Sonntag 04.06.23, 17:01 Uhr

Radwege für Radfahrer:innen und nicht für Autofahrer:innen 3


Bochum: Kein Platz für Radwege

Im Ausschuss für Mobilität und Infrastruktur des Bochumer Stadtrates hat Klaus Kuliga in dieser Woche in der Begründung einer von ihm eingereichten Anregung seine Kritik an der „menschenverachtende Illusion von der ‚Autostadt Bochum’“ formuliert. Er hat uns sein Manuskript zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt: »Es geht um den Abschied von der „Autostadt Bochum“. Es geht um das kleine Einmaleins der Verkehrspolitik und des Verkehrsrechts. Angesichts der aktuellen Themen (Wittener Straße, Hans-Böckler-Straße, Zeche Hannover und im Hintergrund Dorstener Straße) ist die Frage: Warum hat das so lange gedauert? Warum nicht gleich so? Zum Beispiel in der Hans-Böckler-Straße: Seit 2010 sagen die Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (ERA) klar und deutlich, wie Radfahrer Straßenbahnschienen sicher queren können: In einem Winkel von mindestens 45°.

Ich zitiere: „Bei der Führung des Radverkehrs ist die spitzwinklige Überquerung von Straßenbahngleisen zu vermeiden. Ab einem Winkel von 50 gon oder mehr ist die Überquerung von Rillenschienen problemlos möglich. Wo Überquerungen der Gleise obligatorisch sind, z. B. vor Haltestellenkaps, können Überquerungsstelle und Überquerungswinkel durch Markierungen verdeutlicht werden.“ Ich habe schon während der Planung des Umbaus der Hans-Böckler-Straße auf das Problem hingewiesen. Die Verwaltung hat mehr als zehn Jahre nur zugesehen, wie Radfahrer und Nutzer von E-Scootern dort verunglücken. Jetzt hat anscheinend doch mal jemand die ERA gelesen. Warum hat das so lange gedauert? Warum nicht gleich so?

Wittener Straße
Seit 14 Jahren gilt „Benutzungspflichtige baulich angelegte Radwege dürfen nur angeordnet werden, wenn ausreichende Flächen für den Fußgängerverkehr zur Verfügung stehen.“ (Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (VwV StVO 2009) Die Regel lässt keinen Spielraum.
Gilt sie auch in Bochum? Auch an der Wittener Straße?
Bereits 2017, also vor sechs Jahren hat die Verwaltung als Antwort zu einem GO 24 Antrag festgestellt: „Aus der Überschreitung der Grenzwerte ergibt sich, dass weder die vierstreifige Führung des Kfz-Verkehrs noch die explizite Führung des Radverkehrs im Mischverkehr möglich bzw. sinnvoll sind.“ Und: „Die einzige Möglichkeit Radverkehrsanlagen einzuplanen bestünde, wenn man einseitig eine Häuserzeile abreißen würde.“ (Vorlage 20170529)
Noch im Februar 2022 haben Sie der Behauptung der Verwaltung zugestimmt, an der Wittener Straße 101 bestehe keine Gefahr. („Die gegenwärtige Situation ist aus Sicht der Verwaltung allerdings für alle Radfahrer und Fußgänger so ersichtlich, dass nicht von einer konkreten Gefahr ausgegangen werden muss, die umgehend zu beseitigen wäre.“ Vorlage 20220053 ) Anlass war ein GO24 Antrag vom März 2021. Am 22. August 2022 dann der beinahe tödliche Unfall an genau dieser Stelle. Erst im Mai 2023 erfolgte die Reaktion.
Warum hat das so lange gedauert? Warum nicht gleich so?

***den folgenden Absatz durfte Klaus Kuliga nicht vortragen***

Dorstener Straße (GO 24 Antrag vom 26.01.2023)
Sicherheitstrennstreifen zwischen Radfahrstreifen und parkenden Kfz waren schon in den Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (ERA) von 1995 gefordert: Vor knapp 30 Jahren! Mittlerweile steht das auch in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (VwV StVO). Aber Bochum hat auch 2023 nicht die Absicht, diese grundlegende Sicherheitsanforderung zu erfüllen. An der Herner Straße und der Dorstener Straße gab es aktenkundige Unfälle, die auf die fehlenden Sicherheitstrennstreifen zurückzuführen sind.
Wann hält Bochum sich endlich an die einfachsten Regeln?
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Es ist im Grunde einfach:

