Donnerstag 04.02.10, 18:00 Uhr

Heftige Kritik an Sevim Dagdelen 7


Thomas Wessel, Pfarrer in der Bochumer Christuskirche hat zusammen mit zwei KollegInnen einen offenen Brief an Sevim Dagdelen geschrieben. Im Wortlaut. Hierin wird der Bundestagsabgeordneten der Linkspartei vorgeworfen: „Sie saßen da und blieben sitzen, als sich der Bundestag erhob.“ Sevim Dagdelen hatte sich nach der Rede von Schimon Peres nicht wie die meisten übrigen Abgeordneten klatschend von ihrem Platz erhoben. Die evangelischen PfarrerInnen schreiben: „Sie haben denen, die überlebt haben, den Respekt verweigert, unseren haben Sie restlos verloren.“ Dies soll ein Hausverbot in der Christuskirche zur Konsequenz haben: „Auch Sie sind hier zu Gast gewesen. Sie werden es nicht mehr sein, Sie sind uns nicht erwünscht“, heißt es in dem Brief. Bisher hatte die Linkspartei häufig ihre Versammlungen in den Räumen der Christuskirche abgehalten. Sie muss sich jetzt einen neuen Raum suchen, wenn sie ihr Bundestagsmitglied nicht von der Teilnahme ausschließen will.
Sevim Dagdelen nimmt z. Z. an einer Solidaritätsaktion in der Türkei teil und war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Wir verweisen deshalb auf eine Erklärung von Sahra Wagenknecht, die sich ebenfalls nach der Rede von Schimon Peres nicht von ihrem Sitz erhoben hatte.


7 Gedanken zu “Heftige Kritik an Sevim Dagdelen

  • Tom Selig

    Peinlich, unsere drei Evangelen. Offensichtlich wollen sie nicht die aktuelle Kriegstreiberrolle sehen, die zu kritisieren ist, auch durch Sitzenbleiben. Es ist eine bodenlose Unterstellung, dass Frau Dagdelen nicht den Opfern ihren Respekt zollen würde. Frau Dagdelen stellt sich alten und neuen Nazis in den Weg. Was machen unsere Evangelen?
    Und als Höhepunkt sprechen sie ein Hausverbot aus: in einem aus Steuergeldern gebauten Gebäude!

  • Almut Gerster

    Wenn man bedenkt, dass Martin Luther sicherlich einer der widerwärtigsten und bedeutendesten Antisemiten in der deutschen Geschichte gewesen ist, dann sollten sich die drei Lohnempfänger der ev. Kirche mal damit auseinandersetzen, warum ihre Organisation die unsägliche Rolle ihres Kirchengründers bei der Verfolgung von Juden nie aufgearbeitet hat.
    http://de.wikipedia.org/wiki/Luther#Luther_und_die_Juden
    Sicherlich wäre es auch gut, wenn sie sich damit kritisch auseinandersetzen, dass die ev. Kirchenfürsten zu den glühendsten Bewunderern von Hitler gehörten und begeistert dem Führer gehuldigt haben.
    Das Verhalten von Sevim Dagdelen ist Ausdruck der Solidarität mit der israelischen Linken, die in entschiedenem Widerstand zur Kriegspolitik der israelischen Regierung steht.
    Dass Sevim Dagdelen höchsten Respekt vor den Opfer des Faschismus und den Überlebenen der Vernichtungsmaschinerie hat, kann eigentlich niemand bezweifeln, der ernst genommen werden will. Ihre antifaschistische Praxis liefert hier den eindeutigen Beweis.
    Ich finde es zwar nicht sonderlich klug, am Gedenktag an die Befreiung von Auschwitz eine Aktion zu starten, die zu solchen Reflexen führen kann. Aber von Leuten wie Thomas Wessel sollte man schon erwarten dürfen, dass sie sich überlegen, was sie in einem Text alles an unglaublichen Unterstellungen unterbringen. Dieser Brief disqualifiziert ihn für eine Zusammenarbeit mit linken emanzipatorischen Kräften.

