Sonntag 01.09.19, 12:04 Uhr
Redebeitrag auf der Kundgebung zum Antikriegstag 2019 in Bochum

Bernd Dreisbusch, stellv. Geschäftsführer, ver.di Bezirk Mittleres Ruhrgebiet


Ich bin 1970 geboren. Meine Generation kennt Krieg eigentlich nur aus dem Fernsehen. Nur sehr wenige in meiner Umgebung und in meinem Alter können sich vorstellen, was es bedeuten würde, wenn Konflikte in Europa wieder mit Gewalt statt mit Diplomatie ausgetragen würden. Krieg kommt bei uns vor, am Rande, weiter weg und es hat oft den Anschein, dass es zwar eine Art Berichtspflicht, aber auch eine weite Ferne und Nichtbetroffenheit gibt. Aber: Tag für Tag, Woche für Woche, fliehen Menschen, Frauen, Kinder, Männer, vor gewaltsamen Konflikten in ihrer Heimat, traumatisiert, gezeichnet von Krieg und Gewalt. Immer wieder träumen sie von den nächtlichen Bombardierungen, den Schrecken, die sie mit ansehen mussten, der dramatischen Flucht über das Mittelmeer oder den Balkan.

Sie kommen aus Syrien, dem Irak, Afghanistan, Tschetschenien und dem Jemen, aus Eritrea, dem Südsudan oder Libyen. In den Augen der Kinder sehen wir Tag für Tag, was Krieg wirklich bedeutet.

Es ist ein anderer Blick als der der Generäle, der Politiker oder der Waffenexporteure. Generäle mögen in einem Krieg eine Chance wittern, die Bedeutung ihrer Armeen zu unterstreichen, neue Waffensysteme auszutesten, ihre militärische Überlegenheit zu demonstrieren. Politiker mögen in einem Krieg eine Chance sehen, an Macht und Einfluss zu gewinnen oder von innenpolitischen Problemen abzulenken. Waffenfirmen wie ThyssenKrupp, Rheinmetall, Heckler & Koch oder Krauss-Maffei mögen in einem Krieg die Chance auf große Gewinne und neue Absatzmärkte sehen und sind sich nicht zu fein, auch gerne beide Seiten eines Konflikts zu beliefern – Geld ist Geld.

Wir aber sehen im Krieg keine Chancen, keine goldenen Versprechen, nichts Gutes. Wir sehen Verletzte, Behinderte, Traumatisierte, Tote, Witwen und Witwer und Waisen. Wir sehen Menschen, die alles verloren haben – selbst ihre Heimat, die sich und ihre Familien eher den Strapazen und den Risiken einer Flucht übers offene Meer und durch fremde Länder aussetzen, als weiter in ihrer Heimat zu bleiben, wo die einzigen Perspektiven sind, Opfer zu werden – oder Täter. Wir sehen zerstörte Krankenhäuser, ausgebombte Schulen, zerrissene Gemeinden, gespaltene Familien, Hass, Trauer, Wut, Verzweiflung, Traumatisierung. Wenn wir genau hinsehen, hinsehen würden, erkennen wir die wahren Gesichter von Krieg und Vertreibung und wir können deshalb nicht anders, als Krieg pauschal zu verurteilen.

Es gibt keinen guten Krieg, es gibt keinen besseren Krieg.

Im Jemen, in Syrien, im Irak, in der Südtürkei, in der Ostukraine und an vielen anderen Orten der Welt herrscht derzeit Krieg. In nahezu allen Konflikten ist Deutschland als drittgrößter Waffenexporteur, als eines der wichtigsten NATO-Mitglieder oder als Interessenspartei beteiligt.

Wir liefern Panzer, Boote und Maschinengewehre im Wert von Millionen von Euro nach Saudi-Arabien, welches aktuell einen brutalen Krieg im Nachbarland Jemen führt. Wir liefern Waffen an Konfliktparteien in Syrien und dem Irak, beteiligen uns an der Bombardierung ziviler Ziele in beiden Ländern und sind an der Aufrüstungsspirale mit Russland in Osteuropa maßgeblich beteiligt. Früher hieß es, „der Tod ist ein Meister aus Deutschland“. Zwei Mal haben wir unseren Kontinent mit Krieg und Gewalt überzogen. Morgen, am 1. September, vor 80 Jahren, griffen wir unser Nachbarland Polen an und starteten so einen Krieg, der über 6 Jahre andauern, halb Europa verwüsten und mehr als 50 Millionen Menschen das Leben kosten sollte.

Nach dem 2. Weltkrieg und der Niederlage des Nationalsozialismus hieß es, es dürfe von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgehen. Wenn man sich die heutige Situation anschaut, muss man leider feststellen, dass von deutschem Boden aus sehr wohl wieder Krieg ausgeht – und dass wir auch weiterhin einige Meister des Todes bei uns im Land haben. Nicht nur der Militarismus scheint fest verankert und selbstverständlich, sogar das nationalsozialistische Gedankengut scheint derzeit in einigen Bevölkerungsgruppen zurück zu kehren – der völkische Chauvinismus, der aggressive Nationalismus, die Entmenschlichung Anderer.

Wir alle müssen dieser Entwicklung entgegentreten – in dem wir uns in und für unsere Demokratie und für die Abgehängten unserer Gesellschaft engagieren und den Rechten nicht das Feld überlassen.

Die Rattenfänger vom rechten Rand – und ich meine damit nicht nur die AfD – die mit ihren Wundertinkturen und Lügen über die Marktplätze der Republik ziehen und den Menschen einfache Lösungen für komplexe Probleme versprechen. Es reicht nicht aus, einfach abzuwarten – wir müssen selber die Probleme der Menschen angehen, wenn wir sie für die Demokratie und für unsere gemeinsame Gesellschaft zurückgewinnen wollen.

Wir müssen uns als Deutschland mehr engagieren und Verantwortung zeigen. Aber nicht durch Waffenexporte, Sanktionen oder Kriegseinsätze. Nein, durch militärische Zurückhaltung und diplomatischen Druck auf die Konfliktparteien, um sie zu ernstgemeinten Verhandlungen und Vertrauen schaffenden Maßnahmen zu bewegen. Wir dürfen nicht weiterhin selber Konfliktpartei sein, sondern müssten stattdessen helfen, zu vermitteln und zu deeskalieren.

Die Welt braucht ein Deutschland, das sich seiner historischen Rolle und seiner Verantwortung in der Welt bewusst ist und sich gerade deshalb für Deeskalation, für Entspannungspolitik, für atomare Abrüstung und für Frieden einsetzt.

In Deutschland wird am 01. September 2019 der Antikriegstag begangen. Er erinnert jährlich an den Beginn des Zweiten Weltkrieges mit dem Angriff der Wehrmacht auf Polen am 1. September 1939.

Die Initiative für diesen Gedenktag ging vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) aus, der erstmals am 1. September 1957 unter dem Motto „Nie wieder Krieg“ zu Aktionen aufrief. Auf dem Bundeskongress des DGB 1966 wurde ein Antrag angenommen „…alles Erdenkliche zu unternehmen, damit des 1. September in würdiger Form als eines Tages des Bekenntnisses für den Frieden und gegen den Krieg gedacht wird.“

Die deutschen Gewerkschaften stehen für Frieden, Demokratie und Freiheit. Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus!

In dieser Tradition stehe ich heute hier, für die Gewerkschaft ver.di in Allianz mit vielen Bündnispartnern, denen ich herzlich danke!

Glück auf!