anzusehen, dann weiß man, dass keineswegs alle Pendler mit Bus und Bahn nach Bochum kommen. Das ist in anderen Städten auch nicht anders.
Es ging mir auch nicht darum, eine Rechtfertigung für jedes Neubaugebiet auf der grünen Wiese zu liefern, sondern festzuhalten: Gar kein Neubau ist auch keine Lösung”
Helge Ehrhard, Dipl. Ing. für Zukunftsenergie … …. : Preiswerten Wohnraum erhalten, Schrottimmobilien instandsetzen, Leerstände akquirieren ist zwar nicht einfacher, aber letztlich preiswerter … .
Preiswerter? Althauserneuerung ist ökonomisch betrachtet kostenintensiver und weniger rentabel.
Dachflächenpotenzial für Sonnenenergie oder Dachbegrünung.
Der Markt zur Sonnenenergie wurde ab den 90zigern bewusst vernachlässigt, die Konzerne wollten weitermachen mit Kohle und Atomstrom. Große Kraftwerksprojekte in Schwellen- und Entwicklungsländern bringen ebenfalls mehr Profit.
Also Auftragsvolumen im Verhältnis zum Ertrag.
Energiewirtschaft, Stadtgestaltung, Miet-/ Wohnungsbau, alles essentielle Rentabilitätsgebiete im Kapitalismus.
Da haben die Linken und ökologisch Orientierten nichts mitzureden.
In einem so durchkapitalisierten Markt bringen gute Ideen allein nichts.
Außer wenn eine Idee großen Gewinn verspricht.