
Liebe Damen und Herren,
es sind Gesichter, Portraits von Personen, von Gefangenen, die allesamt in der NS-Zeit hier in der Krümmede einsaßen. Manche von Ihnen haben überlebt, viele haben nicht überlebt. Sehr junge Menschen sind dabei, unter 20. Einige sind über 70 Jahre alt.
Gemeinsam ist ihnen: Sie waren nicht kriminell. Sie haben keine Straftaten im eigentlichen Sinne begangen. Sie haben Akte des Ungehorsams begangen, ja. Sie haben sich mit Worten, Schriften, Handlungen gegen den Nationalsozialismus gestellt.
Viele, sehr viele verstarben hier in den Kriegsjahren an Krankheiten. Zahlreiche wurden nach Bochumer Haft in Dortmund und woanders hingerichtet. Einige der Überlebenden haben ihre Erfahrungen aufgeschrieben. Es gibt Bücher in Frankreich, Belgien, den Niederlanden und Deutschland, die noch ausgewertet werden müssten.
Es ist gut, dass die Personen durch ihre Bilder heute noch einmal hier versammelt sind. Es ist gut, dass ihnen zu Ehren eine Stolperschwelle in den Boden gelegt wird. Dass wir in gutem Sinne darüber stolpern und nachdenken.
- Wir sehen hier Wilhelm Pfromm aus Kassel. Er war Mitglied der illegalen KPD. 1936 wird er zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt. 1942 stirbt er mit 37 Jahren in der Krümmede
- Wir sehen hier Alfred Zingler aus Gelsenkirchen. Illegale SPD. Er taucht in den Niederlanden unter, wird verraten, verhaftet, kommt nach Bochum, wird im August 1944 in Brandenburg-Görden enthauptet.
- Wir sehen hier Gutav Vandepitte. Seine Straftat: Er verteilt in Belgien deutschfeindliche Schriften. Mit 19 landet er in der Krümmede, arbeitet zeitweiseweise im Außenkommando Henrichshütte Hattingen. Beim Abtransport nach Hameln im März 1945 kommen Mitgefangene durch alliierte Bomben ums Leben. Gustav überlebt, wird im Gefängnis Dreibergen befreit.
- Wir sehen hier André Rossel-Kirschen. Er ist Mitglied einer kommunistischen Widerstandsgruppe in Paris. Er schießt mit 15 Jahren auf einen deutschen Offizier. Seine Brüder und sein Vater werden in Paris erschossen. Er bekommt 10 Jahre Jugendhaft, wird im April 1945 in Bochum befreit.
- Wir sehen hier Wilhelm Engel. Vor 1933 war er Geschäftsführer der Bochumer Zentrums-Partei. Mit 11 weiteren Mitgliedern wird er wegen Wehrkraftzersetzung an der ehemaligen Christkönigkirche , zwischenzeitlich Kunstkirche, verhaftet. Zwei von ihnen sterben bei der Bombardierung des Gerichtsgefängnisses. Von der Krümmede kommt Engel ins Gefängnis Berlin-Moabit, stirbt dort im April 1945.
- Wir sehen hier Camille Thys, Bahnhofsvorsteher in einer belgischen Stadt. Er versteckt und versorgt einen alliierten Fallschirmspringer, wird verraten, kommt in Bochumer Haft. Er wird am 2.6.1943 im Gefängnis Dortmund enthauptet.
- Wir sehen hier Desiré Didry. Er gehört zu einer französischen Résistance-Gruppe. Sie bringen alliierte Fallschirmspringe außer Landes. Sie werden verraten, kommen nach Bochum. Am 30.6. 1943 werden alle Neun seiner Gruppe nach Dortmund überstellt. Von 19.00h-19.30h werden sie im 3-Minutenabstand enthauptet.
- Wir sehen hier Pfarrer Anton Spieker. Er stirbt 1941 an Haftfolgen in der Krümmede. Er hatte sich 1940 geweigert, nach Besetzung der Beneluxstaaten die Glocken zu läuten, das von Hitler angeordnete Siegesläuten durchzuführen. Haft!
