Samstag 12.03.22, 18:42 Uhr
Frauenkampftag 2022 in Bochum

Redebeitrag der Seebrücke


Liebe Menschen, der nächste Redebeitrag wird sich mit FLINTA auf der Flucht sowie geschlechtsspezifischen Fluchtgründen beschäftigen. Leider bedeutet dies, dass wir Gewalt gegen FLINTA thematisieren müssen, daher an dieser Stelle eine Triggerwarnung.

Seit einigen Tagen steht unsere Welt Kopf. Russlands völkerrechtswidriger Überfall auf die Ukraine hat uns den Krieg vor die Haustür gebracht. Millionen von Ukrainer:innen, größtenteils FLINTA und ihre Kinder, sind nun auf der Flucht vor Krieg und Zerstörung. Neben der Gefahr durch Putins Bomben ist aus anderen Krisensituationen bekannt, dass FLINTA in Kriegen und auf der Flucht sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt sind. Nach Angaben von UN Women erleben 70% der FLINTA auf der Flucht sexualisierte Gewalt. Die Dunkelziffer ist hoch, da aus Scham häufig geschwiegen wird. Eine rasche Aufnahme von Überlebenden sexualisierter Kriegsgewalt und sichere Fluchtkorridore sind hier besonders dringlich.

Doch wir wollen nicht vergessen: auch vor dem Ukrainekrieg waren weltweit bereits über 80 Mio Menschen auf der Flucht – mit steigender Tendenz – wie aus den Zahlen des UNHCR hervorgeht. Über 50 Mio dieser Menschen sind Binnenflüchtlinge.

Nach Angaben des UN-Flüchtlingswerks sind circa 50% der Geflüchteten Frauen, Mädchen und LGBTIQ+ Personen. Sie fliehen vor politischer oder religiöser Unterdrückung, Krieg, Umweltzerstörung und Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen, aber sie fliehen auch vor geschlechtsspezifischer Unterdrückung, sexueller und häuslicher Gewalt, Zwangsverheiratung, Vielehe, Witwenverbrennung und Genitalverstümmlung. Weitere Fluchtgründe sind die systematische Verfolgung aufgrund der sexuellen Orientierung oder die Verfolgung von Inter- und Transmenschen. Krisensituationen wie Krieg, aber auch Pandemien, führen zur Auflösung gesellschaftlicher und sozialer Strukturen mit einer zugleich zunehmenden Gewaltbereitschaft. Auch hier sind FLINTA und LGBTIQ+ besonders betroffen. Systematische Vergewaltigung ist eine häufig angewandte Kriegs- und Folterstrategie.

KRIEG WURDE UND WIRD AUCH IMMER AUF DEN KÖRPERN VON FLINTA AUSGETRAGEN! Dennoch ist sexualisierte Kriegsgewalt kein anerkannter Asylgrund.

Flucht ist für FLINTA extrem gefährlich. Viele FLINTA erreichen ihr Ziel nicht, da sie durch Versklavung und Vergewaltigung, z.T. mit dadurch entstandener Schwangerschaft und lebenslangen Verletzungen, besonders gefährdet sind. Mädchen, die in Flüchtlingslagern ausserhalb der EU stranden, sind von Kinderheirat und einem nachfolgendem Risiko einer verfrühten Schwangerschaft, sowie Krankheit und Tod bedroht.

Die menschenunwürdigen Zustände in den Lagern an den EU Aussengrenzen stellen für diese schwer traumatisierten Menschen keine sichere Zufluchtsstätte dar. In den überfüllten Lagern sind sie nicht selten erneut Opfer von sexualisierter Gewalt und Unterdrückung. Manche Menschen schlafen mit Windeln, da sie nachts aus Angst vor Vergewaltigung nicht auf die Toiletten gehen.

Die sanitäre und hygienische Situation ist verheerend. Geschlechtergetrennte sanitäre Anlagen sind in der Regel nicht vorhanden, ebensowenig wie besondere Schutzräume für von sexualisierter Gewalt betroffene Gruppen.

Hinzu kommt die Unterversorgung an Menstruationsprodukten, wodurch menstruierende Menschen negativ in ihrem Gefühl der Sicherheit, ihrer Mobilität – wie den Gang zu den Essensausgabestellen – und ihrer Würde beeinträchtigt werden. Die katastrophalen hygienischen Zustände können zudem bei Menstruierenden zu lebensbedrohlichen Infektionen und Unfruchtbarkeit führen.

