Donnerstag 28.05.20, 14:20 Uhr
Eindringliche Aufforderung an OB und Sozialdezernentin:

Notunterkünfte besser vor Corona schützen! 1


Bochumer Vereine, Initiativen und Organisationen aus den Bereichen Soziales, Wohnen und Flüchtlingsarbeit haben einen offenen Brief an Oberbürgermeister Thomas Eiskirch und Sozialdezernentin Britta Anger verfasst. Darin drücken sie ihre große Sorge um die Situation in den Bochumer Not- und Sammelunterkünften für Wohnungslose und Geflüchtete aus. Sie fordern von der Stadt konkrete Maßnahmen, um die untergebrachten Menschen besser vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus zu schützen. „Aus unserer eigenen Arbeit kennen wir die schwierigen und beengten Lebensverhältnisse in den Bochumer Unterkünften genau“, schreiben die 14 Vereine, Netzwerke und Initiativen. Unter ihnen sind der bodo e.V., der Kinder- und Jugendring, die Medizinische Flüchtlingshilfe, die IFAK und PLANB. Unterzeichnet ist der Brief außerdem vom Initiativkreis Flüchtlingsarbeit, in dem sich mehr als 40 Bochumer Organisationen zusammengeschlossen haben. „Unser Eindruck ist, dass bisher nicht genug getan wird, um die untergebrachten Menschen angemessen vor Ansteckung zu schützen und eine Verbreitung des Coronavirus in den Unterkünften zu verhindern“, heißt es in dem offenen Brief weiter.
Gemeinsam fordern die Organisationen acht Maßnahmen, um die die Unterbringungssituation zeitnah und substanziell zu verbessern, „damit notwendige Abstands- und Hygieneregeln überhaupt eingehalten werden können“. Notwendig sei die „konsequente und weitreichende Reduzierung der Belegungsdichte“ durch die Anmietung zusätzlicher Wohnungen und ggf. Hotel- und Herbergskapazitäten. Außerdem müsse die Stadt zeitnah einen runden Tisch einberufen, an dem sich die zuständigen Ämter mit den Trägern der Unterkünfte und der Sozialarbeit über die konkreten Schritte austauschen können. Weiter fordert das Bündnis ein umfassendes Corona-Screening für die Beschäftigten und die untergebrachten Menschen, mehr Unterstützung und eine Erhöhung des Personalschlüssels, um den besonderen Herausforderungen gerecht werden zu können.

Unterstützt werden die Forderungen von weiteren Teilen der Bochumer Zivilgesellschaft, darunter Amnesty International Bochum, der Bahnhof Langendreer, die Grünen und Die Linke, sowie der Vorsitzende des SPD-Ortsvereins Bochum-Hamme Klaus Amoneit.

Massive Corona-Infektionen in Sammelunterkünften sind zuletzt aus anderen Städten öffentlich geworden, darunter St. Augustin und Ellwangen. Dort haben sich bis zu zwei Drittel der Bewohnerinnen und Bewohner mit dem Virus angesteckt. „Dass in den Bochumer Unterkünften noch keine Corona-Infektionsfälle bekannt geworden sind, beruhigt uns nicht“, schreiben die Bochumer Organisationen. „Nach unserem Wissen werden aktuell keine systematischen Tests unter den Bewohner*innen und den Beschäftigten durchgeführt, um verlässliche Daten zu gewinnen und Infektionen frühzeitig zu erkennen.“

