Samstag 20.02.21, 14:32 Uhr
Demonstration am Jahrestag der rassistischen Morde in Hanau

Angehörige und Überlebende verlangen vergebens Aufklärung 2


Die Veranstalter*innen hatten gestern 80 Teilnehmerinnen für eine Demonstration zur Erinnerung an die rassistischen Morde vor einem Jahr in Hanau angemeldet. Gekommen sind fast 700 Teilnehmer*innen. Freude über die große Resonanz und Angst über die gesundheitlichen Risiken einer so großen Veranstaltung mischten sich. In der Begrüßung machten die Organisatorinnen deutlich, warum die Demonstration wichtig ist:
„Wir gedenken heute den Ermordeten und Angehörigen des rassistischen Mordanschlags in Hanau, der neun jungen Menschen das Leben gekostet hat. Dieses Verbrechen ist heute genau ein Jahr her. Bis heute kämpfen die Überlebenden und die Angehörigen der Opfer für eine lückenlose Aufklärung.

Dieser Kampf gestaltet sich jedoch schwierig, weil die Betroffenen sich bei der Aufklärung nicht auf die Behörden verlassen können. Die Behörden haben kein Interesse daran, den Betroffenen gegenüber für lückenlose Aufklärung zu sorgen. Sie tragen mit ihrer Arbeitshaltung sogar zur weiteren Vertuschung rassistischer Tatbestände bei.“
Zum Abschluss der Demonstration äußerten die Organisator*innen ihr Befürchtung, dass „es leider noch genug Anlässe geben, wegen denen wir für Hanau auf die Straße gehen werden. Es ist eine Schande, dass die Angehörigen ihre Trauer nicht ausleben können, sondern stattdessen ihre Kraft in eigene Recherche stecken müssen, da sie zu Recht kein Vertrauen an den Staat haben. Es sind Staat und Polizei, die rechte Organisationen und rechten Terror stets gedeckt haben. Das BKA verkündete 6 Wochen nach dem Hanauer Anschlag, dass es sich nur um einen geistig gestörten Einzeltäter handelt.
Wer beschützt uns also vor dem Rassismus? Nicht diejenigen, die uns abschieben lassen; die auf uns einprügeln oder uns jeden Tag kriminalisieren. Nicht diejenigen, die nun antifaschistische Organisationen in Niedersachsen verbieten oder wie in NRW neue Versammlungsgesetze durchboxen wollen, die uns den Kampf gegen Rassismus und Faschismus erschweren sollen.
Der Überlebende Piter Minnemann aus Hanau sagte richtigerweise: Nur wir selbst können uns helfen. Unser Ziel ist es, solche Verbrechen wie in Hanau gar nicht zuzulassen. Wir dürfen nicht mehr nur auf neue Verbrechen reagieren – Wir müssen verhindern, dass sie überhaupt passieren! Erkämpfen wir eine solidarische Gesellschaft, in der Menschen nicht mehr aufgrund von Hautfarben, Herkünften und Religionen zu Feinden erklärt werden. In diesem Sinne bedanken wir uns, dass ihr zahlreich erschienen seid und rufen dazu auf, dass wir uns gemeinsam vernetzen und organisieren.“

Der Redebeitrag des Revolutionären Jugendbundes.
Weitere Redebeiträge, die die Redaktion erreichen, werden hier veröffentlicht.


