Einige Wochen vor den nächsten Präsidentschaftswahlen startet die Freie Universität eine dreiteilige Dokumentarfilmreihe, die – so verspricht die Freie Uni – “genügend Stoff für interessante Diskussionen zu diesem Land mit einer von SympathisantInnen wie OpponentInnen vielfach umstrittenen Regierung zu bieten verspricht.” In der Ankündigung heißt es: »Einerseits regiert mit Hugo „Boss“ Chávez in Venezuela ein Präsident, der sich zum offenen Gegner der weltweit dominanten neoliberalen Programmatik erklärt und eine Umverteilung des Reichtums zugunsten der „Armen“ des eigenen Landes verspricht. Tatsächlich wurde in 1999 54 % des venezolanischen Landesgebiets der indigenen Bevölkerung zugestanden. Die unter Chávez verabschiedete Verfassung sieht umfassende Rechte für die basisdemokratischen lokalen Entscheidungsstrukturen vor, deren Befugnisse weit über den Bereich der Kommunalpolitik hinausgehen. Andererseits profiliert sich Chávez immer wieder mit antisemitischen Äußerungen und scheint mit allen Staatsoberhäuptern paktieren zu wollen, deren Antiamerikanismus sich nicht selten mit offenem und militantem Antisemitismus verschränkt (beispielsweise der iranische Präsident Ahmadinedschad). Was geschieht in „bolivarischem“ Venezuela heute? Wie entwickelt sich dort aktuell die politische Situation?«
Die erste Filmvorführung und Diskussion mit Sven Kühn (Duisburg) findet am Montag, den 4. Dezember, um 18 Uhr statt: The revolution will not be televised
Filmreihe: Venezuela „bolivarisch“?
Montag, 11. Dezember, 18 Uhr
The revolution will not be televised
von Kim Bartley / Donnacha O’Brian
Irland 2003, 90 min. Deutsch/OmU
1998 wird Hugo Chávez FrÃas mit großer Mehrheit zum Präsidenten Venezuelas gewählt und beginnt, nachhaltige soziale Reformen durchzusetzen. Nach einer vom privaten Fernsehen inszenierten Kampagne gegen die Regierung Chávez putschen Teile des Militärs im April 2002, entmachten Chávez und verbringen ihn an einen unbekannten Ort, wo er mehrere Tage lang in Haft gehalten wird. Dann setzen sie unter dem Beifall zahlreicher Medien und politischer Würdenträger, nicht nur in Washington und Madrid, den Präsidenten des Unternehmerverbands, Carmona, als Nachfolger ein. Doch dann geschieht das Überraschende: Die in diesem Ausmaß völlig unerwarteten Massenproteste der Bevölkerung bringen Chávez zurück ins Amt. Als die mächtigen oppositionellen Medien merken, dass etwas nicht mehr nach Plan läuft, setzen sie die Berichterstattung zu den Ereignissen ab und präsentieren nur noch Unterhaltungsprogramme.
Trotz plumper Medienmanipulation bekommt in diesen Tagen die Weltöffentlichkeit zum ersten Mal eine Ahnung davon, dass die bolivarische Revolution von der breiten Masse der Bevölkerung getragen wird. Rein zufällig gerät ein irisches TV-Team, das sich gerade im Miraflores-Palast aufhält, um ein Porträt über Chávez zu machen, in den Strudel der Ereignisse und filmt Putsch und Gegenbewegung aus der Binnenperspektive. Das Ergebnis ist ein einzigartiges politisches und zeithistorisches, aber auch ein beängstigendes Dokument über Medienmacht und -manipulation.
Donnerstag, 11. Januar, 20 Uhr
Der Alte und Jesús: Propheten der Rebellion
Venezuela 2005, Regie, Buch, Kamera: Marcelo Andrade Arreaza und colectivo calleymedia, 74 min, OmU.
“Der Alte und Jesús: Propheten der Rebellion” ist ein Dokumentarfilm über das Leben zweier Menschen, die während des Unternehmerstreiks der Opposition im Dezember 2002 in den Straßen von Caracas leben. Der “Streik”, der sich in weiten Teilen als Aussperrung der Arbeiter durch die Unternehmensleitungen beschreiben lässt, hatte nach einem gescheiterten Putschversuch im April des selben Jahres das Ziel, den legitimen Präsidenten Hugo Chávez FrÃas zu stürzen. Damit sollte der revolutionäre Prozess gestoppt werden, der sich seit Ende der achtziger Jahre entwickelt hatte und im Sieg der Präsidentschaftswahlen 1998 sowie zahlreichen Sozialprogrammen zu Gunsten der verarmten Bevölkerung deutliche Ausdrücke fand.
