Sonntag 04.12.22, 13:27 Uhr

Nachruf auf Uwe Jakomeit (9.9.1957-7.11.2022) 2


von Christoph Jünke

Lieber Uwe,

Uwe Jakomeit 2003 (1)

35 Jahre sind im menschlichen Leben keine kurze Zeit – und uns verbindet eine immerhin 35-jährige Freundschaft. Wenn ich mich zu erinnern versuche an diese 35 Jahre, so erinnere ich mich an Dich als einen ruhigen, aber bestimmten Mann, an Deine wachen Augen und Dein immer interessiertes Lächeln. Ich erinnere mich an Deine alte Hinterhof-Butze in der Wittener Südstr. – urig klein und vollgestellt mit Büchern und mit Schallplatten.

Und ich erinnere mich an Deinen alten VW-Bulli, mit dem wir in den späten 1980ern durch die Republik gepilgert sind – mal in irgendein provinzielles Hinterland, weil wir dort irgendein politisch-philosophisches Leseseminar abhielten, und mal bis nach Berlin, wo wir als linke Kleingruppe zur Berliner Volksuni fuhren, um in größerem Rahmen zu diskutieren und zu politisieren; mal nach Marburg, weil wir dort politisch-intellektuelle Größen aufsuchten, und mal zur Frankfurter Buchmesse, um Kontakt mit großen Verlagen aufzunehmen. Politisiert und diskutiert haben wir damals viel und zum Teil heftig, ob bei den Bochumer „Roten Studis“, als wir eine langjährige, selbst organisierte und bundesweit beachtete Vorlesungsreihe an der Ruhr-Uni veranstalteten, oder im Bochumer AStA, wo wir im Übergang zu den 1990ern dem Weltgeist eine organisatorische Form zu geben versuchten.

Nicht das Persönlich-Private war es also, das unsere Freundschaft geprägt hat (dieser Aspekt kam erst recht spät und zaghaft), sondern das Politische, das Gesellschaftliche, das gemeinsame Ziel. Und zusammengehalten wurde dieses gleichsam rote Band durch jenen Dritten, der uns verbunden hat, durch den Sozialphilosophen und Gesellschaftstheoretiker Leo Kofler. Leo Kofler war ein überaus origineller und uns alle anregender marxistischer Theoretiker, der an der Bochumer Universität Soziologie, Ästhetik und Geschichte lehrte; ein sozialistischer Humanist, der ebenso die Kommunisten ob ihres tief sitzenden stalinistischen Bürokratismus kritisierte wie er die Sozialdemokraten für ihre weitreichende Anpassung an die spätbürgerlichen Verhältnisse angriff. Kofler dagegen war ein Denker, der daran festhielt, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist – und er stieß damit auf offene Ohren bei uns jungen Wilden.

Bereits in den 1950er Jahren war Kofler ein Vordenker jener „Neuen Linken“, die dann in den „roten siebziger Jahren“ auch uns alle nachhaltig prägte. Und er gab dieser Neuen Linken – nur wenige Wochen übrigens, nachdem Du im Jahre 1957 geboren wurdest – einen eigenartigen Namen. Er nannte sie – und damit auch uns – die „progressive humanistische Elite“ und sah in ihr eine historisch neuartige und eigenständige Schicht des gesellschaftspolitischen Übergangs, eine neue Form des Nonkonformismus. „Der renitente Hochschullehrer, der kritische Volkshochschuldozent, der Mitarbeiter an den wenigen oppositionellen [publizistischen] Organen, die es noch gibt, der Beamte, der nicht in allem mitspurt, der Betriebsrat, der nicht zu allem ja sagt, der Zuhörer, der gelegentlich aufsässig diskutiert, der politisch Interessierte, der Veranstaltungen mit bekannten Oppositionellen organisiert, der Schüler, der die Meinung seines Vaters ausplaudert und den Lehrer in Verlegenheit bringt, der Priester, der die Bibel progressiv auslegt usw.“ – so beschreibt Kofler jene in sich heterogene, widersprüchliche und unbeständige progressive Avantgarde, die sich dem Establishment verweigert und den Nonkonformismus im sogenannten Kleinen betreibt, und die dabei immer wieder hin und her schwankt zwischen Humanismus und Nihilismus, zwischen Pessimismus und Optimismus.

