Samstag 04.01.25, 10:04 Uhr
Redebeitrag der Seebrücke auf der Gedenkkundgebung am 30.1. 2024

Gedenken an die Opfer von Femiziden und sexualisierter Gewalt


Wir stehen heute hier, um unserer getöteten Schwester Michaela zu gedenken. Und gleichzeitig wollen wir auch all unseren getöteten Schwestern weltweit gedenken, die Opfer von Femiziden und sexualisierter Gewalt wurden. Als Seebrücke Bochum wollen wir hier an die Menschen auf der Flucht erinnern, die vor sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt fliehen, auf der Flucht in einem besonderen Maße dieser ausgesetzt sind und auch in Europa angekommen eine besonders gefährdete Gruppe darstellen.


An dieser Stelle wollen wir eine Triggerwarnung aussprechen. Unser Redebeitrag wird sich mit struktureller sexualisierter Gewalt auseinandersetzen.
Die Fluchtgründe von Frauen, Mädchen, Lesben, Inter- und Transpersonen sind vielfältig. Neben den häufig genannten Fluchtgründen wie Krieg, politischer, ethnischer oder religiöser Verfolgung, Klimawandel und Verelendung werden geschlechtsspezifische Gründe kaum erwähnt. Drohende Femizide, Genitalverstümmelung, Witwenverbrennung, Zwangsverheiratung auch bereits im Kindesalter, Vielehe, sexualisierte Gewalt und Verfolgung durch die sexuelle oder geschlechtliche Orientierung treffen hauptsächlich Frauen und queere Menschen und finden deshalb kaum Gehör.

Krieg wurde und wird auch immer mit den Körpern von Frauen und Mädchen ausgetragen, hier seien nur an die schrecklichen Berichte aus ukrainischen Dörfern wie Butscha oder der systematischen Vergewaltigung und Genital-Verstümmelung in Tigray als Bürgerkriegshandlung oder der sexuellen Versklavung von Jesidinnen durch den IS erinnert.

Auch auf der Flucht sind FLINTA, (d.h. Frauen,Lesben, Intersexuelle, nicht-binäre, trans- und asexuelle Menschen) einer hohen Gefahr ausgesetzt. Laut des Kinderhilfswerks für die Vereinten Nationen (United Nations Children’s Fund – UNICEF) werden alleine auf der Fluchtroute aus der Subsahara über Libyen bis nach Europa fast die Hälfte aller Frauen mindestens einmal Opfer von sexualisierter Gewalt oder sexuellem Missbrauch, die Dunkelziffer liegt deutlich höher. Befragte Migrantinnen gaben an, sexualisierte Gewalt als vermeintliche „Dienstleistung“ für eine Weiterreise ertragen zu müssen. Diese Abhängigkeit führt in vielen Fällen nicht nur zu Missbrauch, sondern zu Freiheitsberaubung, Menschenhandel und Ermordung. Viele FLINTA kommen nicht an ihrem Ziel an, ihr Verbleiben ist ungewiss.

Die Situation in Flüchtlingslagern ist generell besonders für FLINTA gefährlich, da hier sexualisierte Gewalt weit verbreitet ist. Vor allem an Orten, wo es keine offiziellen Flüchtlingscamps gibt, müssen Frauen mit ihren Körpern für einen Schlafplatz „bezahlen“. Überfüllte Lager, schlechte gesundheitliche Bedingungen, traumatisierte Menschen und sexuelle Übergriffe finden sich jedoch in fast allen Flüchtlingscamps, das gilt ebenfalls für Flüchtlingslager in Europa. Auch über Unterkünfte in Deutschland gibt es immer wieder Berichte über Gewalt und Missbrauch an FLINTA. Das Fehlen von geschlechtergetrennten sicheren sanitären Anlagen führt dazu, dass FLINTA diese bei Dunkelheit oft nicht mehr nutzen können.

Die Ausweitung sogenannter sicherer Herkunftsstaaten und die Reform des gemeinsamen Europäischen Asylsystem (GEAS) missachtet insbesondere die prekäre Lage von FLINTA. Durch zunehmend pauschale Zurückweisung an den Grenzen werden individualisierte und somit auch geschlechtsspezifische Fluchtgründe nicht berücksichtigt. Beispielsweise listet ein von PRO ASYL in Auftrag gegebenes Gutachten dezidiert fehlende Umsetzung von Frauenrechten und fehlenden Schutz vor häuslicher Gewalt sowie Unterdrückung und Ausgrenzung von LGBTIQ+ (lesbisch, schwul (gay), bisexuell, trans, inter, asexuell und queer) Menschen in den Ländern des Westbalkan auf, die von der EU als sichere Herkuntsländer angesehen werden.
Und dies nur um einige Beispiele zu nennen.

Lasst uns feststellen: Es gibt für Frauen, Mädchen und queere Menschen kein sicheres Herkunftsland!

Wir stehen hier, um Michaela zu gedenken, wir gedenken auch den vielen oft namenlosen Menschen, die weltweit Opfer von Femiziden und geschlechtsspezifischer Gewalt geworden sind.

Vielen Dank