von Heike Jackler
Einmal im Monat bin ich Teil der Critical Mass, der kritischen Masse. Als mich ein Freund im vorletzten Sommer einlud, doch auch mal dabei zu sein, wenn ein Haufen Fahrradverrückter gemeinsam durch Bochums Straßen fährt, sagte ich spontan zu. Und habe seitdem keine Fahrt verpasst.
Critical Mass, was ist das überhaupt? Die Critical Mass ist 1992 entstanden und eine weltweite Bewegung. Der Begriff stammt aus China. Dort staut sich der Zweiradverkehr so lange vor ungeregelten Kreuzungen, bis eine kritische Masse erreicht ist, die dann gemeinsam die Kreuzung quert und den anderen Verkehr zum Anhalten zwingt.
In Deutschland beruft sich die Critical Mass auf die Straßenverkehrsordnung. Wie kann’s hier auch anders sein. Nach §27 StVO bilden mehr als 15 Rad Fahrende einen geschlossenen Verband. Dann dürfen sie auf der Fahrbahn fahren und gelten als ein Fahrzeug, für das gemeinsam die Verkehrsregeln gelten. Hat die Spitze der Critical Mass an einer Kreuzung Vorfahrt oder Grün, dann fährt der Verband, bis alle Rad Fahrenden die Kreuzung oder Einmündung überquert haben. Wichtig ist hierbei, dass der Verband zusammenbleibt und keine Lücken entstehen. Um ungeduldige Menschen in Autos kümmern sich so genannte Corker. Sie sorgen dafür, dass sich kein Kraftfahrzeug in den Verband drängt. Die Critical Mass hat keinen Veranstalter und ist auch keine Demo. Wer vorneweg fährt, gibt die Richtung an.
Soweit der rechtliche Rahmen. Was mich aber an der Critical Mass seitdem fasziniert, ist etwas anderes. Klar, erlaubt über Rot zu fahren, oder mehrere Runden im Kreisverkehr zu drehen, macht schon Spaß. Aber motorisierten Verkehrsteilnehmern, die sich sonst so selbstverständlich breit machen und allen Platz für sich beanspruchen, zu zeigen, dass auch wir Verkehr sind! That’s it! Und so fahren wir gerne und gerade auch auf den großen Hauptverkehrsstraßen, fahren dort, wo viele Menschen unterwegs sind, und zeigen uns und unser Motto: „Wir sind Verkehr! We are traffic!“
Aber es gibt noch etwas, was mich immer wieder hin zur Critical Mass zieht. Nichts ist streng organisiert, es treffen sich spontan am 4. Freitag im Monat an der Glocke vor dem Bochumer Rathaus die verschiedensten Menschen auf den ebenso verschiedenen Rädern. Fahrräder, Rennräder, Pedelecs, Single Speeds, Fixies, Liegeräder, Tandems, Hochräder, Mountainbikes, Gravels mit und ohne E, Lastenräder 3- oder 1-spurig. Letztes Mal begleitete uns zum Schluss sogar jemand auf einem Einrad. Jeder Mensch ist willkommen und „All Cyclists Are Beautiful“. Mein heimliches Motto.
Kurz nach 19:00 Uhr geht es dann los. Irgendjemand fängt an und alle reihen sich nach und nach ein, fahren einige Runden klingelnd und lachend um die Glocke und starten dann gemeinsam die in der Regel 2 stündige beleuchtete Abendfahrt kreuz und quer durch Bochum.
Hab ich euer Interesse geweckt? Dann kommt doch mal vorbei und fahrt mit:
In Bochum jeden 4. Freitag im Monat um 19:00 Uhr an der Glocke vor dem Rathaus.
Übrigens: Von Langendreer aus fahren wir als Zubringer gemeinsam um 18:00 Uhr vom Parkplatz der S-Bahnhaltestelle Langendreer los. Einfach dazukommen und Fahrrad nicht vergessen.
Ich empfehle, sich mal den ADFC-Artikel (Seiten 12 und 13) in der Radwelt 05/2020 zu dem Thema “Critical Mass” durchzulesen, den der Rechtsreferent Roland Huhn geschrieben hat. Es werden einige rechtliche Aspekte angesprochen, die man/frau zumindest mal gelesen haben sollte.
Genau mit solchen Aktionen fördert man das “Miteinander”-Denken bei den Automobilisten !
Sorry, aber so wird es nie klappen.
Genau solche Aktionen stärken das Bewusstsein und den Zusammenhalt der “schwächeren” Radfahrer*innen. Und es ist immer gut, wenn das Bewusstsein und der Zusammenhalt der “Schwächeren” gestärkt wird, damit sie ihre Rechte durchsetzen können. Dass die “Stärkeren” das nicht gerne sehen ist klar. Aber sie sollen halt nicht so “stark” bleiben und die Rechte der “Schwächeren” nicht mehr beschneiden. Also “Rad frei” oder wie sagt man da?
Wer im Straßenverkehr die Stärkeren und wer die Schwächeren sind, hängt hochgradig davon ab, wer die Anderen sind. Im Verhältnis zu Autofahrer:innen sind Radfahrer:innen die Schwächeren, im Verhältnis zu Fußgänger:innen sind sie die Stärkeren. Ich bin schon oft in Situationen gewesen, in denen ich mir als Fußgänger gewünscht habe, dass ein:e Radfahrer:in mir gegenüber ähnlich rücksichtsvoll gewesen wäre, wie sie:er das von Autofahrer:innen verlangt.
Ja, ja, ich nenn das hier mal “What about Ism”. Hier soll von den berechtigten Anliegen der Fahrradfahrer*innen abgelenkt werden.
https://de.wikipedia.org/wiki/Whataboutism