Samstag 05.11.22, 13:15 Uhr
Mahnwache gegen die Inhaftierung von Sebnem Korur Fincanci am 31.10.2022

Rede von Bianca Schmolze, Menschenrechtsreferentin der MFH Bochum


Ein herzlicher Dank an alle Anwesenden und ein besonderes Dankeschön an alle, die diese Mahnwache heute möglich gemacht haben, vor allem danken wir dem Schauspielhaus Bochum, dass wir hier heute aktiv sein dürfen.Wir haben uns heute hier versammelt, um die willkürliche Inhaftierung von Sebnem Korur Fincanci letzte Woche Mittwoch zu verurteilen. Leider war diese Festnahme keine Überraschung für uns… umso wütender und besorgter waren wir, als wir am vergangenen Mittwochvormittag von ihrer Festnahme erfuhren.

Vielleicht kennen viele von Euch hier Sebnem gut, doch für all jene, die sie nicht kennen, möchte ich kurz präsentieren, wer Sebnem Korur Fincanci ist, und warum sie eine international so anerkannte Menschenrechtlerin und Vorkämpferin ist im Kampf gegen Folter und für Wahrheit und Gerechtigkeit.

Die MFH Bochum arbeitet bereits seit vielen Jahren eng zusammen mit Sebnem. Kennengelernt haben wir sie als wir Mitglied des International Rehablitation Council for Torture Victims wurden. Heute ist sie uns eine enge Freundin!

Şebnem Korur Fincancı ist nicht nur eine der bekanntesten Menschenrechtsaktivistinnen der Türkei, sondern Vorsitzende der türkischen Ärztekammer sowie international anerkannte Gerichtsmedizinerin, die ihre Arbeit stets der Aufklärung von Verbrechen gegen die Menschheit und Kriegsverbrechen weltweit gewidmet hat.

Im Jahr 1996 untersuchte Sebnem im Auftrag des Internationalen Strafgerichtshofs der Vereinten Nationen Massengräber in Bosnien. Sie arbeitete mit der Weltgesundheitsorganisation an einem Handbuch über sexuelle Gewalt gegen Frauen und untersuchte Todesfälle in Haft in Bahrain, Israel und auf den Philippinen, während sie in mehreren Ländern rechtsmedizinische Berichte für Überlebende von Folter erstellte.

Neben ihrer Funktion als Vorsitzende der Menschenrechtsstiftung ist Sebnem eine der Autorinnen des Istanbul-Protokolls, dem einzigen von der UN anerkannten Manual zur interdisziplinären Untersuchung und Dokumentation von Folterfolgen. Damit unterstützte sie weltweit unzählige Folterüberlebende, die erstmals durch eine interdisziplinäre Begutachtung gerichtsfeste Beweise in Händen hielten über das Unrecht, das ihnen widerfahren ist. Für ihre Arbeit im Kampf gegen Folter erhielt sie u.a. 2018 den Hessischen Friedenspreis. Gemeinsam mit Sebnem realisierten wir mehrere Trainings zum Istanbul Protokoll.

Die jetzige Festnahme ist leider nicht ihre erste.
Im Jahr 2016 wurde Sebnem mit Erol Önderoğlu und Ahmet Nesin festgenommen und war zehn Tage im Polizeigewahrsam. Die Festgenommenen hatten bei einer Solidaritätsaktion pro forma die Leitung der prokurdischen, oppositionellen Zeitung Özgür Gündem übernommen. Die MFH war damals im Gerichtsaal in Istanbul um ihren Prozess zu beobachten.
Die internationale Solidarität und die Intervention des UN Generalsekretärs führten dazu, dass Sebnem nach 10 Tagen wieder frei kam.

2018 folgte dann eine 2,5-jährige Haftstrafe wegen der Unterzeichnung des Aufrufs „Akademiker für den Frieden“. Sebnem ging in Berufung, noch heute ist das Verfahren nicht abgeschlossen.

