Samstag 14.06.25, 10:08 Uhr
14. Juni 2000 in Dortmund und Waltrop:

Die rechtsextremistischen Morde an drei PolizistInnen


Azzoncao, ein Polit-Café erinnert: »Heute, vor 25 Jahren, wurden drei PolizistInnen in Dortmund-Brackel und Waltrop von einem Rechtsextremisten erschossen. Dieser war in Dortmund einer Polizeistreife im Straßenverkehr aufgefallen, da er nicht angeschnallt Auto fuhr. Als die BeamtInnen eine Routinekontrolle des Fahrers durchführen wollten, floh dieser. In einer Sackgasse kam der Flüchtende zu stehen, stieg aus und eröffnete das Feuer auf die Ahnungslosen. Er erschoss den 35-jähriger Polizeikommissar Thomas Goretzky und verletzte die Polizeimeisterin Nicole Hartmann schwer. Die schwer verletzte 25-jährigen Nicole Hartmann schaffte es noch an die Leitstelle den Mord an ihrem Kollegen durchzugeben. Eine Großfahndung wurde ausgelöst.

Kurze Zeit später standen in Waltrop die 34-jährige Yvonne Hachtkemper und der 35-jährige Matthias Larisch-von-Woitowitz aus Datteln mit einem Streifenwagen auf dem Randstreifen an der Kreuzung Unterlipper Straße/Ecke Borker Straße. Es ist nicht bekannt, ob sie schon von der Fahndung wussten, als der BMW neben ihnen zu stehen kam. Obwohl die Ampel „grün“ zeigte, hielt der Fahrer des BMW an und gab aus dem Inneren drei gezielte Schüsse auf sie ab. Yvonne Hachtkemper, die gerade aus dem Erziehungsurlaub gekommen war, wurde von zwei Kopfschüssen getroffen. Matthias Larisch-von-Woitowitz, der zusammen mit seiner Frau ein Kind erwartete, erlitt einen Schädeldurchschuss.

Am späten Nachmittag entdeckte ein Passant das Fluchtfahrzeug auf einem Feldweg in einem Olfener Waldstück. Die anrückenden Spezialisten fanden den Fahrer tot auf. Er soll sich mit einem Kopfschuss selbst getötet haben. Es handelte sich um den 31-jährigen Nazi Michael Berger aus Dortmund-Körne.

Michael Berger und die rechtsradikale Szene Dortmunds

In dem Fahrzeug von Michael Berger fand die Polizei Handfeuer- und andere Waffen. Bei mehreren Hausdurchsuchung entdeckten die Polizisten ein Waffenarsenal, das ausreichte um eine komplette Kleingruppe auszurüsten. Der 31-jährige Berger gehörte zur rechtsradikalen Szene Dortmunds. Man fand einen Mitgliedsausweis der DVU, entdeckte Verbindungen zu den Republikanern, der NPD und schließlich zu Siegfried Borchardt und der „Kameradschaft Dortmund“. In dem Olfener Wäldchen soll er sich mit Gleichgesinnten zu Schießübungen getroffen haben.

Die Dortmunder Kameradschaft feierte die Morde mit einem Flugblatt und Aufklebern auf denen stand: „Berger war ein Freund von uns. 3:1 für Deutschland. KS Dortmund“. Auf Grund dessen fand bei dem 23-jährigen Nazi Michael Krick in Dortmund-Kley eine Hausdurchsuchung statt und Aufkleber und Flugblätter gleichen Inhalts wurden beschlagnahmt. Des Weiteren wurde die von BürgerInnen eingerichtete Trauerstätte für die BeamtInnen in Brackel geschändet. Und unweit an einer Mauer die Sätze „Scheiß Bullen! Krepieren sollen sie alle! Elendig!“ geschrieben. Schon in der Nacht zum Donnerstag sprühten Unbekannte in einem vier Meter langen und ein Meter hohen Schriftzug „3 weniger“ an die Hiltruper Polizeiwache. Und vor Bergers Wohnsitz wurden Blumen abgelegt.

Die Mitgliedschaft in Dortmunds Nazistrukturen und die Verherrlichung der Polizistenmorde durch die rechtsradikale Szene war unübersehbar.

