Samstag 08.05.21, 17:36 Uhr
Gedenkrundgang auf dem Friedhof am Freigrafengang

8. Mai: Tag der Befreiung 7


Bericht und Dokumentation der Redebeiträge

Mit Rücksicht auf die Shabbat-Gebräuche der jüdischen Bürger*innen fand der traditionell Gedenkrundgang zum heutigen Tag der Befreiung bereits gestern statt. Mehr als 100 Teilnehmer*innen waren der Einladung von Bündnis gegen Rechts und Kinder- und Jugendring zum Besuch des Fiedhofs am Freigrafendamm gefolgt. Uli Borchers, Sprecher des Bündnis gegen Rechts unterstrich in seiner Begrüßung, dass der 8. Mai 1945 tatsächlich ein Tag der Befreiung für die Insassen der Konzentrationslager, für Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter*innen war. Ein Tag der Befreiung auch für diejenigen, die in der Illegalität leben mussten: versteckte und „untergetauchte“ Jüdinnen und Juden, Frauen und Männer aus dem politischen Widerstand, oder diejenigen, die aus anderen Gründen der Verfolgung durch die NS-Diktatur ausgesetzt waren.

Der 8. Mai war auch ein Tag der Befreiung für alle die Menschen in Europa, die im 2. Weltkrieg unter den Verbrechen von Wehrmacht und SS zu leiden hatten. Millionen haben diesen Tag allerdings nicht mehr erlebt. Sie wurden in den Vernichtungslagern vergast, von Einsatzgruppen ermordet, starben unter den Bedingungen der Zwangsarbeit oder wurden von SA, SS und Gestapo getötet.

Uli Borchers (Foto): „An diese Frauen und Männer zu erinnern, das ist der immer wiederkehrende Grund für unseren Rundgang an diesem Tag. Heute machen wir antirassistische Arbeit in vielfältiger Form. Aktuelles Beispiel ist die Kampagne „Bundestag – Nazifrei“, die heute gestartet wird.

Erste Station des Rundgangs war das Grabfeld der sowjetischen Kriegsgefangenen. Felix Lipski, Holocaustüberlebender und Sprecher des Klub STERN der Jüdischen Gemeinde Bochum überließ es seiner Enkelin Magarita Gosmann seine Rede vorzutragen. Er erinnerte an den millionenfachen Tod der Gefangenen und berichtete über die bisher wenig bekannten Widerstandsaktivitäten bei der Zwangsarbeit in Industriebetrieben. Er beschrieb Aufstände und Fluchtversuche aus den Lagern. Die Rede im Wortlaut.

Am Grabfeld der Zwangsarbeiter*innen berichteten Angelina Lachenicht und Julia-Maria Kirstein von der „Kohlengräber-Geschichtswerkstatt“ aus Gerthe über die Ergebnisse ihrer Recherchen. Sie haben aus Todesurkunden zahlreiche biographische Informationen von Zwangsarbeiter*innen zusammengetragen. Sie kritisierten, dass der Zustand der Gräber auf dem Friedhof seit Jahren abschreckend und ungepflegt ist und die Stadt ihren gesetzlichen Verpflichtungen nicht nachkommt. Die Rede im Wortlaut.

Am Ehrenrundplatz erinnerte Reinhard Junge als Vertreter der VVN-BdA daran, dass am 21. Juni der 80. Jahrestag des Überfall auf die Sowjetunion durch Nazi-Deutschland ist. Er kritisierte, dass die Bundesregierung sich weigert, an diesem Tag in irgendeiner Form angemessen daran zu gedenken, unter welchen Opfern die Sowjetunion entscheidend daran beteiligt war, Deutschland und Europa vom Faschismus zu befreien. Die Rede im Wortlaut.

Die Historikerin Irmtrud Wojak, die das Fritz-Bauer-Forum initiiert hat, das zur Zeit in der ehemaligen Trauerhalle auf der Ostseite des Friedhofes entsteht, würdigte die Rolle von Fritz Bauer bei der juristischen Aufarbeitung der NS-Verbrechen. Sie betonte ausdrücklich, dass mit dem 8. Mai zwar die militärische Niederlage des NS-Regimes besiegelt war, danach aber die konsequente Aufarbeitung der NS-Verbrechen hätte beginnen müssen. Stattdessen wird es überwiegend als „Erfolg“ bewertet, Tausende von NS-Tätern in Justiz, Polizei, Militär und Verwaltung „geschmeidig“ integriert zu haben. Die Rede im Wortlaut.

Die Bochumer DGB-Vorsitzende Bettina Gantenberg stellte zum Abschluss der Veranstaltung die Ziele der Kampagne „Bundestag nazifrei – Keine Stimme für AFD und andere Rassisten“ vor, die eine Fortsetzung der erfolgreichen Kampagne zur Kommunalwahl darstellt. Bei der Wahl für den Bochumer Rat hatte die AfD im vergangenen Jahr nur noch etwas mehr als ein Drittel der Stimmen erhalten, die sie zur Bundestagswahl erzielt hatte. Die Kampagne soll ein unmissverständliches Zeichen gegen Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus, Frauenfeindlichkeit und Diskriminierungen aller Art setzen und möglichst Viele motivieren, selber aktiv zu werden. Die Rede im Wortlaut.

Jugendring und Bündnis gegen Rechts haben das traditionelle Gedenken zum Tag der Befreiung lebendig und interessant gestaltet. Mit dem gleichzeitigen Start der Kampagne „Bundestag nazifrei“ in Kooperation mit den Gewerkschaften gelang es, Rückblick und Ausblick zu verbinden.