Wenden Sie die Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (ERA) konsequent und sofort an. Beginnen Sie mit den Altlasten: Besser kein Radweg als ein schlechter Radweg. Alt vor Neu! Die Radwende Bochum hat die Anforderungen bereits 2019 in vier Worten gebündelt: „Tempo 30 oder Radwege“ (regelkonforme Radwege selbstverständlich). Es führt kein Weg daran vorbei:
Die Wittener Straße muss – wie alle anderen Radialen, Hellwege und Hauptverkehrstraßen – eine Stadtstraße sein, auf ganzer Länge – von der Innenstadt bis Langendreer.
Warum dauert das so lange? Warum nicht gleich so?
Hören Sie auf, Radwege für Autofahrer zu bauen. Bauen Sie Radwege für Radfahrer. Radwege für Autofahrer haben den Sinn, den Autofahrern die Radfahrer aus dem Weg zu räumen. Aber es sind die Autos, die den Stau und die Unfälle verursachen, nicht die Radfahrer. Radwege für Radfahrer haben den Sinn, einfaches, sicheres, leichtes und angenehmes Radfahren zu ermöglichen. Das muss man in Bochum mit der Lupe suchen. Wer (Zitat) „die Bedürfnisse aller Bürger und Bürgerinnen dieser Stadt berücksichtigen“ will, muss Fußgänger und Radfahrer an die erste Stelle setzen.

Beginnen Sie mit dem Bestand.
Warum hat die Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) angekündigt, dass in wenigen Monaten mit der nächsten Generation von Regelwerken für die Gestaltung des städtischen Verkehrsraums der Fuß- und Radverkehr nicht mehr gleichberechtigt sondern bevorzugt wird?
Die Antwort ist einfach:
Um die jahrzehntelange Diskriminierung von Fußgängern und Radfahrern zu beseitigen. Geben Sie endlich die menschenverachtende Illusion von der „Autostadt Bochum“ auf und machen Sie Ihre Hausaufgaben.«


3 Gedanken zu “Radwege für Radfahrer:innen und nicht für Autofahrer:innen

  • Rollerfreak

    Meine alte Mutter (88) versteht nicht warum die Fahrradfahrer:innen von heute keine Schienen überqueren können. Das konnte sie auch ohne Abitur und ohne brimbaborium. Jeden Tag über die Herner Straße, Hans-Böckler-Straße, Alleestraße zur Arbeit. Ãœberall Schienen, die gequert werden mussten…und bis heute Fahrradunfallfrei…

    „Warum hat das so lange gedauert? Warum nicht gleich so?
    ***den folgenden Absatz durfte Klaus Kuliga nicht vortragen***“
    Weil es nichts mit dem eingereichte GO Antrag zu tun hatte ! Der kommt erst noch. Huch….

    • Fahrradhölle

      In der Generation meiner Eltern (Mutter 84J, Vater mit 80J. verstorben) war Fahrradfahrer ein Schimpfwort. Manchmal hörte ich als Kind, wenn einer den anderen beleidigen wollte: „Du Fahrradfahrer“. Nur arme Schlucker fuhren mit dem Fahrrad. Ich durfte schon mit 8J. Auto fahren. Allerdings sahs mein Vater auf dem Beifahrersitz und kontrollierte meinen Fahrstil, ich kam mit den Füßen kaum an die Pedalen. Auch achtete er immer darauf das keine Polizei in der Nähe war. So lernte ich direkt nach dem Fahrrad fahren das Auto fahren. Als junger Mensch machte ich natürlich wie alle Anderen den Kfz-Führerschein. Mit diesem Schein darf ich auch heute noch einen 7,5 t schweres Fahrzeug (kleinerer LKW) fahren. Man wollte Autofahrer/innen erziehen und hat sie auch bekommen (!).
      Das ganze heutige Autospektakel wird erst langsam verschwinden, bzw. sich abmildern wenn meine Generation dahin geschieden ist, also in etwa 20 Jahren. So lange geht die Party also noch unvermindert weiter, und Radfahrer/innen bleiben eine Straßenranderscheinung, is so.

  • Bernd

    Ich hoffe, dass Deine Mutter nicht nur die Schienen gemeistert hat, sondern die Bochumer Fahrradhölle insgesamt unfallfrei überstanden hat. Wahrscheinlich haben mehr als 99 Prozent der Bochumer:innen keinen „Schienenunfall“. Die Zivilisation der Menschheit ist aber soweit fortgeschritten, dass sie Deinen brutal-liberalen Ansatz „selber schuld“ nicht mehr teilt, sondern dort, wo Menschen zu Schaden kommen, bemüht ist, die Ursachen zu beseitigen. Deine tüchtige Mutter hätte wahrscheinlich auch überlebt, wenn es in Wohngebieten keine Geschwindigkeitsbeschränkungen für Autos gäbe.

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