Samstag 25.02.23, 18:29 Uhr

Verantwortung für einen Kompromissfrieden


Ralf Feldmann, Friedensplenum

Eine Rede mit lautstarker Gewissheit, die Lösung zu haben, soll dies nicht werden. Ich hoffe, euch leise zu erreichen: Die Opfer des grausamen Krieges müssen im Mittelpunkt stehen. Sie sind der Anknüpfungspunkt für alle Überlegungen. Ein Jahr Krieg in der Ukraine, ein Jahr Schlachten mit schwersten Waffen. Putins Rückfall in die Barbarei des Krieges bringt Tod und Verderben über die geschundenen Menschen in der Ukraine. Schlachten ist wörtlich zu nehmen. Menschen werden zu Tausenden geschlachtet: Hunderttausende Opfer auf beiden Seiten, die Zahl des Bundeskanzlers. Das sind nicht nur Zahlen, sondern Menschen, die grausam sterben. „Ich will, dass das endlich aufhört“, schrie ein Verzweifelter in Mariupol vor den Leichensäcken eines Massengrabes in die Fernsehkameras, „egal, wer da oben regiert.“ Genau darum geht es ein Jahr nach Kriegsbeginn: dass das endlich aufhört! Das ist nicht nur Sache Russlands und der Ukraine. Wer wie Deutschland Waffen liefert, hat eine besondere, eigene Verantwortung dafür, dass der Krieg endlich aufhört. Mit Kompromissen. Jetzt, nicht irgendwann.

Tagtäglich aber werden mehr und noch effizientere Waffen verlangt und geliefert. Wir wollen das nicht. Demnächst womöglich Kampfjets und weiter reichende Raketen, wenn nicht sogar geächtete Streu- und Phosphorbomben. Wie lange noch? Wie viele Tote noch? Und für welche Kriegsziele überhaupt? Das sind die entscheidenden Fragen. „Hilfe, solange die Ukraine sie braucht“ ist die Formel, hinter der sie sich verstecken. Hilfe wozu? Für das illusorische Ziel, alle russisch besetzten Gebiete zurückzuerobern bis hin zur Krim? Dieser Krieg ist Krieg auf den atomaren Endzeit-Arsenalen in Ost und West. Die sind geeignet, die Welt mehrfach in Schutt und Asche zu legen. UN-Generalsekretär Guterres sagte jüngst vor der UNO-Vollversammlung in Anspielung auf den Beginn des Ersten Weltkrieges: „Ich befürchte, die Welt schlafwandelt nicht in einen größeren Krieg hinein – ich befürchte, sie tut dies mit weit geöffneten Augen.“ Das Risiko eines Atomkrieges sei so hoch wie seit Jahrzehnten nicht. Mehr als die Hälfte unserer Bevölkerung teilt diese Furcht. Unsere Angst ist realistisch. Sie eskalieren und spielen mit unserer Existenz.

Deshalb: Vernunft, Realitätssinn und Diplomatie sind jetzt lebensnotwendig. Schluss mit dem Schlachten, Verhandlungen ohne Vorbedingungen! China fordert heute zum Jahrestag des Krieges in einem 12-Punkte-Papier einen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen. Verlangt werden auch das Ende der westlichen Sanktionen gegen Russland, Maßnahmen zur Sicherung von Atomanlagen, die Einrichtung humanitärer Korridore zur Evakuierung von Zivilisten sowie Schritte zur Sicherstellung des Getreideexports. Souveränität, Unabhängigkeit und territoriale Integrität aller Länder sollen effektiv garantiert werden. China wolle „chinesische Weisheit“ zur Verfügung stellen, um eine politische Einigung zu erwirken. Die Bundesregierung darf das nicht vom Tisch wischen. Die chinesische Initiative gibt Hoffnung für die Menschen in der Ukraine.

Bisher setzten beide Seiten auf weiteres Blutvergießen, nicht nur der russische Aggressor, auch die ukrainische Führung, die Verhandlungen per Dekret ja verbietet. Präsident Selenskyj hatte nun einen chinesischen Friedensplan schon vor dessen Veröffentlichung begrüßt. Er sprach von einem wichtigen ersten Schritt. Die Bundesregierung muss das unterstützen und jetzt ihrerseits endlich konkrete diplomatische Initiativen für einen Waffenstillstand und für Friedensverhandlungen ergreifen. Das ist ihre eigene Verantwortung für den Frieden, davor darf sie sich nicht wegducken. Die Außenministerin setzte ja bisher nicht auf Diplomatie. Sie beschwört militärische Stärke, nukleare Abschreckung, erklärte sich ohne Scheu gegen Russland im Krieg, warnt vor Kriegsmüdigkeit, egal, was deutsche Wähler von ihr denken, sagte sie. Es gab auch schon Friedensinitiativen aus Italien, Mexiko, der Union Afrikanischer Staaten, aus Brasilien. Wir fordern konkrete Friedensvorschläge aus Deutschland. Jetzt!

Verhandlungen erfordern Bereitschaft zu Kompromissen, Maximalforderungen sind dabei verhandelbar. Diplomatische Initiative heißt jetzt Aufruf an alle Beteiligten zum Kompromissfrieden. Am Ende des Krieges wird weder die Ukraine ein Teil Russlands sein noch werden alle zurzeit russisch besetzten Gebiete wieder zur Ukraine gehören. Das ist die realistische Perspektive. Wer daran zweifelt, muss sagen, wie lange er für seine maximalen Ziele noch kompromisslos Krieg führen will und wie viele Menschen noch sterben sollen für alles oder nichts. Die Bundesregierung steht jetzt in der Verantwortung, das eigene deutsche und europäische Interesse an einem Kompromissfrieden zum Ausdruck zu bringen. Sie darf unser Land, Europa und die Welt nicht weiter in einen endlosen Krieg verstricken. Zu gewinnen gibt es nichts außer Frieden. Den chinesischen Vorschlag ernst nehmen, Diplomatie und Verhandeln jetzt!