Auch in den Sammelunterkünften in Deutschland häufen sich Berichte von sexualisierter Gewalt gegen FLINTA und auch gegen ihre Kinder – auch hier ist die Dunkelziffer hoch. FLINTA, die sexualisierte Gewalt melden, erhalten nur selten psychologische Unterstützung. Oft wird den Betroffenen unterstellt, sie würden lügen und wollten sich hierdurch ein beschleunigtes Asylverfahren erschleichen – eine ekelhafte Täter-Opfer-Umkehr. IN diesem Zusammenhang ist es wichtig zu erwähnen, dass Deutschland sich bislang weigert, die EU Richtlinie zum Schutz für geflüchtete FLINTA umzusetzen.

Wir fordern:

  • Grenzen auf für ALLE Menschen! Die Grenzen der östlichen EU-Staaten müssen für ALLE Menschen offengehalten werden: für Ukrainer:innen und auch für Transitflüchtlinge. Auch für in der Ukraine lebende Menschen, die aus anderen Ländern wie Syrien, Afghanistan, Tschetschenien oder Somalia geflohen sind, müssen die Grenzen der EU offen sein. Rassistische Grenzpolitiken lehnen wir ab!
  • die sofortige Evakuierung ALLER MENSCHEN aus den unwürdigen Lagern an den EU Außengrenzen und aus den Kriegsgebieten der Ukraine. Bochum hat Platz! Deutschland hat Platz!
  • Menschen ohne einen ukrainischen Pass sind an Leib und Leben gefährdet und haben ein Recht darauf, in Sicherheit gebracht zu werden!
  • die Schaffung sicherer Fluchtwege für alle Menschen – Kein Ertrinken im Mittelmeer, kein Verdursten in der Wüste und kein Verrecken in überfüllten Lagern und Folterlagern an den EU-Außengrenzen! Und aktuell: sichere Fluchtkorridore in der Ukraine!
  • keine Unterbringung von alleinreisenden FLINTA und besonders Schutzbedürftigen in Sammmelunterkünften und ANKER-Zentren.
  • die Umsetzung der EU Richtlinie zum Schutz für geflüchtete FLINTA
  • die Aus- und Fortbildung von Mitarbeitenden in Flüchtlingsunterkünften und des BAMF bzgl. Gewaltprävention und traumasensiblen Arbeitsansätzen
  • den Zugang zu medizinischer, psychologischer bzw. psychosozialer Unterstützung für geflüchtete FLINTA
  • Wir fordern die Stadt Bochum auf, ALLE Menschen aufzunehmen und würdig unterzubringen, die zurzeit fliehen müssen. Der Stadt Bochum wurden zwischen Januar und August 2021 gerade einmal 44 Menschen zugewiesen. Im gleichen Zeitraum hat die Stadt Bochum übrigens 16 Personen abgeschoben. Die Zahlen zeigen: Wir haben Platz in Bochum!

Die Aufnahmerichtlinie der EU (2013/33/EU) bzgl. der Erkennung besonders schutzbedürftiger Geflüchteter muss hier umgesetzt werden. FLINTA, die aufgrund geschlechtsspezifischer Gewalt und Verfolgung aus ihrer Heimat geflohen sind und bei denen eine besondere Schutzbedürftigkeit im Sinne dieser Richtlinie festgestellt werden muss, muss ein Aufenthaltsstatus gewährt werden. Dies muss unabhängig davon erfolgen, ob das Herkunftsland als sicher gilt oder nicht. Sie sind grundsätzlich einem hohen Risiko ausgesetzt, Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt zu werden.
Die Verschlechterung der Bleibeperspektive für FLINTA aus vermeintlich sicheren Herkunftsländern führt dazu, dass sie erneut diskriminiert werden.

MACHEN WIR ES DEUTLICH: ES GIBT FÜR FRAUEN, MÄDCHEN, ABER AUCH FÜR MENSCHEN, DIE SICH NICHT IN EIN BINÄRES GESCHLECHTERMODELL PRESSEN LASSEN, KEIN SICHERES HERKUNFTSLAND!
NIEMAND FLIEHT FREIWILLIG ! KEIN MENSCH IST ILLEGAL!