- Wir sehen hier Friedrich Wilhelm Espenhan, Küster und Organist in Witten. Er kritisiert die NSDAP, wird nach dem Heimtückegesetz angeklagt. Er nimmt sich 1942 in der Krümmede das Leben.
- Wir sehen hier Eugen Callewart aus Belgien, Bürgermeister von Lichtervelde. Wegen Spionage und Feindbegünstigung werden 13 aus Lichtervelde verhaftet. Sie kommen nach Bochum. Sie werden alle 13 in einer Stunde unter der Guillotine enthauptet in Wolfenbüttel am 15. Juni 1944
- Wir sehen hier Victor Rutgers., Hochschullehrer in den Niederlanden. Schon vor der Besatzung hält er Reden gegen die Deutschen. Er stirbt in der Krümmede am 5. Februar 1945 im Alter von 67 Jahren.
Liebe Damen und Herren! Im Text der Stolperschwelle heißt es, Überschrift:
1. Krümmede 1933-1945. Mehr als 2000 politisch verfolgte Menschen inhaftiert
Und in der zweiten Zeile ist die größte Gruppe der Politischen benannt. Es steht da:
- Angehörige des Widerstandes aus Frankreich, Belgien und anderen besetzten Ländern Westeuropas
Wie kommen wir auf die großen Zahlen? Durch Angaben der damaligen Strafvollstreckungskammer. Die schreibt:
- Am 22. Mai 1943 saßen in Bochum 1131 männliche NN-Gefangene.
1131 an einem einzigen Tag. NN-Gefangene, das sind Nacht-und-Nebel-Gefangene, Personen, die in Frankreich, Belgien, den Niederlanden Spionage oder Sabotage verübten. Sie werden bei Nacht und Nebel ohne Auskunft an ihre Familien nicht in Kriegsgefangenenlager verbracht, sondern in Strafgefängnisse, die Justizgefängnisse des Reiches, viele in die Krümmede. Ab 1942 kamen 56 Konvoys von Lille und von Brüssel. Die Krümmede richtet zusätzlich 4 Außenkommandos ein, z.B. im Eisenbahnwerk Dahlhausen und in der Henrichshütte Hattingen. Alleine mit der Opfergruppe der Resistance-Gefangenen kommt man schon auf 2000 Personen. Von denen verstarben nach den Sterbebüchern von Bochum Mitte von 1942-1945 unter der Adresse Krümmede 3, also dem alten Strafgefängnis, 121 französische, belgische, niederländische Gefangene an Krankheiten und Haftfolgen.
Jan Hertogen aus Belgien wird dazu gleich noch ein Grußwort sprechen. Auch Peter Dowding, ehemaliger Premier in Westaustralien, schickt ein kurzes Grußwort. Vor 2 Jahren besuchte er die Krümmede. Hier wartete sein Onkel auf Urteil des Volksgerichtshofes und auf Hinrichtung in Dortmund.
In der zweiten Zeile der Stolperschwelle stehen weitere Gruppen politisch Verfolgter:
- Mitglieder verbotener Parteien – Christliche Regimegegner – Homosexuelle -Zeugen Jehovas
Bald nach der Machtübernahme 1933 werden alle weiteren Parteien verboten. Die Reichsregierung verkündet im Juni 1933:
- „In Deutschland besteht als einzige politische Partei die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei.
KPD und SPD sind verboten, das Zentrum und andere lösen sich auf. Allein im Jahr 1934 verhängt das OLG, Oberlandesgericht Hamm, politische Urteile über mehr als 4000 Personen wegen Vorbereitung zum Hochverrat. Zwei Beispiele von Überlebenden zeigen wir noch:
- Wir sehen hier Heinz Junge. Er war Jung-Kommunist, war 1934 und 1935 in der Jugendabteilung der Krümmede. Nach mehreren Haft- und Lageraufenthalten wird er 1945 „halbtot“ aus dem KZ Mauthausen halbtot. Er engagiert sich bei der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes und hilft mit, die Gedenkstätte Steinwache in Dortmund aufzubauen.