Polizeiliche Ermittlungen und Staatsräson

Trotz dieser Informationen und Umstände erklärten die ermittelnden Behörden den Täter zu einen depressiven Waffensammler, der aus Angst vor dem Führerscheinentzug die drei BeamtInnen erschoss. Diese Entscheidung erntete massive Kritik. Aber trotz den expliziten Verweisen auf die neonazistische Organisierung des Mörders wurde seitens des Staats eine politische Motivation der Tat kategorisch ausgeschlossen. Selbst im November 2011, dem Monat der Selbstenttarnung des NSU, hieß es noch vom Innenministerium NRW auf eine kleine Anfrage im Landtag: „…Anhaltspunkte für eine politische Tatmotivation im Sinne der Definition „Politisch motivierte Kriminalität“ lagen nicht vor. Vermutungen in den Medien über einen Zusammenhang zwischen der Tat und Hinweisen auf Aktivitäten des Genannten in der „rechten Szene“ ließen sich nicht verifizieren. Das Verfahren wurde aufgrund des Todes des B. eingestellt.“ (Drucksache 15/1866)

So einfach ging das: Der Täter soll depressiv gewesen sein – ist verstorben – ein rechtsradikaler Hintergrund wird ausgeschlossen – es besteht kein Anlass zu weiteren Ermittlungen. Somit galt, dass es keinen Angriff auf die Demokratie und ihre behördlichen StellvertreterInnen gab. Der rechtsextreme Terror wurde kaschiert und konnte sich weiter ausbauen. Wen wundert es da noch, dass einer der leitenden Ermittler in diesem Fall sechs Jahre später die Ermittlungen im NSU-Mordfall an Mehmet Kubasik leitete und auch hier keine Spur zum Rechtsextremismus entdeckte. Hier waren es dann die MigrantInnen, die zu TäterInnen erkoren wurden. Eine rassistische Täter – Opfer Umkehr. Deutschland entledigt sich seines Rechtsextremismus und weiß: Die Fremden sind schuld.

Erst im Jahr 2014 entstanden im Zuge des NRW-Untersuchungsausschusses zum NSU Risse in dieser behördlichen Camouflage und Hilfestellung für den Rechtsextremismus. Ausrecherchiert und verfolgt wurden die Spuren in die Dortmunder und internationale Nazistrukturen aber bis heute nicht.

An diesen Mordermittlungen und angesichts der stark den Rechtsextremismus entlastenden Ermittlungen im Falle des mörderischen Anschlags in Solingen im März 2024 lässt sich mit Fug und Recht anzweifeln, dass Teile der Behörden demokratische Ziele verfolgen. (Welche Rolle Jörg Lukat, der jetzige Oberbürgermeisterkandidat der SPD für Bochum, als Leiter des polizeilichen Staatsschutzes in Dortmund zur Zeit des Mordes an Mehmet Kubasik, spielte? Im parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum NSU trug er Nichts zur Offenlegung des Skandals bei, sondern spielte im Februar 2016 in Düsseldorf den Hasen „Ich weiß von Nichts“.(siehe Untersuchungsbericht))

Die Kinder der ermordeten PolizistInnen vom 14. Juni 2000 sind mittlerweile junge Erwachsene, die Eheleute, FreundInnen und ArbeitskollegInnen der ermordeten Personen im mittleren Lebensabschnitt und ihre Eltern SeniorInnen und RentnerInnen. Für sie alle waren die Morde einer der schrecklichsten und schmerzhaftesten Einschnitte ihres Lebens. Ihnen gilt Angesicht ihres Verlusts und Traumas unser Mitgefühl.

Einem politischen System, dass den Rechtsextremismus hervorbringt, ihn oft gewähren lässt, seine Akteure und Strukturen in vielen Bereichen entlastet und stützt, gilt unser Widerstand und der unbedingte Wille: Nie wieder Faschismus!«

Ältere Beiträge von Azzoncao:

Proyecto Memoria – Dortmund vor 10 Jahren: Die faschistischen Morde an drei PolizistInnen (2010)
https://linksunten.indymedia.org/de/node/21477/index.html
Dortmund – Gedenkveranstaltung für die im Jahr 2000 ermordeten PolizistInnen in Brackel (2015)
https://linksunten.archive.indymedia.org/node/145939/index.html
Ein Kratzen an der Oberfläche (2017)
https://www.bo-alternativ.de/2017/04/10/ein-kratzen-an-der-oberflaeche
Gedenken an drei ermordete Polizist*innen (2020)
https://www.bo-alternativ.de/2020/06/14/gedenken-an-drei-ermordete-polizistinnen

Interessanter WAZ-Artikel, 13.06.2025:
25 Jahre nach den Polizistenmorden sind noch Fragen offen
https://www.waz.de/rhein-und-ruhr/article409088012/25-jahre-nach-den-polizistenmorden-sind-noch-fragen-offen.html?_gl=174zlkz_up*MQ..&gclid=EAIaIQobChMItpK7vb2K_QIVWuPmCh37XgmrEAAYASAAEgK-GfD_BwE«