Samstag 12.03.22, 18:46 Uhr
Frauenkampftag 2022 in Bochum

Redebeitrag der F:antifa Bochum


Zu gefährlich für Despoten – feministischer Widerstand

Liebe Menschen, in unserem Text thematisieren wir u.a. Gewalt gegen FLINTA, daher wollen wir an dieser Stelle eine Triggerwarnung aussprechen.

Feministische Utopien müssen erkämpft werden. Das ist uns in den letzten Tagen nochmal sehr schmerzlich bewusst gemacht worden.

Während wir hier demonstrieren und lautstark unsere Meinungen und Forderungen nach einer friedlichen, gerechten und besseren Welt kundtun und uns weitgehend sicher sein können, dass wir dafür nicht verhaftet, geschlagen oder sogar ermordet werden, passiert genau dies genau in diesem Moment an vielen Orten der Welt und leider häufig unbeachtet von der sogen. westlichen Welt.

Am 04.03. war auf der Titelseite der TAZ zu sehen, wie die 77 Jahre alte Russin Jelena Ossipowa in St. Petersburg für handgemalte Schilder für Frieden und gegen Atomwaffen von mehreren Polizist*innen in Kampfmontur abgeführt und verhaftet wurde. Nach Angaben der TAZ ist über den Verbleib der langjährig aktiven Pazifistin seitdem nichts bekannt. Die Zeitung überschrieb das Foto mit den Worten: „Zu gefährlich für Putin“ – und genau so ist es.

Die Despoten und Machthaber dieser Welt scheinen nichts so sehr zu fürchten wie protestierende FLINTA und ihre Kämpfe für eine bessere Welt. FLINTA in der ganzen Welt fordern täglich das veraltete chauvinistische Weltbild dieser Despoten heraus.

Beispiel Belarus:
Niemals vergessen wollen wir die mutigen Frauen von Belarus, wie sie sich in weißen Kleidern den schwarzen Kampfeinheiten Lukaschenkos entgegengestellt haben und dafür schwere Gewalt, Inhaftierung, Vergewaltigung und auch Tod riskiert haben. Der Diktator sprach abfällig von „Mädchen, die Frikadellen machen können“, doch die Härte mit der diese Aktivistinnen verfolgt und bestraft wurden, zeigt doch, wie sehr er ihre Stärke fürchtet. Angeführt wurde die Widerstandsbewegung von 3 Frauen: Veronika Zepkalo, Swetlana Tichanowskaja und Maryja Kalesnikawa. Letztere weigerte sich das Land zu verlassen, wurde verschleppt und in einem politisch motivierten Prozess mit absurden Vorwürfen zu 11 Jahren Haft in einem Straflager verurteilt. Bis zuletzt blieb sie standhaft, formte mit gefesselten Händen ein Herz, um ihren Anhängerinnen Mut zu machen.

Beispiel Iran:
Für Freiheit, sexuelle Selbstbestimmung, Schulbildung und Chancengleichheit, aber auch gegen Todesstrafe und für Demokratie kämpfen FLINTA im Iran seit der Revolution bereits seit 4 Jahrzehnten. Einen Kampf, von dem hier im Westen oft nichts bekannt wird und der in den internationalen Verhandlungen nicht beachtet oder als nebensächlich angesehen wird. Und doch kämpfen diese Menschen um nichts weniger als universelle Menschenrechte.
Da ist zum Beispiel Atena, die seit ihrer Jugend gegen die Ungleichheit der Geschlechter im Iran, gegen soziale Ungleichheit und für Kinderrechte kämpft. Ganz besonders aktiv ist Atena gegen die Todesstrafe und Blutrache. Diesen Kampf führt sie in sozialen Medien, durch Organisation von Protesten oder durch nächtliches Besprühen von öffentlichen Wänden. Bereits mehrfach wurde Atena für diesen Protest inhaftiert. Doch kaum wird sie aus der Haft entlassen, schon organisiert sie ungebrochen den nächsten Protest – und riskiert erneute Verhaftungen.

Im Gefängnis wird menstruierenden Menschen systematisch die Würde genommen, z.B. in dem ihnen Menstruationsprodukte und das rituelle Waschen vor dem Gebet während der Menstruation verweigert werden. Offenkundig macht dies, dass es den Machthabern des Iran nur um Macht über FLINTA und ihre Körper geht und nicht um Religion!

Die in Teheran geborene Journalistin Golineh Atai berichtet auch von Wut und Trauer dieser mutigen Aktivistinnen, weil sie sich von der Welt verlassen und ungesehen fühlen, weil sie sich insbesondere auch von uns westlichen Feministinnen verlassen fühlen.

Beispiel Afghanistan:
Im letzten Jahr mussten wir hilflos mit ansehen, wie Afghanistan innerhalb weniger Tage im Stich gelassen und von den Taliban wieder übernommen wurde. Entgegen halbherziger Versprechungen der Taliban, hat sich die Situation von FLINTA seitdem dramatisch verschlechtert.

Frauenrechtsaktivistinnen und Journalistinnen wurden getötet, Schutzeintrichtungen und Mädchenschulen ab der 7.Klasse geschlossen, alleinstehende Frauen und Mädchen mit Talibankämpfern zwangsverheiratet. Frauen werden systematisch aus dem öffentlichen Leben gedrängt, Queere Menschen fürchten um ihr Leben. Trotz der tödlichen Bedrohung stellen sich immer wieder FLINTA den bewaffneten Talibankämpfern in den Weg, demonstrieren und machen auf systematische Menschenrechtsverletzungen der Taliban aufmerksam. Immer wieder bezahlen sie das mit Gesundheit und Leben, wie die beiden afghanischen Feministinnen Sarjab Pariani und Parwana Ibrahimchel, die am 20.Januar von den Taliban verschleppt und gefoltert wurden und von denen seither jede Spur fehlt. Wo war unsere Stimme als die beiden Feministinnen verschwanden?

Die afghanische Künstlerin und Schriftstellerin Nadir Shahalimi schrieb in ihrem Buch „Wir sind noch da!“: „Hört diesen Frauen zu, seht wer sie sind, seht ihren Einsatz für die Freiheit und für ihre Rechte. Seht sie in einem neuen Licht, sie sind keine Opfer, sie brauchen kein Bedauern, sondern eine Plattform, Unterstützung und Solidarität.“

Vor dem Mut und der Unerschrockenheit dieser Menschen haben wir den allergrößten Respekt. Doch auch wir müssen uns eingestehen, dass wir den Protest dieser FLINTA oft nicht wahrgenommen haben – auch wir sehen viel zu oft weg.

Daher rufen wir Euch heute auf: Schaut nicht weg! Solidarisiert Euch!

Der Kampf von FLINTA in Belarus, Ukraine, Russland, Iran, Afghanistan und überall sonst in der Welt für Freiheit, Gerechtigkeit, Frieden und Demokratie ist auch unser Kampf!

Das ist unsere Utopie: Eine Welt ohne Gewalt, Krieg, Unfreiheit und Ungleichheit!

Für eine feministische internationale Solidarität!

Abschliessend noch einige Zeilen der iranischen Dichterin Simin Behbahani auch genannt „Die Löwin des Iran“:

„Du willst mich auslöschen, aber ich werde nicht weichen von dieser Stätte. Ich werde weitertanzen, solange ich mich halten kann,

Deine Steine und Felsen fürchte ich nicht, ich bin die Flut, Du kannst meinen Fluss nicht bändigen.“