- Wir sehen hier Werner Eggerath. Nach 10 Jahren Haft wegen Vorbereitung zum Hochverrat wird er 1945 aus der Krümmede entlassen. Seine politische Arbeit geht sofort weiter. Er wird 1948 erster frei gewählter Regierungspräsident in Thüringen und Politiker in der DDR.
In Zeile zwei ist auch die Rede von Christlichen Regimegegnern und von Zeugen Jehovas. Die Zeugen Jehovas, so genannte Ernste Bibelforscher verweigern den Wehrdienst, verweigern den Hitlergruß und den Eid auf Hitler.
- Wir sehen hier Friedrich Poburski. Er war auch in der Krümmede. Er starb im Alter von 48 Jahren im April 1945 im KZ Bergen-Belsen, einen Tag nach der Befreiung des KZs durch die Briten.
Wer eine der Broschüren Schicksalsort bekommen hat oder gleich eine mitnimmt, kann nachlesen, dass von 1933-1945 auch 50 katholische Priester in Bochumer Haft saßen. Die katholische Kirche in Bochum oder im Bistum hat das noch nie betont. 7 von ihnen starben in Bochum. Der erste Kaplan, der 1933 in Haft kam, war Kaplan August Stöcker aus Riemke.
- Wir sehen hier August Stöcker. Er nannte von der Kanzel aus die Nationalsozialisten „braune Indianer“ und „Germanenhorden“. Vor den Wahlen warnte er: Die dümmsten Kälber wählen ihre Metzger selber. Gefängnis 1933+1934
- Wir sehen hier Josef Reuland. Er war 1945 der letzte der katholischen Priester in Bochumer Haft, von Freisler persönlich verurteilt. Bei der Evakuierung der Anstalt im März 1945 erhielt er in Altenbochum einen Genickschuss. Er überlebte im Gefängnislazarett und im Josephshospital.
Die Gruppe der Homosexuellen ist noch genannt. Sie haben schon eine eigene Stolperschwelle am Landgericht. Ab 1933 verschärften sich die Urteile gegen homosexuell Liebende sehr stark.
- Wir sehen hier Heinz Barenberg, 1942 in Haft. Und Gerhard Krebs, verurteilt nach § 175. 1936 in Haft, 1939 Selbstmord durch Erhängen in der Krümmede.
Nicht alle Gruppierungen können auf der Stolperschwelle genannt werden, z.B. geflohene und inhaftierte Zwangsarbeiter aus Polen, Russland, der Ukraine.
- Wir sehen hier Alexander Oskolow. Der Ukrainer war Zwangsarbeiter auf der Zeche Schamrock in Wanne. Er taucht unter. Bei seinem Besuch im Jahr 1994 in Bochum erzählt er von seiner Inhaftierung in der Krümmede und seiner Flucht bei der Evakuierung der Strafanstalt.
Die Juden-Deportationen liefen nicht über die Justizgefängnisse, auch die Deportationen der Sinti und Roma nicht. Aber:
- Wir sehen hier den Rom Adolf Schopper aus Gelsenkirchen. 5 seiner 7 Kinder sterben in Auschwitz. Grund seiner Haft in Essen und Bochum ist unbekannt, auch die Umstände seines Todes. Er stirbt 1942 mit 79 Jahren in der Krümmede.
Als letztes Beispiel wird eine Person genannt, die einfach nach seinem Gewissen menschlich gehandelt hat. Sein Schwiegersohn hat ihn angezeigt.
- Wir sehen hier Karl Klauke aus Lüdenscheid. Trotz Anzeige wollte er seinem jüdischen Mieter nicht kündigen. Er galt als „Judenfreund“. Formal lautete sein Urteil auf Rundfunkverbrechen.
Er gehörte zu denen, die das Prinzip der Menschlichkeit nicht verraten haben. Er und alle anderen, die Zivilcourage bewiesen und teuer dafür bezahlt haben, werden durch diese Stolperschwelle geehrt.