Samstag 09.09.23, 19:41 Uhr
Mahnwache gegen GEAS und Festung Europa

Redebeitrag der Seebrücke Bochum


Liebe Menschen,
wir sind die Seebrücke Bochum und wir setzen uns für sichere Fluchtwege und gegen die Kriminalisierung von Seenotretter*innen ein.

Niemand verlässt freiwillig die Heimat, die Familie, die Freund*innen, das gewohnte Leben. Das Recht, Schutz in einem anderen Staat suchen zu dürfen ist ein Menschenrecht. Die internationalen Menschenrechte sind nicht irgendeine Floskel, sie sind die Grundlage unseres freien Lebens und die Grundlage eines friedlichen Miteinanders und sie gelten für alle Menschen – sollten sie zumindest…

An den Europäischen Außengrenzen werden Menschen auf der Flucht ihre Grundrechte verweigert. Mit dem von der Bundesregierung so gepriesenen Kompromiss zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems finden tiefgreifende Menschenrechtsverletzungen statt. Das Recht auf Asyl wird faktisch abgeschafft, nachdem es frühere Kompromisse bereits ausgehöhlt hatten.
Mit den Grenzverfahren soll es zu einer automatischen Unterbringung von Geflüchteten in geschlossenen Lagern kommen. Das gilt auch – anders als behauptet – für Familien mit kleinen Kindern. Diese automatische Inhaftierung von Kindern hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in mehreren Urteilen als eine erniedrigende unmenschliche Behandlung eingestuft. Menschen aus Herkunftsländern mit einer geringen Chance auf eine Anerkennung sollen direkt abgeschoben werden, ohne die Möglichkeit einer Überprüfung der Entscheidung. Zudem werden so genannten sicheren Drittstaaten ausgeweitet. Hierbei wird bewusst ignoriert, dass die Genfer Flüchtlingskonvention die Anerkennung als Flüchtling von individuellen Gründen – wie zum Beispiel der sexuellen Orientierung – abhängig macht und nicht vom Herkunftsland.

So sehr sich Europa auch abschottet, so unmenschlich die Grenzverfahren und so gefährlich die Fluchtrouten auch sind, es werden immer Menschen in Europa Schutz vor Verfolgung, Gewalt, Krieg, aber auch Klimawandel und Elend suchen. Elend wohlgemerkt, dass massgeblich durch Landgrabbing, Überfischung und Ausbeutung von Rohstoffen durch Staaten des globalen Nordens verursacht wird.

Wenn wir nicht für sichere Fluchtrouten sorgen, werden weiterhin Menschen auf der Flucht ertrinken, verhungern, erfrieren, verdursten oder auch ermordet, vergewaltigt und versklavt werden. Deutschland und Europa machen sich mitschuldig, da sie illegale Pushbacks durch nationale Grenzschützer, aber auch durch Frontex, völkerrechtswidrige Inhaftierungen an den EU-Außengrenzen und menschenunwürdige Lager in Lybien unterstützen und billigen.

Da ist zum Beispiel die Geschichte einer 22 jährigen Afghanin, die hochschwanger nach Europa floh und in Griechenland angekommen von Grenzschutzbehörden systematisch erniedrigt wurde, unversorgt in der Hitze ausharren, sich vollständig entkleiden musste und zuletzt auf einer sogenannten „Rettungsinsel“ wieder auf dem Meer ausgesetzt wurde und das obwohl sie im 7.Monat schwanger war. Und dies – liebe Menschen – geschieht an den EU-Außengrenzen täglich – wir fragen Euch: Geschieht dies in unserem Namen?

Obwohl der Bundesregierung dies bekannt ist, stimmt sie für die Reform des GEAS und somit gegen die Europäische Menschenrechts- und Genfer Flüchtlingskonvention. Die Bundesregierung und die EU verstoßen bewußt gegen geltendes Recht.

Schaffen es die Menschen dann doch nach Europa, treffen sie hier auf rassistische Praktiken in Ausländerbehörden, Diskriminierung und häufig auch Abschiebehaft, die in der Mehrheit der Fälle ebenfalls gegen das Völkerrecht verstösst. Der Rechtsanwalt Peter Fahlbusch hat ausgerechnet, dass allein in den von ihn bearbeiteten Fällen Menschen innerhalb von 20 Jahren 30507 Tage rechtswidrige in Abschiebehaft saßen. Das entspricht 83 Jahren Freiheitsentzug ohne rechtlich Grundlage!

Mit der Begründung, die Spaltung unserer Gesellschaft und den Zulauf zu Rechtspopulisten verhindern zu wollen, schränkt die Regierung bereits jetzt Grundrechte ein – vor allem an den Außengrenzen, aber wie etwa an der Präventivhaft für Klimaschützer*innen zu sehen ist, ist nicht garantiert, dass diese Entwicklung nicht weiter um sich greift.
Die selbe Begründung wird bemüht, um trotz Überalterung der Gesellschaft und Fach- und Arbeitskräftemangel große Summen in Abschottung und Abschiebung zu stecken und Geflüchteten Arbeitsverbote zu erteilen, statt die Migration als Chance zu sehen. Und das nur, um den Rechten keine Angriffsfläche zu bieten? Versteht uns nicht falsch, wir wollen nicht den Wert des Menschen und der Menschenwürde an seiner oder ihrer Verwertbarkeit messen, wir wollen hier nur aufzeigen, dass die gängige Praxis in jeder nur erdenklichen Hinsicht völlig hirnrissig ist.

Wir dürfen nicht vergessen, dass Menschenrechte in unserem Grundgesetz nach den Schrecken zweier Weltkriege und dem mörderischen Wüten der Nazis verankert und in der Europäischen Menschenrechtskonvention festgeschrieben wurden. Genau für diese Zeiten, in denen rechtspopulistische Parteien Politik, Wahlkampf und Meinungsmache mit Hass und Hetze gegen Menschen machen, die ohnehin schon alles verloren haben und sich nicht wehren können, wurde die Genfer Flüchtlingskonvention gemacht, um Menschen auf der Flucht zu schützen.

„Nie wieder“ bedeutet auch, das Grundrecht auf Asyl zu achten. „Nie wieder“ bedeutet auch, Grundrechte für alle Menschen, unabhängig von Herkunft, Geschlecht, sexueller Orientierung, Religion und Hautfarbe zu achten und zu verteidigen.

Wir von der Seebrücke Bochum stehen entschieden gegen die Verschärfungen des gemeinsamen Europäischen Asylsystem. Wir stehen für ein sicheres Kommen und Bleiben. Solidarität mit allen Menschen auf der Flucht. Vielen Dank!