  • Jimmy

    Peinlich ist das Verhalten der Kirche aus einem anderen Grund. Wenn ich es mal aus der Sicht des Christentums sehe, wie ich es verstehe: Gerade die Sünder benötigen die Kirche, um vom falschen Weg abzukommen. Dieses Hausverbot ist genauso falsch, wie die frühere Äußerung „Soldaten sind Mörder und Mörder haben in Gottes Haus nichts zu suchen“ (sinngemäß zitiert).

    Zur Verhalten gewisser Linksparteiabgeordneter: Es ist kein Wunder, dass die NPD am lautesten applaudiert. Gleich und Gleich gesellt sich eben gerne.

    Zum antifaschistischen Kampf gegen eine funktionierende Demokratie im Nahen Osten spare ich mir weitere Kommentare…

  • Dieter Dirsbach

    Auf die Erklärung von Sarah Wagenknecht zu verweisen, wird Sevim Dagdelen (hoffentlich!) nicht gerecht! Wagenknecht schreibt:

    „Zum Gedenken an die Opfer des Holocaust habe ich mich selbstverständlich von meinem Platz erhoben. [So weit, so gut. Dann aber:] Dass ich nach der Rede von Shimon Peres nicht an den stehenden Ovationen teilgenommen habe, liegt darin begründet, dass ich einem Staatsmann, der selbst für Krieg mitverantwortlich ist, einen solchen Respekt nicht zollen kann.“

    Ich bitte, genau auf das zu achten, was Wagenknecht schreibt: „der selbst für einen Krieg mitverantwortlich ist“. Auf was bezieht sich dieses eigentlich überflüssige „selbst“? Natürlich auf den Satz davor: Die Opfer des Holocaust bzw. deren Nachkommen seien jetzt selbst für einen Krieg verantwortlich. Opfer werden TäterInnen.

    Das ist eine ekelige Verknüpfung. Wenn jemand einer Rede, der er/sie inhaltlich nicht zustimmt, keine Standing Ovations zollen will, dann kann ich das sogar verstehen. Wenn jemand z.B. der Aussage von Peres widersprechen will, der Iran besitze Atomraketen, dann kann ich das auch verstehen. (Die Gefahr zu verniedlichen, die vom gegenwärtigen Iranischen Regime ausgeht, das halte ich dagegen für blauäugig und politisch falsch.)

    Was ich aber beim besten Willen nicht ertragen kann, ist eine Ausdrucksweise, die so hintenrum kleine Wörtchen in die Stellungnahme einschmuggelt, die nur eine Bedeutung haben können, weil sie sonst völlig überflüssig sind: Nämlich zu erklären, dass die Opfer des Holocaust jetzt selbst TäterInnen geworden sind.

    Wohlgemerkt: Dieser Text wurde von Sarah Wagenknecht geschrieben, nicht von Sevim Dagdelen. Und ich hoffe inständig, dass sie da eines anderen Geistes Kind ist. Wenn dem so wäre, dann würden die evangelischen Würdenträger mit Kanonen auf Spatzen schießen. Ich finde gut, wie Pfarrer Wessels sich gegen Rechts engagiert. Aber jetzt einfach so wild rum zu interpretieren, dass diejenige, die einem Redner im Bundestag nicht Standing Ovations zollt, damit automatisch den Shoah-Überlebenden den Respekt verweigert, das ist eine aggressive Interpretationsleistung, die ich für unseriös und hochproblematisch halte.

    Mir ist jedenfalls KEINE Aussage von Sevim Dagdelen bekannt, die diese aggressive und unseriöse Interpretation der Gesete untermauert.

    Kritik an Israelfeindlichkeit, Antisemitismus und so genanntem Antizionismus ist wichtig – aber wenn diese Kritik sich nicht auf Argumente oder Aussagen bezieht, sondern auf Überinterpretationen, macht sie sich nur angreifbar und wirkt paranoisch. Damit schadet sie der Sache mehr als sie nützt. Ich kann nicht ausschließen, dass Dagdelen auch mal Sachen sagt, die eine wütenden Reaktion rechtfertigen wüde – allein: Nicht bei Standing Ovations bei einer Rede im Bundestag mitzumachen, gehört definitiv nicht dazu!