Am 26. Oktober 2022, letzte Woche Mittwoch, wurde Sebnem am Vormittag in Istanbul verhaftet, nachdem die Polizei eine Hausdurchsuchung bei ihr zu Hause vornahm. Sie wurde dann nach Ankara überführt, wo sie am Morgen des 27.10. dem Gericht überstellt wurde, nachdem sie von der Staatsanwaltschaft vernommen wurde. Seither sitzt sie in Untersuchungshaft und wartet auf ihre Anklage.

Noch am Wochenende zuvor war sie in Köln als Rednerin auf der „Konferenz der Betroffenen“ und kritisierte die miserablen Haftbedingungen in der Türkei, vor allem die mangelhafte medizinische Versorgung in Gefängnissen wo regelmäßig Misshandlungen und Folter dokumentiert werden, insbesondere bei politischen Gefangenen. „Es ist schwer ein Mensch in der Türkei zu bleiben und die Würde zu bewahren“, so Sebnem.
Dort erzählte sie mir von einem Interview, dass sie wenige Tage zuvor gegeben hatte, als sie in Berlin war.

Gegenüber Medien sprach Sebnem über den möglichen Einsatz von chemischen Kampfstoffen bzw. Giftgasen durch die türkische Armee und forderte eine internationale, unabhängige Untersuchungskommission. Nicht zum ersten Mal machte Sebnem auf Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit aufmerksam, die das türkische Militär in kurdischen Gebieten zu verantworten hat. Seit 2016 gibt es zahlreiche Verfahren gegen Sebnem aufgrund ihrer solidarischen Haltung gegenüber Kurd*innen, die ihre Menschenrechte einfordern. Die türkische Justiz wirkt hier als Marionette der Regierung, um Oppositionelle wie Sebnem mundtot zu machen und in Knästen einkerkern zu können.

Nun wird ihr „Propaganda für eine Terrororganisation“ vorgeworfen sowie „Beleidigung der türkischen Nation“. Seit Wochen gibt es eine regelrechte Hetzkampagne durch türkische Rechte gegen Sebnem, nachdem sie eine internationale und unabhängige Untersuchung über den möglichen Einsatz von Chemiewaffen in kurdischen Gebieten eingefordert hat. Im Fernsehen und in Zeitungen wird sie diffamiert. Zudem will die Regierung sie ihres Amts als Vorsitzende der Ärztekammer entheben, manche fordern, ihr die türkische Staatsbürgerschaft zu entziehen.

Nun ist Sebnem bereits den 6. Tag in Haft. Die internationale Solidarität ist absolut beeindruckend. Schon am zweiten Tag der unrechtmäßigen Haft forderten die UN-Sonderberichterstatter zu Folter und Menschenrechtsverteidiger:innen ihre sofortige und bedingungslose Freilassung. So auch die großen internationalen Menschenrechtsorganisationen und Ärzt:innenvereinigungen. Doch darf diese Solidarität nicht verblassen. Wir fordern auch von der Politik, alles für die Freilassung von Sebnem zu tun. Es ist nicht hinnehmbar, dass Erdogan sich international profilieren kann im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine, während er zur gleichen Zeit versucht, jegliche Opposition gegen seine Regierung zu unterbinden und Kurd*innen systematisch und über die Grenzen der Türkei hinweg zu bekämpfen. Wer Verbrechen gegen die Menschheit und Kriegsverbrechen begeht, dem darf man in der Weltpolitik nicht ein solches Gewicht verleihen.

Wir fordern daher die sofortige und bedingungslose Freilassung von Sebnem Korur Fincanci. Doch das ist nicht alles, wir fordern ein Ende der willkürlichen Inhaftierung, Misshandlung, Folter und weiterer schwerer Menschenrechtsverletzungen durch den türkischen Staat gegen Oppositionelle. Alle politischen Gefangenen in der Türkei müssen frei kommen!