In einer Pressemitteilung der Grünen wird ein Dringlichkeitsantrag für die Ratssitzung am 1.April vorgestellt: »Die Ratsfraktionen von SPD, Grünen, CDU und FDP haben auf den Umstand, dass der Radentscheid aus gutachterlicher Sicht aus formalen Gründen als unzulässig zu betrachten ist, schnell reagiert und in den vergangenen Tagen einen Kompromiss zur Stärkung des Radverkehrs in Bochum ausgehandelt. Als Dringlichkeitsantrag soll er im Rat am Freitag beschlossen werden.
Viele Forderungen des Radentscheids, die Bochum fahrradfreundlicher werden lassen sollen, wurden direkt in den Antragstext übernommen: Die unsicheren kombinierten Geh- und Radwege soll es künftig nicht mehr geben, stattdessen werden grundsätzlich getrennte Bereiche angelegt. Alle weiterführenden Schulen bekommen bis 2030 Schulradwegpläne. Es sollen zusätzlich 5.000 neue Radabstellanlagen errichtet werden, davon rund 800 in der Innenstadt. Im dritten Quartal 2022 soll ein Sofortmaßnahmenpaket zur Umsetzung in 2022/23 verabschiedet werden. Zum Beispiel sollen Radwege errichtet werden, für die es nur Markierungen und keine baulichen Veränderungen braucht.
Die umstrittenste Frage des Entscheids bezieht sich auf die Länge der neuzubauenden Radwege. Bis zum Jahr 2030 werden nach dem Willen von SPD, Grünen, CDU und FDP jährlich 20 neue Radwegekilometer entstehen, davon 7km im Haupt- und 13km im Nebenstraßennetz. Am Ende kommen so 200 Kilometer neue Radwege zusammen. Im gleichen Zeitraum werden 20 Kreuzungen radverkehrsfreundlich umgebaut. Diese Ausbauziele stellen aus Sicht der antragstellenden Fraktionen das Maximum dar, was mit den absehbar zu Verfügung stehenden Kapazitäten leistbar ist. Wie alle andere Bauprojekte, ist auch der Radwegeausbau mit dem Problem konfrontiert, dass kaum zusätzliches qualifiziertes Personal für notwendige Planungs- und Ingenieurleistungen zu finden ist. Die Spitzen der vier Fraktionen Burkart Jentsch (SPD), Barbara Jessel (Grüne), Christian Haardt (CDU) und Léon Beck (FDP) erklären dazu: „Mit diesem Beschluss kommt der Radverkehr in Bochum ein großes Stück voran. Das ist auch ein Verdienst der Initiative Radentscheid und der 17.000 Bürgerinnen und Bürger, die per Unterschrift für dieses Anliegen eingetreten sind.«
Dazu ein erster Kommentar eines Vertreters der Radwende:
“Der für den 1.April vorliegende Dringlichkeitsbeschluss von SPD, Grünen, CDU und FDP zum Radverkehr in Bochum enthält nur noch wenig von dem, was eigentlich Ziel des Radentscheids war. Einige kleinere Maßnahmen aus dem Radentscheid wurden aufgenommen, aber die zentrale Forderung nach neuen Radwegen steht laut Beschlussvorlage unter dem Vorbehalt, “dass keine erheblichen Einschränkungen für die Leistungsfähigkeit der Straßen, im Hinblick auf andere Verkehrsarten, entstehen.” Mit dieser schwammigen Formulierung könnten zukünftig Radwege verhindert werden, auch wenn sie wünschenswert wären. sie steht im Widerspruch zum im Mobilitätskonzept vereinbarten Ziel 60 % Umweltverbund (ÖPNV, Fuß, Rad) erreichen zu wollen, wenn der heutige Status Quo der Leistungsfähigkeit für Autos festgeschrieben wird. Denn darin sind sich alle Verkehrsexpert:innen einig, eine Mobilitätswende gelingt nur über Flächengerechtigkeit, denn nur durch Einschränkungen der vom Auto beanspruchten Flächen, kann Radinfrastruktur entstehen. Bisher existieren in Bochum aber lediglich 64 km Radwege (bei einem Straßennetz von 450 km Hauptstraßen), von denen aber viele nicht den sogenannten ERA Vorgaben von 1,85 m Breite genügen.
Der Dringlichkeitsantrag schränkt weiter ein, die 3,5 km an Hauptstraßen, die zentrale Forderung des Radentscheids, und 13 km an Nebenstraßen werden gezählt, wenn sie gebaut aber auch wenn sie nur geplant werden. Werden damit alle neuen Radwege doppelt gezählt, in einem Jahr geplant im nächsten gebaut? Es ist also durchaus möglich, dass bis 2030 weit weniger als die angepeilten 20 km pro Jahr gebaut werden. Und selbst wenn in den kommenden acht Jahren 28 km Radwege an Hauptstraßen gebaut würden, fehlten dann immer noch an 90 % aller Hauptstraßen in Bochum sichere Radinfrastrukturen.
Die Herausforderungen zur Mobilitätswende sind groß und sicher nicht einfach umzusetzen. Sie nicht anzugehen wird die Probleme aber noch verschärfen. Höhere Kosten, mehr Staus, mehr Verletzte im Straßenverkehr, weniger Umsatz im Handel, mehr Konflikte um Autos in Wohnvierteln… . Statt mutig die Konzepte des Radentscheids aufzugreifen, werden dessen wichtigste Ziele nun also verwässert. Das hat Folgen, denn der angestrebte Umstieg auf Rad ist gerade abhängig von sicherer Radinfrastruktur. Daher ist es zu begrüßen, dass die Stadtgestalter das Kompromissangebot des Radentscheids am Freitag als eigenen Antrag in den Rat bringen.
Besonders verwundert sind wir, warum nach Intervention der Grünen das Dokument im Sinne der Mobilitätswende schlechter geworden ist, als das, was zuletzt die SPD als Angebot an den Radentscheid formuliert hatte. Die Glaubwürdigkeit der grünen Partei, die zu Beginn als Unterstützer des Radentscheids aufgetreten war, im Bereich Mobilitätswende in Bochum hat dadurch stark eingebüßt.”