Donnerstag 06.10.22, 14:54 Uhr
Rede von Heiko Koch am 05.10.2022 anlässlich der Erstellung des Gedenkgraffitos für Josef Gera

Über das Leugnen eines rechtsradikalen Mordes aus homophoben Beweggründen


Sehr geehrte Anwesende,

Mein Name ist Heiko Koch. Ich bin der Initiator dieser Gedenk- und Kunstaktion mit Klaus Dauven. Der Mord an Josef Anton Gera, der hier auf diesem Gelände im Oktober 1997 verübt wurde, beschäftigt mich seit 25 Jahren. Damals war dieses Gelände eine große Brachfläche leerstehender Hallen, dunkler Tunnelröhren, Gleisanlagen und Betonflächen – unterbrochen von Grünstreifen mit wilder Natur. Am 14. Oktober 1997 wurde hier der 59 jährige Frührentner Josef Gera so stark zusammengeschlagen, dass er Tage darauf an seinen inneren Verletzungen im Elisabeth-Hospital verstarb. Diese Tatsache und dass die Polizei vier Nazi-Skins suchen würde erfuhr man eine Woche nach der Tat aus der Lokalpresse. Für mich und einen Freund war dies Anlass uns auf die Suche nach dem Tatort auf dem ehemaligen Kruppgelände zu machen. Wir waren entsetzt von der Tat und wollten die rechtsradikalen Strukturen hinter dem Geschehen ausfindig machen.

Unsere Suche auf dem Gelände verlief ergebnislos. Die später in der WAZ abgebildete Unterkunft der rechten Wohnungslosen mit den SS-Runen und den Hakenkreuzen fanden wir nicht

Erste Hinweise zu Gera bekam ich bei den von mir befragten Wohnungslosen in der Sozialstation auf dem Springerplatz. Sie kannten ihn, wollten aber zum Teil nicht mit ihm trinken, da er sie „anschwulen“ würde.

Schließlich war ich bei der Pressekonferenz im Bochumer Polizeipräsidium, wo der leitende Kommissar Walter Pindur die Ermittlungsergebnisse der Mordkommission präsentierte.

Dazu gehörten die Informationen:

Die Behausung war auf dem Brachgelände von den rechten Wohnungslosen mit allerlei Naziemblemen verziert worden
Einen Tag nach der Gewalttat brüsteten sich die beiden Täter bei Anverwandten des einen Täters mit der Tat. Sie hätten es einem „Schwulen gezeigt“ und garnierten ihr Tatbekenntnis mit einem Sieg Heil und dem Deutschen Gruß
In der Vernehmung gaben beide die Tat zu und als Motiv die Homosexualität Geras an

Sie können sich sicherlich mein Erstaunen und auch die sich einstellende Entrüstung vorstellen, als der Vertreter der Staatsanwaltschaft die Motive der geständigen Täter in Frage stellte und von vorgeschobenen Schutzbehauptungen sprach. Gerade so, als ob es bei einer Gewalttat ein mildernder Umstand wäre, wenn eine gleichgeschlechtliche Person Annäherungsversuche machen würde. Ich widersprach dem Staatsanwalt und wies auf meine Recherchen hin, dass Gera in der Obdachlosen-Szene als schwul bekannt wäre. Darauf wurde nicht eingegangen und der Staatsanwalt hielt weiter an seiner entpolitisierenden These fest.

In der Folgezeit wurde diese These auch in der Lokalpresse vertreten und durch den Prozess im April 1998 manifestiert. Hier wurde kaum auf die Bemalung der Baracke und die gestandenen Motive der Täter eingegangen. Die Anverwandten des einen Täters traten im Prozess nicht als ZeugInnen auf. Und weil die Täter „nur“ eine rechtsradikale Gesinnung hatten, nicht aber organisiert waren, galten sie nicht als politisch motiviert. Obwohl die Täter bewusst die Ereignisse herbeigeführt hatten und aus homophoben Hass handelten, wurden sie nicht wegen Mordes, sondern wegen schwerer Körperverletzung mit Todesfolge verurteilt. Fünf und sechs Jahre für das Leben eines Menschen. Dazu die Aussicht auf frühzeitige Entlassung des Haupttäters, wenn er in der Haft eine Alkoholtherapie beginnen würde.

