Montag 25.11.13, 18:12 Uhr
Grüne und SPD widersprechen nicht:

Rassismus im Sozialausschuss 2


von Norbert Hermann für Bochum Prekär
Zu einem Eklat kam es am Donnerstag im Sozialausschuss: Hans-Friedel Donschen von den „Freien Wählern Bochum“ zog über EU-Mitbürger_innen aus Südosteuropa her, forderte: „Der Bevölkerung muss die Wahrheit gesagt werden“, wetterte „Wo die überall ’reinkriechen“ und endete mit dem Spruch: „Die gehören nicht zu uns“.
Allein Ernst Lange (LINKE) und Günter Gleising (Soziale Liste) verwehrten sich dagegen. Die GRÜNEN blieben stumm. Gabriela Schäfer, Sprecherin der SPD im Sozialausschuss und zugleich dessen stellvertretende Vorsitzende, fiel nichts anderes ein als darauf hinzuweisen, dass ja manches gedacht werden dürfe, aber nicht ausgesprochen werden sollte. Da haben wir ja noch einiges zu erwarten.

Anlass für die Peinlichkeiten war ein Beitrag von Günter Gleising, der auf einen Flyer der Polizei hinwies, der im Umfeld von Wohnungseinbrüchen verteilt wird. Darin würden Bevölkerungsgruppen pauschal vorverurteilt und diskriminiert. Was wiederum Gabriela Schäfer als Mitglied im Polizeibeirat auf den Plan rief: mit einem Angriff auf Günter Gleising leicht unterhalb der Gürtellinie verteidigte sie das Vorgehen der Polizei. Den Flyer wird sie nicht gekannt haben. Das wird für sie wohl Vorwurf und  Entschuldigung zugleich werden können. Unterstützung erhielt sie von Erika Stahl von der CDU.

Die GRÜNEN hielten sich bedeckt: es solle zur „Sachlichkeit“ zurückgekehrt werden, so die grüne Vorsitzende des Ausschusses, Astrid Platzmann-Scholten. Wobei Donschens und Schäfers Aussagen ja sachlich eindeutig waren, Donschen aber durchaus an blinden Hass erinnernde Gefühle zeigte.

Dabei ist eine sachliche Umgehensweise nicht schwer: sie würde schnell den rassistischen Ansatz der Polizei, der Verwaltung und der Politik, aufzeigen:

Die Zahl der Wohnungseinbrüche befindet sich seit vielen Jahren auf einem hohen Niveau mit einem Höhepunkt im Jahre 1995. Nach stetigem Rückgang steigt die Zahl seit 2008 wieder und wird wohl in 2013 wieder das Niveau von 1995 erreichen. Das ist nicht schön, technische Sicherungs- und Präventionsmaßnahmen, auch Herstellung von freier Sicht auf Türen und Fenster und eine Förderung der informellen Sozialkontrolle auf der Ebene der Nachbarschaft sind nötig. Neben dem materiellen Schaden sind die psychischen Folgen häufig gravierend, ähnlich wie bei einem „Hausbesuch“ durch das Jobcenter oder einer Hausdurchsuchung durch die Polizei.

Dabei sollte aber nicht vergessen werden, dass die Zahl von Straftaten mit Angriffen gegen die körperliche Unversehrtheit in Bochum um ein vielfaches höher ist als die Zahl der Eigentumsdelikte. Allerdings wird ihnen in eigentumsbasierten Gesellschaften wie „dem deutschen Staat und seiner bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft“ (August Bebel) weniger Bedeutung und auch ein relativ geringeres Strafmaß zugemessen. Wohl weil die herrschende Klasse der Körperverletzung selbst nicht abgeneigt ist. Und tun sie es nicht unmittelbar und direkt, so durch Vergiftung der Umwelt, schädigende Arbeits- und Lebensbedingungen und ruinöse Bankgeschäfte. Die Dunkelziffern sind hier immens. Die Zahl der Geschädigten und die Folgen dieser Taten auch. Würde hierauf mehr kriminalistische Energie verwandt, so würde der Anteil deutscher Staatsangehöriger an der Zahl aller Tatverdächtigen sicherlich steigen: so liegt er bei 76 %, beim Delikt der Wohnungseinbrüche mit 70% (2012) etwas weniger. Nach polizeilichen Erkenntnissen gibt es drei Tätergruppen: professionelle Täter aus Belgien, Frankreich, Osteuropa und Südosteuropa, örtliche Täter sowie Täter, die ihre Sucht durch Drogenkriminalität finanzieren.