    Ganz wichtig ist jetzt:

    Nach dem hier ausgesprochenen Hausverbot muss sich das Bündnis gegen Rechts überlegen, ob es noch in der Christuskirche tagen kann. Ich würde sagen: Es kann das nicht mehr tun. Denn das Bündnis muss offen sein, und darf nicht aufgrund von aggressiven Überinterpretationen von Herrn Wessels und seinen Kollegen aktiven Teilen der Bochumer Zivilgesellschaft Hausverbot erteilen.

    Ich hoffe, dass bo-alternativ über den neuen Treffpunkt des BgR berichtet – oder darüber, dass die Evangelischen Würdenträger sich mal die Mühe machen, mit Sevim Dagdelen zu sprechen. Dann könnte man nämlich entweder das (wahrscheinliche) Missverständnis aus dem Weg räumen – oder tatsächlich feststellen, dass Dagdelen untragbare israelfeindliche Positionen vertritt. Bisher jedenfalls wirkt das Verhalten der evangelischen Kirche selbst untragbar.

    Mit besorgten Grüßen,

    Dieter

  • Holzhaus

    Alternative zur jetzigen Überschrift: „Pfarrer Wessel outet sich als Antideutscher“ :D

    Aber mal ehrlich, Dagdelens sitzenbleiben war Kritik an der gegenwärtigen Politik Israels. Das war kein Antisemitismus o. ä.

  • Judzi

    zu: Kirchen üben scharfe Kritik an Politikerin der Linken

    Nun, es ist schon einige Zeit her, als ein bundesdeutscher Bischof bekannte, im Angesicht der Lebenslage in Bethlehem die selben Gefühle empfunden zu haben wie in Jad Vaschem
    Es gibt halt in den „Kirchen“ solche und solche …..

    Aber: Erst im Dezember hatte ein Gericht in Großbritannien Haftbefehl gegen die Ex-Außenministerin Zipi Livni erlassen .- Die britische Regierung befand nicht darüber, ob dieser Haftbefehl gerechtfertigt sei oder nicht, sondern führte an, dass „Israel“ ein wichtiger, strategischer Partner sei, das verhalf Frau Livni dazu, vor britischen Gerichten nicht wie Pinochet behandelt zu werden.

    Ob es sich bei der Bundesrepublik aufgrund der deutschen Vergangenheit nicht geziemen würde höhere Maßstäbe anzulegen als sich das Großbritannien angediehen ließ?

    Man muß nicht der Sohn eines Zwangsarbeiters oder anderer Opfer des NS-Regimes sein, um festzustellen, dass es wohl eher ein Affront für die Naziopfer ist, einen Menschen wie Simon Peres zum Gedenktag für die Naziopfer von Menschrechten und über die Ungleichbehandlung aufgrund von Herkunft und Glauben sprechen zu hören.

    Einen Mann, der gute Chancen hätte wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vom internationalen Strafgerichtshof in Den Haag verurteilt zu werden, erst gar nicht zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus auftreten und seine Ideologie verbreiten zu lassen – das wäre die Forderung, die gerade auch Kirchenvertreter zu stellen hätten.

    Abgesehen davon, dass der Iran wiederholt erklärt hatte, „Israel“ nicht angreifen zu wollen, weiß der Leser „israelischer“ Zeitungen ohnehin schon seit Jahren, dass so gut wie niemand in „Israel“ daran ernsthaft glaubt, der Iran wolle „Israel“ angreifen und das mit Atomwaffen, denn wie sollten die Palästinenser ihr Land wiederbekommen, wenn es dauerhaft atomar verseucht wäre und 1,2 Millionen Palästinenser, die als Staatsbürger „Israels“ gelten, mitbetroffen wären.

    Insoweit dürfte die Meldung der WAZ – die nebenbei bemerkt den Goldstonebericht weitgehend „links“ liegen gelassen hatte – nur insoweit als positiv zu werten sein, dass vielleicht noch mehr Menschen nur die „Linke“ als Alternative zu einer Politik ansehen, die schon in den 50er Jahren unter Adenauer durch Unterstützung des Staates „Israel“ es möglich machte, dass eine Menge Nazis in Amt und Wirtschaft bleiben konnten.

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