Sonntag 24.03.24, 15:43 Uhr
Mahnwache der Seebrücke Bochum

Gegen Bezahlkarte und Gewalt an der Grenze, für ein sicheres Kommen und Bleiben


Bei sehr wechselhaftem Wetter hat die Seebrücke Bochum gestern mit einer Mahnwache auf die Situation von Geflüchteten an Europas Außengrenzen und den aktuellen Stand zur „Bezahlkarte“ in Bochum aufmerksam gemacht. Kürzlich hatten über dreißig Bochumer Organisationen in einem offenen Brief an die Stadt ausführlich begründet, warum Bochum keine Bezahlkarte für Geflüchtete einführen sollte. Einen zuvor von der FDP gestellten Antrag zur Einführung der Bezahlkarte hat der Rat zwar letzte Woche abgelehnt, aber sich damit keineswegs generell gegen die Bezahlkarte ausgesprochen.

Die Seebrücke berichtet dazu: »Im Antrag der FDP heißt es zur Begründung der Einführung einer Bezahlkarte: sie „verringer[e] den Verwaltungsaufwand erheblich, da die Menschen nicht mehr persönlich bei der Stadt erscheinen müssen, um ihre Geldleistungen abzuholen“. Das machte es der rot-grünen Ratskoalition sehr einfach, den Antrag abzulehnen. In den Worten der Grünen: „Das Bochumer Sozialdezernat richtet für alle Geflüchteten in der Obhut der Stadt Bochum Konten bei der Sparkasse Bochum ein. Bargeldauszahlungen finden in der Regel überhaupt nicht statt. […] Anders als in den Landeseinrichtungen hat Bochum also funktionierende Instrumente und Auszahlungsmodalitäten ohne Bargeldauszahlung. […] Das wissen auch alle Ratsmitglieder.“

Was in der Antwort der Grünen jedoch fehlt, ist eine grundsätzliche Ablehnung des diskriminierenden Konzepts einer Bezahlkarte für Geflüchtete. Zwar warnen die Grünen davor, „dem Argument auf dem Leim zu gehen, dass das Flucht- und Migrationsverhalten von Menschen die hierherkommen, die nach Europa kommen, von einer Bochumer Bezahlkarte maßgeblich beeinflusst wird.“

Es gibt jedoch weitere gewichtige Gründe, die geplante Bezahlkarte abzulehnen:

  • Die Bezahlkarte soll auch den Zugang zu Überweisungen und Bargeld einschränken, was „Missbrauch der Leistungen“ verhindern soll. Abgesehen davon, dass ein solcher Missbrauch (zu dem etwa Überweisungen an Angehörige im Ausland gezählt werden) unbelegt ist und angesichts der geringen Höhe der Ansprüche aus dem Asylbewerberleistungsgesetz auch kaum nennenswert möglich scheint: eine solche Einschränkung hätte schwerwiegende Nebenwirkungen. Ohne ein Konto, das Überweisungen und Lastschriften erlaubt, wären Geflüchtete vom normalen Zahlungsverkehr abgeschnitten – vom Online-Einkauf über die Begleichung von Studiengebühren bis zur Bezahlung von Rechtsanwält:innen. Ohne Bargeld würde ihnen die Möglichkeit genommen, in manchen kleinen Geschäften einzukaufen oder auf günstige Angebote wie Kleinanzeigen und Flohmärkte zurückzugreifen. Genausowenig könnten sie etwa ihren Kindern Bargeld für den Schulausflug mitgeben.
  • Verfassungsrechtlich zutiefst problematisch ist auch die angedachte Möglichkeit, die Nutzung der Bezahlkarte örtlich oder auf bestimmte Waren zu beschränken. Sozialleistungen als Kontroll- und Disziplinierungsinstrument zu missbrauchen, ist ein massiver Eingriff in die Würde und Handlungsfreiheit eines jeden Menschen und absehbar verfassungswidrig.

Je nach Ausgestaltung der Bezahlkarte würde somit eine gesellschaftliche Teilhabe massiv erschwert und Geflüchteten würde im Alltag ständig vermittelt, Menschen zweiter Klasse zu sein. Die Bezahlkarte ist ein Instrument zur Diskriminierung und steht damit der Bochum Strategie konträr entgegen, in der sich die Stadt unter anderem das Ziel setzt „gute Lebensbedingungen für alle“ zu schaffen und allen Menschen in Bochum ein Leben „ohne Diskriminierung“ zu ermöglichen.

Noch weitaus schlimmer ist die Situation von Menschen auf der Flucht an den Außengrenzen von Europa: Innerhalb weniger Tage zu Beginn des März 2024 wurden drei deutsche zivile Rettungsschiffe – die Sea-Watch 5, die Sea-Eye 4 und die Humanity 1 – unter fadenscheinigen Vorwänden von den italienischen Behörden festgesetzt. Zwar entschied ein italienisches Gericht am 18.3.24, dass die Festsetzung der Humanity 1 „offenkundig unrechtmäßig“ ist und das Rettungsschiff mit sofortiger Wirkung freigelassen werden muss, doch in diese Zeitraum sind mindestens 100 Menschen bei dem Versuch, das Mittelmeer zu überqueren, ertrunken. Menschen, die vielleicht hätten gerettet werden können, wenn die Schiffe nicht blockiert gewesen wären.

Wer nicht ertrinkt, muss an den Grenzen mit Gewalt bei brutalen Abschiebungen und Pushbacks rechnen. Wir unterstützen daher die europäische Bürgerinitiative „Stop Border Violence“, die von der EU die Ergreifung von geeigneten normativen Instrumenten fordert, um eine wirksame Anwendung des Artikels 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union zu gewährleisten. Dies bedeutet zugleich, die Verwendung von Gewalt und Folter sowie von unmenschlichen und erniedrigenden Behandlungsformen bei der Kontrolle der Grenzen innerhalb des EU-Raums sowie in Drittländern, mit denen die europäischen Behörden oder ein oder mehrere Mitgliedstaaten Abkommen zur Einschränkung der Einreise von Migranten oder Asylbewerbern nach Europa unterzeichnet haben, zu unterbinden, wie auch bei der Abwicklung der Aufnahmemaßnahmen von Migranten und Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten selbst, und zwar durch die Schaffung und Auferlegung von Sanktionen für den Fall der Nichteinhaltung der festgelegten Verpflichtungen.

Wenn die Mindestzahl von 1 Million Unterschriften erreicht wird, ist die EU-Kommission verpflichtet, die Vorschläge der Bürgerinitiative zu berücksichtigen. Hier kann man die Forderungen mitzeichnen: https://eci.ec.europa.eu/032/public/«