Es gibt also keine Gründe, die Kriminalprävention zum Thema Wohnungseinbrüche besonders zu garnieren mit obskuren Tätercharakterisierungen und dramatisierenden Zahlen der sogenannten ‚Kriminalitäts-Uhr‘ („alle 10 Minuten ein Einbruch“). Das hat „Polizei NRW“ auch nicht getan bei ihrer landesweiten Aktionswoche zum Einbruchschutz Mitte November mit vielen Aktionen und Veranstaltungen rund um das Thema Einbruchschutz.

Anders jedoch die Kreispolizeibehörde Bochum: in dem genannten Flyer werden „rechtsstaatlich“ Stichpunkte zur Orientierung bei der Aufklärung von Wohnungseinbrüchen genannt: darunter die „augenscheinliche Nationalität“ (woran lässt sich das denn festmachen?) und „verdächtige/auffällige Autos“ „ausländische Kennzeichen, … ältere, gebrauchte Fahrzeuge“ … .

Da wird mir persönlich angst und bange: zwar parke ich bei Besuchen in Nachbarstädten mein älteres, gebrauchtes Fahrzeug bereits drei Ecken weiter, um nicht in Verdacht zu geraten. Aber jetzt soll ich auch noch mein Gesicht verhüllen? Im Dunkeln wird mein Charakterkopf gerne für den eines Griechen gehalten – was mich freut. Aber wenn jemand wüsste, dass mein Vater tatsächlich vom Schwarzen Meer stammt …

Erschreckend waren im Sozialausschuss auch die Mitteilungen über die Situation von Flüchtlingen in Bochum: die Unterkünfte sind gnadenlos überfüllt, Familien, die früher über zwei Zimmer verfügten, müssen sich nun in einem zusammendrängen, Die dringende Kapazitätserweiterung bleibt auf die lange Bank geschoben. Und das bei nachgewiesenen mehr als einhundert ganz oder fast leerstehenden Wohnhäusern in Bochum. Da lobe ich mir das kleine Städtchen Bad Belzig im Brandenburgischen: während der Sitzung des städtischen Sozialausschusses am vergangenen Montag kam es zu einem deutlichen Bekenntnis vieler Belziger Bürger_innen für die Aufnahme und Integration von Flüchtlingen. Die Kommune will drei Millionen Euro in die Hand nehmen für den Erwerb und die Sanierung des dortigen Flüchtlingswohnheims. Die Flüchtlinge sollen anständig leben können, so der Tenor.

Dokumente zum Thema:
https://www.polizei.nrw.de/media/Dokumente/Behoerden/Bochum/Jahresstatistik_2012_Bochum.pdf
http://www.lka.nrw.de/media/Dokumente/Behoerden/LKA/130225_KRIM_Entwicklung_NRW_2012.pdf

http://www.bka.de/nn_193232/DE/Publikationen/PolizeilicheKriminalstatistik/pks__node.html?__nnn=true

http://de.wikipedia.org/wiki/Einbruch#Statistische_Daten_zur_Wohnungseinbruchkriminalit.C3.A4t

http://www.polizei.nrw.de/artikel__158.html

http://www.zuhause-sicher.de/

http://www.kfn.de/versions/kfn/assets/fob112.pdf


2 Gedanken zu “Rassismus im Sozialausschuss

  • Christoph Nitsch

    Bleibt zu hoffen, dass dieser Eklat möglichst vielen BürgerInnen bekannt wird und diese ihre Konsequenzen bzgl. der Unwählbarkeit der FBB ziehen!
    Rassismus ist ein Phänomen aus der Mitte der Gesellschaft, SPD, CDU und Grüne haben diesen zutreffenden Satz wieder mal nicht widerlegt!

  • Andreas

    Ein Hinweis für die Pressestelle der Polizei(en) und sicherlich auch für alle Ratsmitglieder:

    Die grüne (!) Heinrich-Böll-Stiftung hat einen neuen „Leitfaden für einen rassismuskritischen Sprachgebrauch“ veröffentlicht.

    Es gibt den hier:
    http://www.oegg.de/index.php?de_ab-2008

    Andreas

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