7 Gedanken zu “8. Mai: Tag der Befreiung

  • Wolfgang vom Ubu

    Das ist schon eine interessante Kritik an dem sehr guten Redebeitrag von Reinhard Junge . Das zu lesen war wie eine Zeitreise. Halb dachte ich , da muss ein U-Boot der CDU hinter dieser Gruppe stecken nach dem Motto , es darf nichts rechts von ihr geben, zumindest keine konkurrierende Partei,
    der Verteidigung von AKK und noch dem Kalten Krieg verhaftet mit den bösen, bösen Russen . Halb hör ich die Antideutschen der Bahamas-Zeit und was Antisemitismus ist bestimmen wir. Danke für den link, Rudolf Müller.

    • Alter Besserwisser ;-)

      Hmmm, mich erinnert eher die Rede von Reinhard Junge an vergangene Zeiten.
      Eine in vielen Fällen berechtigte Kritik an der Politik der USA ohne die Politik Russlands kritisch zu benennen, ist so ein bischen alter DKP-Style.

      Redet doch mal mit syrischen Gefüchteten in Bochum, was die zur Russlands Unterstützung für das Assad-Regime sagen oder mit Bochumer Kurd:innen, deren Familien von Russland, wieder einmal, der türkischen Armee zum Fraß vorgeworfen werden. Von der Russische Prpagandahilfe für Querfront- und Querdenker:innen mal ganz zu schweigen.

      Was gar nicht geht ist die Bezeichung des verbrecherischen Guantanamo-Systems als Konzentrationslager. Ja, der historische Begriff der „Concentration Camps“ wird auch in anderen Kontexten benutzt, aber in einer Rede zum 8.Mai ist diese Bezeichnung für Guantanamo nicht angemessen und m.M. nach ein Affront den Überlebenden des Holocaust gegenüber.
      Aber dazu sollten sich diese eher selber äußern.

      Ich teile die Ansicht Bochumer Antifa-Gruppen nicht, dass Reinhard Junge AKK mit AH verglichen hat, aber auch hier stellt sich die Frage, warum Reinhard Junge der Aussage von AKK, dass man mit Russland aus einer „Position der Stärke“ heraus verhandeln müsse, quasi die offizielle Pressemitteilung des Russischen Verteidigungsministeriums (Generalmajor Igor Konaschenkow am 27.11.2020) (1) entgegen hält.

      Da ist es kein Wunder, wenn Antifas ihn als „Putinversteher“ bezeichnen.

      Also, lieber Ubu-Wolfgang, eine „Zeitreise“ sehe ich eher bei Wolfgang, als bei der Antifa-Kritik, auch wenn ich ich diese für zu reflexhaft und auf bestimmte Muster reduziert halte.

      Aber da rede ich mit denen drüber.

      (1) https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-11/russland-annegret-kramp-karrenbauer-moskau-igor-konaschenkow-unfaehigkeit-vorwurf

  • Gerd

    Also ich begreife den Beitrag der Jugendlichen nicht als politischen Disput in einer linken Öffentlichkeit, sondern als interne Positionierung in ihrer Mini-Blase auf ihrem Internetboard. Den üblichen Stellungskrieg, den sich die solche als radikal gerierende Kleinstgruppen liefern. Eine Mischung aus autoritären Hypermoralismus, Identitätspolitik und Klassismus, um sich gegenseitig auszustechen und an (auch wichtigen) Themen interne Hierarchien durchzusetzen. Lasst sie doch ihre Blase weiter zu einem Abbild des Kapitalismus machen. Sie speisen ihre, man soll es wohl Kritik nennen, ja noch nicht einmal in einen allgemeinen Diskurs ein, sondern verhandeln das unter sich. Also, so what!

    Und was diese bizarren Positionen von Junge und Co angeht. Diese hört man doch immer wieder auf dieser Art Veranstaltungen von MLPD, Soziale Liste, DKP, VVN, etc.p.p. Deswegen gehen auch zu diesen Veranstaltungen nur ihre Fans hin und die, die meinen, dass hier die „wahren“ Vertreter*innen des Antifaschismus zu finden seien. Schon diese Denke ist von autoritären Geist geprägt.

    • Wolfgang vom Ubu

      Ich empfehle gern einen Vortrag von Chimamanda Adichie: Die Gefahr einer einzigen Geschichte . Sie macht mit einer Menge Humor klar , wie wichtig es ist, sich in den eigenen Gedanken und Einstellungen nicht nur auf die einzige Geschichte über was auch immer zu verlassen. https://www.youtube.com/watch?v=D9Ihs241zeg

    • Kai Komisch

      Was ist das denn für ein peinlicher Rundumschlag, Gerd? So spricht der Boomer-König der Altlinken. Ich nehme in den letzten Jahren vor allem von dieser „jugendlichen“ „Mini-Blase“ Politik in Bochum wahr.

      Aber kommen wir mal zur Sache: Wo sind die Antifa-Gruppen in Bochum klassistisch? Wo sind sie identitär? Wo sind sie Kapitalistisch? Das ist keine Kritik, kein Beitrag zum Diskurs, sondern billigste Polemik aus dem wohl selbstgemeißelten Elfenbein-Turm der Orthodoxie.
      Ja, ihr habt 68 noch was bewegt! Alle nach euch gekommenen werden niederfallen zu euren Füßen.

      • Gerd

        Danke für deinen Hinweis. Du hast es perfekt auf den Punkt gebracht.
        Ich vergaß Arroganz, Alleinvertretungsanspruch und Altersrassismus.

Kommentare sind geschlossen.