Der gelegentlich aufsässig diskutierende Zuhörer; der Bildungs- und Aufklärungsveranstaltungen organisierende homo politicus; der engagierte und zur Renitenz ermutigende Sprachlehrer und Erwachsenenbildner – das warst Du, lieber Uwe! Und in gewissem Sinne auch ein die Bibel progressiv auslegender Priester. Es war dieser linksalternative Nonkonformismus, der uns als „Rote Studis“ verband, der Dich in den 1990ern die ersten „roten ruhr-unis“ organisieren ließ und uns dann, nach Koflers Tod 1995, die Leo Kofler-Gesellschaft hat gründen lassen, die Dir so viel zu verdanken hat.

Wenn ich mich also frage, welche Begriffe ich mit Dir verbinde, dann sind es vor allem solche Wörter wie Individualität und Eigensinn. Eine humanistische Wärme und Freundlichkeit verbinde ich mit Dir, die gepaart war auch mit Verschlossenheit und gelegentlich halsstarriger Renitenz. Eros und Askese, diese Schlüsselwörter des Koflerschen Denkens, sind auch Schlüsselworte Deiner Persönlichkeit gewesen, sein Hang zur emanzipativen Utopie auch Deiner, seine unbestechliche Sehnsucht nach humanistischer Freiheit auch Deine. Koflers kritischer Blick auf den bürgerlich-kapitalistischen Alltag, auf Prozesse der Entfremdung und Verdinglichung, war auch Dein Blick, bzw. unser. Und dass wir selbst dabei nicht frei waren von ideologischen Verbohrtheiten, das würdest Du, wenn Du noch unter uns weilen könntest, mit jener ironischen Gebrochenheit freimütig zugeben, die Kofler als typisch für die „progressive Elite“ erachtete.

„Auch der Hass gegen die Niedrigkeit verzerrt die Züge“, so Bert Brecht in einem seiner berühmten Gedichte. Leo Kofler hat dieses Gedicht explizit für sich reklamiert. Und auch Du warst ein leidenschaftlicher Verehrer Bertolt Brechts (neben Rio Reiser natürlich). Das letzte Mal, dass wir gemeinsam zusammensaßen und diskutierten und politisierten – Du warst von Deiner Dich körperlich auffressenden Krankheit schon stark gezeichnet und überwiegend still an diesem Abend –, hast Du plötzlich die Stimme erhoben und viele, viele Minuten lang ein wirklich langes Brecht-Gedicht auswendig rezitiert. Du wolltest uns deutlich machen, dass Du mit Deinem Kopf noch da warst und nicht aufzugeben gedachtest. Und als ich Dich das letzte Mal im Krankenhaus besuchte – Du warst Deiner ganzen Kraft und Sprache bereits beraubt –, da erinnerte ich Dich an Brecht und sprach von der verrückt gewordenen Welt um uns herum. Du hast mich festgehalten und gelächelt – mit jenem ironisch gebrochenen Lächeln, das uns all die Jahre verbunden hat, und das mir in Erinnerung bleiben wird.

Uwe Jakomeit und Leo Kofler Anfang der 90-er Jahre …………………. Foto: copyright: Leo Kofler-Gesellschaft

Christoph Jünke lebt und arbeitet als Historiker in Bochum und ist Vorsitzender der Leo Kofler-Gesellschaft e.V.
http://www.leo-kofler.de/

(1) copyright: Kölner Arbeiterfotografie


2 Gedanken zu “Nachruf auf Uwe Jakomeit (9.9.1957-7.11.2022)

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    Nein, dieser Mensch ist ja nur ein paar Jahre vor mir geboren worden.
    Die Einschläge kommen immer näher, Schluck.
    ;-) Egal, ich weiß
    „ Das Leben ist zu wichtig, um es ernst zu nehmen. “ … Oscar Wilde
    ;-)

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