Der vollständige Text des Briefes und die Liste der Unterzeichner*innen:
»Als Bochumer Initiativen, Vereine und Organisationen aus dem Bereich Soziales, Wohnen und Flüchtlingsarbeit haben wir große Sorge in Bezug auf die Situation in den Bochumer Not- und Sammelunterkünften für Wohnungslose und Geflüchtete. Aus anderen Kommunen erreichen uns erschreckende Nachrichten von Ausbrüchen des Coronavirus in solchen Unterkünften. Aus unserer eigenen Arbeit kennen wir die schwierigen und beengten Lebensverhältnisse in den Bochumer Unterkünften genau. Bis heute sind uns keine Bemühungen der Stadt Bochum bekannt geworden, die Situation durch Anmietungen zum Beispiel von zusätzlichen Hotel- oder Wohnungskapazitäten deutlich zu entzerren. Weder gegenüber den sozialen Initiativen noch gegenüber den Betroffenen selbst hat die Stadt Bochum bisher einen kohärenten Plan vorgelegt, wie die Unterbringungssituation zeitnah und substanziell verbessert werden soll, damit notwendige Abstands- und Hygieneregeln überhaupt eingehalten werden können. Wir sind der Auffassung, dass aufgrund der Pandemie sorgfältig geplante, angemessene und menschenwürdige Schutzmaßnahmen für wohnungslose und geflüchtete Menschen dringend nötig sind. Diese müssen gegenüber den Betroffenen und der Stadtgesellschaft transparent gemacht werden.

Unser Eindruck ist, dass bisher nicht genug getan wird, um die untergebrachten Menschen angemessen vor Ansteckung zu schützen und eine Verbreitung des Coronavirus in den Unterkünften zu verhindern. Dass in den Bochumer Unterkünften noch keine Corona-Infektionsfälle bekannt geworden sind, beruhigt uns nicht. Nach unserem Wissen werden aktuell keine systematischen Tests unter den Bewohner*innen und den Beschäftigten durchgeführt, um verlässliche Daten zu gewinnen und Infektionen frühzeitig zu erkennen. Dabei kann jede Ansteckung für die dort lebenden besonders gefährdeten Menschen zur Gefahr werden. Die dann notwendigen Maßnahmen der Isolation und Quarantäne würden
darüber hinaus für viele weitere Menschen umfassende negative psychische, physische und soziale Folgen mit sich bringen. Diese zusätzliche Gefährdung von Menschen, die sich sowieso schon in einer schwierigen Lebenssituation befinden, muss so gut wie möglich
verhindert werden.
Deshalb appellieren wir an Sie: Sorgen Sie dafür, dass dieses Thema eine höhere Priorität auf der lokalen politischen Agenda bekommt, und dass die Probleme in den Unterkünften nicht heruntergespielt werden. Aus unserer Sicht sind insbesondere folgende Maßnahmen
dringend notwendig:

  • Eine konsequente und weitreichende Reduzierung der Belegungsdichte in den Unterkünften muss unbedingt stattfinden. Dazu müssen nicht nur aktuell freie Bereiche in bestehenden Unterkünften genutzt werden, sondern die Stadt sollte außerdem zusätzliche Wohnungen und ggf. Hotel- und Herbergskapazitäten anmieten. Für die in den Sammelunterkünften verbleibenden Menschen müssen zusätzliche sanitäre Einrichtungen zur Verfügung gestellt werden.

  • Der Krisenstab der Stadt Bochum sollte zeitnah zu einem runden Tisch zum Thema „Sammelunterkünfte und Corona“ einladen. Dort sollen Vertreter*innen des Amts für Soziales, des Amts für Stadtplanung und Wohnen, des Gesundheitsamts und des Ordnungsamts gemeinsam mit den Trägern der Unterkünfte und der Sozialarbeit sowie mit externen Berater*innen Konzepte zur zeitnahen Entzerrung der Unterbringungssituation und für weitere Maßnahmen entwickeln. Die Treffen des runden Tisches sollten regelmäßig stattfinden, um die eingeleiteten Maßnahmen zu evaluieren und gegebenenfalls nachzusteuern.

  • Notwendig ist ein umfassendes repräsentatives Corona-Screening von Bewohner*innen und Beschäftigten in den Unterkünften, um Infektionen frühzeitig zu erkennen und eine mögliche Ausbreitung zu verhindern.