Damit war es amtlich. In Bochum hatte es keinen rechtsradikalen Mord aus homophoben Beweggründen gegeben. Das Image Bochums war gerettet.

Und es rührte sich in Bochum kein Widerspruch. Niemand widersprach dieser behördlichen Version.

Mir selbst war es nur gelungen in einer lokalen und einer nrw-weiten Antifa-Publikation meine Recherchen zu verbreiten. Aber auch das führte zu keinerlei Reaktionen.

Es dauerte 10 Jahre bis der Mord an Josef Gera wieder thematisiert wurde. Anlässlich des Protestes gegen den Thor Steinar Ladens in der Oskar-Hoffmann-Straße im Jahr 2007 hielt ich eine Rede und berichtete über extrem rechte Gewalt in Bochum. Angestoßen durch diesen Redebeitrag fand der Mordfall Gera wieder Interesse und in den nächsten Jahren kam es zu einigen kleinen Kundgebungen und Demonstrationen. Ich gab weiterhin Interviews, schrieb Artikel und zusammen mit FreundInnen machte ich mehrere Kunstaktionen im öffentlichen Raum, um an Gera zu erinnern. Dies verstärkt in den letzten Jahren.

Heute stehen wir hier, um Josef Gera zu gedenken, der vor nun fast 25 Jahren auf diesem Gelände ein Opfer homophober und rechtsradikaler Gewalt wurde..

Leider ist zu dem Mann aus Bochum Riemke nichts bekannt.

Ich würde mir wünschen, wenn anlässlich der anstehenden Presseberichte sich Bekannte und Verwandt melden würden und wir mehr über das Leben von Josef Gera erfahren könnten. Mehr über das Leben eines homosexuellen Mannes der 1938 geboren wurde und mit Sicherheit unter dem berüchtigten Paragraphen 175, der sexuelle Handlungen zwischen Männern bis 1994 unter Strafe stellte, gelitten hat. Einem Paragraphen dessen Opfer erst vor fünf Jahren vor dem Gesetz rehabilitiert wurden.
Ich wünsche mir weiterhin eine Steele oder Gedenktafel vor Ort, die über einen OR-Code den BetrachterInnen von Klaus Dauven Kunstwerk noch mehr Informationen zu Josef Gera vermitteln würden.
Und ich wünsche mir eine städtische Initiative, die sich bemüht, dass der Prozess zu Josef Gera und die Motivlage der Mörder neu bewertet wird und Josef Gera offiziell als Opfer rechter Gewalt anerkannt wird. So wie es derzeit mit Thomas Schulz und den drei ermordeten PolizistInnen aus dem Jahr 2000 in Dortmund passiert.

Ich bedanke mich herzlich bei Klaus Dauven für seine hervorragende Arbeit.

Bei der Firma Kärcher für ihre großartige Unterstützung.

Bei dem Team der Jahrhunderthalle, die uns so toll mit Technik und Support unterstützt hat.

Der Galerie Januar für die Trägerschaft des Projektes.

Und Demokratie Leben für die großzügige Unterstützung.

Und natürlich Barbara Jessel für ihre politische Unterstützung.

Ohne sie alle hätte es nicht ein so tolles Kunstwerk zur Erinnerung an Josef Gera gegeben.

Und natürlich vielen Dank an alle Anwesenden für ihr Interesse und ihr Engagement gegen Homophobie und Faschismus.

Als abschließenden Kommentar lassen sie mich auf die Fernsehserie „Games of Thrones“ verweisen. Hier wird immer mit dem Spruch „winter is coming“ gewarnt. Angesichts der Wahlausgänge in Schweden und Italien und dem Rückgang liberaler Demokratien in Europa lassen sie mich diese Losung zu einer anderen Warnung umformulieren: „fascism is coming“. In diesem Sinne gilt es zusammen zu stehen und zu kämpfen.

Vielen Dank.