Samstag 27.03.21, 22:25 Uhr
Redebeitrag auf der Mahnwache der Seebrücke am 27. März 2021

Grenzen țten РDie Situation auf der Balkanroute


Liebe Menschen,

wir stehen hier als Seebrücke Bochum, um auf die menschenunwürdigen Zustande und systematischen Menschenrechtsverletzungen entlang der sogenannten Balkanroute aufmerksam zu machen.

Wir als Seebrücke Bochum haben uns gegründet, um auf die tödliche Abschottungspolitik der EU im Mittelmeer aufmerksam zu machen.
Seit 2014 sind weit über 20 000 Menschen im Mittelmeer gestorben – und die EU schaut weg.

Im Winter drohte hunderten Menschen entlang der sogenannten „neuen“ Balkanroute der Kältetod – und die EU schaute weg. Beides ist Bestandteil der rassistischen und tödlichen Abschottungspolitik der EU. Die EU hat sich bislang mit Geld für die »Hilfe vor Ort« aus der Verantwortung für die Geflüchteten freizukaufen versucht. Aber in Bosnien wird es keine menschenwürdige Lösung für die Schutzsuchenden geben.

Am 23.12.2020 ist das Camp Lipa im Nordwesten Bosniens fast vollständig abgebrannt. Mit einem Schlag verloren über 1000 Menschen mitten im Winter ihr „Dach“ über dem Kopf, was zumeist aus ungeheizten Zelten bestand. Diese Menschen wurden schutzlos Schnee und Kälte ausgeliefert.

Bereits zuvor war das von der IOM – der internationalen Organisation für Migration – betriebene Camp nicht winterfest. Ohne Strom und Wasser herrschten katastrophale hygienische Zustände, der nahende Winter stellte eine erhebliche Bedrohung für die dort z.T. seit Monaten ausharrenden Menschen dar.

Die IOM entschied daher am 23.12.20, das Lager aufzugeben, aus Protest gegen die Blockadehaltung Bosniens, für menschenwürdige Zustände zu sorgen. Zu diesem Schritt entschied sich die IOM mitten im Winter, ohne den Schutzsuchenden alternative Unterbringungen zu bieten. Die Geflüchteten wurden zum Spielball für politische Spielchen und Hinhaltetaktiken zwischen der Bosnischen Regierung, der IOM und der EU. Das Leben des einzelnen Menschen spielte hier keine Rolle. Deswegen wurde das Camp geräumt. Eine alternative Unterbringung für die Schutzsuchenden gab und gibt es nicht.

Doch die schreckliche Situation in Bosnien ist nicht neu.
Seit 2017 nehmen EU und Deutschlanddiese Verhältnisse nicht nur in Kauf, sondern sie haben sie bewusst herbeigeführt. An der kroatischen Außengrenze zu Bosnien wird Schutzsuchenden mit allen Mitteln der Zugang zur EU verwehrt. Viele der Geflüchteten befanden sich bereits auf dem Boden der EU und wurden von der kroatischen Grenzpolizei zurückgeprügelt.

Bei dem Versuch nach Kroatien zu gelangen, werden viele von der kroatischen Polizei aufgegriffen und in der Regel undokumentiert nach Bosnien zurückgebracht. Bei diesen sogenannten Push-Backs erleben die Menschen teils massive Gewalt durch kroatische Polizei. Das haben Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Flüchtende inzwischen zehntausendfach berichtet und dokumentiert. Die Menschen müssen mit Demütigungen und Schlägen mit Schlagstöcken rechnen – außerdem werden Ihnen Handys, Geld, Gepäck und oft sogar die Kleidung abgenommen.

Viele versuchen es trotzdem immer wieder – mit bitterem Humor wird dies von den Geflüchteten selbst „the Game“ genannt – und nehmen in der Hoffnung auf eine menschenwürdige Zukunft in Kauf, dass sie in Flüsse getrieben und verprügelt werden. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International oder border violence monitoring haben zahlreiche Verletzungen von Menschen dokumentiert, darunter komplizierte Knochenbrüche, schwere Kopfverletzungen, Hundebisse und psychische Gewalt, wie Anschreien oder Lachen bei Demütigungen. Grenzgewalt gebe es auf dem gesamten Balkan, doch die kroatische Polizei gehe an der EU-Grenze zu Bosnien-Herzegowina besonders brutal vor, heißt es sinngemäß in einem Bericht von Amnesty International.

Diese sogenannten Pushbacks verstossen gegen internationales Völkerrecht, die Genfer Flüchtlingskonvention, kroatisches, sowie europäisches Recht. Auch Menschen ohne gültige Papiere müssen vor Willkür geschützt werden, denn sie haben ein Recht auf ein transparentes, dokumentiertes Verfahren. Menschenrechte gelten universal für alle Menschen. Ungeachtet der gut dokumentierten, systematischen Menschenrechtsverletzungen wird Kroatien für den Grenzschutz allein seit Dezember 2018 mit über 18 Mio. Euro von der EU unterstützt. Vom deutschen Bundesinnenministerium erhielt die kroatische Grenzpolizei 2020 zusätzlich Wärmebildkameras und Fahrzeuge.

Vucjak, Moria, Lipa – die Namen der Camps wechseln, doch was sie zeigen, bleibt gleich: Die EU setzt auf Abschottung um jeden Preis! Es müssen jetzt schnelle und unbürokratische Evakuierungs- und Rettungsmaßnahmen eingeleitet werden. Wir fordern:

  • Den sofortigen Stopp der gewaltsamen Pushbacks an den europäischen Außengrenzen. Das Recht aller Menschen auf Zugang zu einem fairen Asylverfahren in der EU muss endlich eingehalten werden!
  • Die bundesdeutsche Unterstützung für die kroatische Grenzpolizei muss sofort gestoppt werden.
  • Die Bundesregierung muss sofort handeln und die Lager evakuieren. In Deutschland stehen Länder und Kommunen zur Aufnahme bereit. Es haben sich bereits über 220 Städte zum sicheren Hafen erklärt – auch Bochum! Die Aufnahme Geflüchteter scheitert an der Blockadehaltung des Bundesinnenministeriums unter der Leitung von Horst Seehofer.
  • In den letzten Monaten hat Bochum nur vereinzelt Geflüchtete aufgenommen. Wir fordern den Bochumer Rat und den Oberbürgermeister Thomas Eiskirch erneut auf, sich mit allen Kräften bei Land und Bund für die zusätzliche Aufnahme geflüchteter Menschen einzusetzen.

No border, no nation, start evacuation!