Die weise Poesie des Alten und die explosiven Worte von Jesús zeichnen aus einer Perspektive von unten – jenseits des Einflusses von Führungspersönlichkeiten – ein sehr direktes Bild des revolutionären Prozesses in dem sich Venezuela befindet – mit seinen Errungenschaften und Widersprüchen. Der Film ist eine Dokumentation der Rebellion, die sich langsam aber stetig unter den Brücken, in den Kloaken und in den Armenvierteln dieser Welt entwickelt und die sich früher oder später durch ihre Sehnsucht nach Gerechtigkeit erheben wird.
Produziert wurde der Dokumentarfilm vom Videokollektiv “Calle y Media”, das aus Basisaktivistinnen und -aktivisten vor allem aus dem Barrio La Vega in Caracas besteht. “Der Alte und Jesus” ist bereits der dritte Film des Kollektivs, der den bolivarianischen Prozess in Venezuela begleitet.
Mittwoch, 24. Januar, 20 Uhr
5 Fabriken – Arbeiterkontrolle in Venezuela
Venezuela 2005, Dario Azzelini/Oliver Ressler, OmU
In ihrem nach „Venezuela von unten“ (67 Min., 2004) zweiten Film über die politischen und sozialen Veränderungen in Venezuela richten Dario Azzellini und Oliver Ressler in „5 Fabriken – Arbeiterkontrolle in Venezuela“ den Fokus auf den industriellen Sektor. Die Veränderungen im Produktionsbereich Venezuelas werden anhand von fünf Großunternehmen in unterschiedlichen Regionen dargestellt: eine Aluminiumhütte, ein Textilunternehmen, eine Tomatenfabrik, eine Kakaofabrik und eine Papierfabrik. Von den Beschäftigten erkämpft und durch Kredite der Regierung unterstützt, breiten sich in Venezuela verschiedene Formen der Mit- und Selbstverwaltung aus. „Die Versammlung ist praktisch der Chef des Unternehmens“, erklärt Rigoberto López von der Textilfabrik „Textileros del Táchira“ in San Cristóbal vor dampfenden Wannen. Und die Spulmaschinenarbeiterin Carmen OrtÃz fasst die Erfahrung so zusammen: „In der Kooperative zu arbeiten ist viel besser, als für andere zu arbeiten, denn das ist wie ein Sklave der anderen zu sein.“
Die in den fünf Fabriken an den Produktionsorten aufgenommen ProtagonistInnen geben Einblicke in alternative Organisationsweisen und Modelle von Arbeiterkontrolle. Die Mechanismen und Schwierigkeiten der Selbstverwaltung werden ebenso geschildert wie die profanen Abläufe der Produktion. Die abgebildeten maschinellen Arbeitsprozesse könnten als Metapher für die Wunschmaschine „bolivarianischer Prozess“ gelesen werden und die Hoffnungen und Sehnsüchte, die dieser bei den ArbeiterInnen weckt.
Die Situation in den fünf Fabriken ist unterschiedlich, gemeinsam ist die Suche nach besseren Produktions- und Lebensmodellen. Dabei stehen nicht nur konkrete Verbesserungen für die ArbeiterInnen im Vordergrund. Aury Arocha, Laboranalystin der Ketchup-Fabrik „Tomates Guárico“, betont, der Unterschied von „Unternehmen sozialer Produktion“ zu kapitalistischen Unternehmen bestehe darin, dass die Kooperativen „für die Gemeinschaft arbeiten, im Sinne der Gesellschaft arbeiten.“ Und Carlos Lanz, Präsident der zweitgrößten Aluminiumfabrik Venezuelas, Alcasa, formuliert als Schlüsselfrage: „Wie macht ein Unternehmen im Rahmen des Kapitalismus Druck in Richtung Sozialismus?“ Der Film schließt mit einer längeren Sequenz aus einer Leitungssitzung von Alcasa, in der Diskussionen über die praktizierte Mitverwaltung in dem 2.700 ArbeiterInnen zählenden Unternehmen und die angestrebten Veränderungen der Produktionsverhältnisse geführt werden.