Donnerstag 03.11.22, 19:35 Uhr
Die CDU/CSU und das Bürgergeld

Sozialberatung Ruhr: „Vom Lügen und Betrügen“


Die Sozialberatung Ruhr schreibt unter dem Titel „Vom Lügen und Betrügen“: »Jeder Mensch, der die öffentliche (sprich veröffentlichte) Debatte verfolgt, stößt unweigerlich auf das Thema Bürgergeld. Die Ampelkoalition, bestehend aus SPD, Grünen und FDP, will mit Wirkung zum 1. Januar 2023 das sogenannte Bürgergeld einführen. Die CDU/CSU hat sich hier in Stellung gebracht und erklärt, dass die geplante Reform des Bürgergeldes falsche Anreize setzt und damit Menschen gefördert werden, die sich auf Kosten der Arbeitenden einen schönen Tag machen. Der NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) wird auf WDR.de am 02.11.2022 damit zitiert, dass es nicht gerecht sei, wenn „Menschen auf Kosten derer, die fleißig arbeiten gehen, ziemlich lange nicht mitwirken müsse, ein ziemlich hohes Schonvermögen haben.“

Ähnlich äußerte sich auch Ministerpräsident Söder (CSU) aus Bayern. Hier geht es darum, dass Menschen, die im Leistungskreis SGB II landen, eine gewisse Zeit lang (zwei Jahre) € 60.000 für die erste Person und für jede weitere € 30.000 als Schönvermögen haben dürfen sollen. Wenn man die weiteren Ausführungen aus dem Unionsbereich verfolgt, könnte man fast den Eindruck bekommen, dass Leute, die im Rechtskreis SGB II landen, nunmehr € 150.000 von der Staatskasse erhalten. Die vorgenannten Politiker kennen allerdings das Gesetz (zumindest sollten sie das). Hartz IV und auch sein Nachfolger Hartz V (Bürgergeld) heißen offiziell Sozialgesetzbuch II. Hier findet sich in der aktuellen Fassung die Regelung des § 67 Abs. 2 Satz 1 SGB II. Demzufolge sind abweichend von den §§ 9, 12 und 19 Abs. 3 Vermögen für die Dauer von sechs Monaten nicht zu berücksichtigen. Die vorgenannte Regelung soll dann nicht gelten, wenn das Vermögen erheblich ist. Das Vermögen ist dann nicht erheblich, wenn in Analogie zum Wohngeldgesetz Freibeträge von € 60.000 für das erste zu berücksichtigende Haushaltsmitglied und € 30.000 für jedes weitere Haushaltsmitglied gelten sollen (Geiger/Thie in LPK-SGB II, 7. Auflage, § 67 Rnr. 24).

Dies ist geltendes Recht und seinerzeit von der Union zusammen mit der SPD in Kraft gesetzt worden. Die Union regt sich also über ein Gesetz auf, das sie selber beschlossen hat. In diesem Zusammenhang sei im Übrigen der Hinweis erlaubt, dass es nur schwer vorstellbar ist, dass Arbeitslose so hohe Rücklagen haben. Zur Erinnerung sei darauf hingewiesen, dass nach einer regulären sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit zunächst einmal ein Arbeitslosengeldanspruch besteht. Dieser SGB III-Anspruch ist allerdings von der Höhe nicht identisch mit dem vorherigen Einkommen, sondern beträgt lediglich 60 % des letzten Nettolohns. Dieser Betrag erhöht sich auf 67 %, falls die betreffende Person ein Kind hat, dem es unterhaltsverpflichtet ist. Wenn vorhandenes Geldvermögen genutzt wird, um die Einnahmeausfälle auszugleichen, verbleibt nach der Leistungszeit kaum noch etwas.

Die Dauer des Arbeitslosengeldes I (SGB III) ist befristet auf 6 bis 12 Monate je nach Dauer, wie lange vorher gearbeitet wurde und beträgt ab dem 50. Lebensjahr und 30 Versicherungsmonaten 15 Monate, ab dem 55. Lebensjahr und 36 Versicherungsmonaten 18 Monate und nach dem 58. Lebensjahr und 48 Versicherungsmonaten 24 Monate. Arbeitslosengeld gibt es insofern maximal für zwei Jahre. Danach rutscht man, egal ob man fünf Jahre oder dreißig Jahre gearbeitet hat, in das Hartz IV-System. Sollte dann noch Vermögen vorhanden sein, was im Regelfall zumindest als Barvermögen nicht der Fall ist, dann wären entsprechende Vermögensfreigrenzen einschlägig.

Erfahrungsgemäß ist es allerdings auch fast ausgeschlossen, nach dem 58. Lebensjahr einen neuen, vernünftig bezahlten sozialversicherungspflichtigen Job zu erhalten.

Die praktische Bedeutung dieses Streites dürfte insofern eher gering sein. Entscheidender ist allerdings der Sinn und Zweck der SGB II-Regelung. Auf die betroffenen Personen soll durch Nichtanerkennung der Miethöhen, durch Nichtanerkennung von Barrücklagen als geschütztes Vermögen so viel Druck ausgeübt werden, dass die Menschen jeden, aber auch jeden Job ggfs. unter Umgehung des Mindestlohns annehmen, um noch halbwegs über die Runden zu kommen.

Die ganze Diskussion zum sogenannten Bürgergeld geht völlig an den Problemen vorbei und wirkt ein bisschen so, als würde jemand mit seinem Pkw voll vor die Mauer fahren und sich anschließend darüber beschweren, dass die Radkappe hinten links eine Delle hat. Die richtigen Antworten wären: höhere Löhne, höhere Renten, höhere Sozialleistungen und insbesondere weniger Hassprediger unter den Ministerpräsidenten und Profipolitikern.«