  • Die Träger der Unterkünfte und die dort Beschäftigten müssen stärker bei der Implementierung und der dauerhaften Umsetzung von angemessenen Hygienestandards unterstützt werden. Dies umfasst auch eine bessere materielle Ausstattung. Die Einhaltung der Standards muss durch eine geeignete Instanz kontrolliert werden.

  • Angesichts der besonderen Situation muss der Personalschlüssel in den Unterkünften erhöht werden. Dies betrifft insbesondere die Reinigungskräfte und die sozialarbeiterische Betreuung, aber auch diverse andere Bereiche. Dazu müssen entsprechende Mittel bereitgestellt werden. Notwendig sind außerdem Schulungen des gesamten Personals in Bezug auf den Umgang mit den Corona-Maßnahmen.

  • Es muss ein System zur Identifizierung und ein Konzept zum Schutz von Coronagefährdeten Risikogruppen entwickelt werden.

  • Die Stadt Bochum muss Angebote zur Bewältigung der psychosozialen Folgen der Pandemie in den Unterkünften schaffen. Notwendig sind zum Beispiel Rückzugs- und Schutzorte bei familiären Krisen und Beratungsangebote zur Krisenintervention. Die Angebote müssen auch für Fremdsprachler*innen zugänglich sein. ï‚· Perspektivisch sollte ein tragfähiges und nachhaltiges Konzept für eine weitreichende dezentrale Unterbringung aller geflüchteten und wohnungslosen Menschen entwickelt werden. Jeder in einer Sammelunterkunft untergebrachte Mensch sollte die Möglichkeit erhalten, in eine Privatwohnung umziehen zu können.«

Erstunterzeichner*innen:
Bochumer Bündnis für Arbeit und Soziale Gerechtigkeit
Bodo e.V.
IFAK e.V.
Initiative „Bochum Hilft“
Initiativkreis Flüchtlingsarbeit Bochum
Kinder- und Jugendring Bochum e.V.
Medizinische Flüchtlingshilfe Bochum e.V.
Mieterverein Bochum, Hattingen und Umgegend e.V.
Netzwerk „Stadt für Alle“ Bochum
PLANB Ruhr e.V.
Pro Familia Bochum
Ronahi e.V.
Rosa Strippe e.V. / Senlima
Treffpunkt Asyl Bochum

Weitere Unterstützer*innen:
Amnesty International Bochum
atelier automatique
attac / occupy Bochum
Bahnhof Langendreer
Begegnungscafé lysA
Bonem e.V.
Botopia e.V.
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Kreisverband Bochum
DFG / VK Bochum / Herne
DIE LINKE. im Rat der Stadt Bochum
DIE LINKE. Kreisverband Bochum
Friedensplenum Bochum
Klaus Amoneit, Vorsitzender SPD OV Bochum-Hamme
Mustafa Birhîmeoğlu (Sami.fa / Vorsitzender von Bonem e.V.)
Netzwerk HammeHilft!
SEEBRÜCKE Bochum
Soziale Liste Bochum
Soziales Zentrum Bochum
VVN-BdA Kreisvereinigung Bochum
Ximena León, Psychologin
World Beat Club – Tanzen und Helfen e.V

Der offene Brief als PDF-Datei


Ein Gedanke zu “Notunterkünfte besser vor Corona schützen!

  • Ulrike Nefferdorf

    Meiner Meinung nach geht es hier nicht nur um Schutz vor Corona & Folgen sondern auch um menschenwürdige Unterbringung, Behandlung und Versorgung dieser betroffenen Menschen
    in jeder Hinsicht und immer. Heißt, nicht nur bei Pandemien.

    Der Kristenstab sollte nicht ‚zeitnah‘ (was heißt das?) sondern zügig zusammkommen um konkrete Ziele zu terminieren und zu erarbeiten.
    Jeder Mensch ist systemrelevant!

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