2 Gedanken zu “Angehörige und Überlebende verlangen vergebens Aufklärung

  • Denis

    Persönlich hatte ich mit einem anderen Demonstrationsgeschehen gerechnet.
    Zunächst hat mich die Anzahl der Demonstrant*innen positiv überrascht. Dreimal so viele Menschen wie ich sie erwartet hätte.
    Dann die Generationsfrage. 95 % der Anwesenden war Anfang bis Mitte der 20. Es dürften nicht einmal 30 Personen gewesen sein, die älter als 40 waren.
    Zumeist waren diese Personen dann im Alter von 50-60 Jahre. So klaffte eine riesige Lücke der Generation zwischen 25 bis 55 Jahre. Die paar Anfang – Mitte der 30, die dort waren, waren zumeist Funktionsträger von Vereinigungen, etc.. und für ihre Organisation anwesend.
    Ich kann mir nicht vorstellen, dass es der Termin/Uhrzeit, der Ort, die Aufrufer*innen oder Corona-Ängste waren, die zur Abstinenz der Älteren führten. Hanau war nach dem Bombenanschlag auf das Münchner Oktoberfest im September der größte so genannte Einzelanschlag in Deutschland. Das man zu so einem Gedenktag nach einem Jahr des Anschlags nicht 1-2 Stunden Zeit hat, seine sichtbare Solidarität zu bekunden, wirft Fragen auf. Sind es die Älteren müde zu rechten Terroranschlägen zu demonstrieren? Ist es für sie ein déjà-vu nach den mörderischen Anschlägen von Mölln, Solingen, Hünxe, Rostock, etc.p.p. der 90er Jahre, als sie noch jung und voller Elan waren und auf solche Demos gingen, dies heute zu tun? Halten Sie diese Form von Anteilnahme für überholt und zeigen ihre Empathie und Solidarität anders? Mich hat es gelinde gesagt sehr negativ berührt, dass die 30 bis 40 Jährigen so gar nicht und die 50 – 70 Jährigen so marginal vertreten waren.
    Bei den hunderten junger Erwachsenen war ich ebenso verblüfft. Sie schienen sich zum Teil zu kennen, aber nach außen gab es keine ersichtlichen Gruppen, keine Banner, Transparente, keine Flugblätter, nichts was auf Gruppenidentitäten schließen ließ. Auf unterschiedliche Meinungen, Positionen, Analysen und Perspektiven. Weder Parteijugend, noch außerparlamentarische Organisationen. Keine Meinung, keine Stellungsnahme, machte aus dem großen Ansammlung sich solidarisierender Menschen etwas „greifbares“, jenseits eines Betroffenheitsgefühl.
    Dazu kamen von der „revolutionären Jugend“ Parolen wie aus den Anfang der 90er Jahre. Als ob der antirassistische-antifaschistische Diskurs, Debatte, Propaganda sich seit Hoyerwerda und Rostock nicht weiterentwickelt hätten. So gab es Parolen wie „Ob Ost, ob West – nieder mit der Nazipest“. Biologistisch und so post-Wendezeit, dass man sich wie vor 30 Jahren fühlte. Eine obligatorische rote Fahne, das obligatorische Anarcho-Transparent. Und ein uralt Antifa-Transparent von 2009 waren dabei.
    Nicht falsch verstehen. Super schön so viele Menschen zu sehen. Aber wurzelt die Teilnahme auf einer gesellschaftlichen Analyse, einer Bewusstseinsfindung/Haltungsentwicklung, einer Perspektivdebatte, Organisationsansatz? Meiner Wahrnehmung entzog sich sich dies. Und die Älteren, was soll ich aus deren Abwesenheit schließen

    Nicht desto trotz hat mir die Demo gut gefallen. Sie zeigt, dass es in Bochum viele junge Erwachsene gibt, die sich mit dem Rassismus in dieser Gesellschaft nicht abfinden können.

  • Andreas

    zu Denis Kommentar:

    Ja, ich (59) hatte einen ähnlichen Eindruck wie du. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass die Ü60-Fraktion, der „graue Block“, das Thema „Rassismus“ nicht als marginal ansieht oder
    „diese Form von Anteilnahme für überholt“ hält. Warum es Freitag so war, wie es war, könnte ich nur spekulieren und über die „Generation der Mittelalten“ kann ich nichts sagen.
    Aber grundsätzlich benötigen wir in Bochum eine Form des analogen (!) Generationenaustausches. Als 80er Jahre autonom sozialisierter Linker freue ich mich auf den Demos der Seebrücke oder des RJB über die jüngeren Leute, von denen ich nicht weiß, wo sie sich sonst aufhalten und über die geringer werdende „weiße“ Dominanz.
    Aber ich finde es auch komisch, dass eine Organisationsform wie die des RJB für jüngere Leute wieder attraktiv wird und dass politische Statements heutzutage auf kleinen Pappschildern statt auf großen Transpis geäußert werden. Ist dies der Trend zur individualisierten Meinungsäußerung zu Lasten der Organisierung in politischen Zusammenhängen?

    Ich will das gar nicht so hoch aufhängen, aber es wäre schön, wenn es einen Ort gäbe, wo es einen informellen Austausch über solche Fragen geben könnte. Es gibt durchaus einige Ü60er*innen, die daran Interesse haben. Bevor jetzt die Aufforderung kommt: „Dann macht doch“: Das wird nicht funktionieren. Dazu sind wir Ältere zu heterogen, zu gestresst (Enkel, Arbeit bis 70, Pflege der eigenen Eltern etc.), zu „weiß“ und dominant, hätten keinen Bock auf Selbstorganisation mehr (oh Diskussionsbedarf ;-)) und vor allen Dingen könnten wir keinen Ort gestalten, der attraktiv für Jüngere wäre.

    Langer Rede kurzer Sinn: Es gibt uns trotzdem noch :-)
    #SayTheirNames

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