Sonntag 25.09.22, 08:00 Uhr
Kundgebung zur Klimastreik Demo von Fridays for Future am 23.9.2022 in Bochum

Redebeitrag von Scientists for Future (S4F)


Guten Tag alle zusammen.

Ist es nicht das, was wir uns alle wünschen? Einfach mal wieder einen guten Tag zu haben. Einen Tag ohne Sorgen, Katastrophen, Weltuntergang. Ich weiß nicht, wann Ihr den letzten guten Tag hattet, aber ich hatte seit dem 24.02. keinen mehr. Mein Fachgebiet ist die Heizungstechnik, also Wärmeversorgung und das macht gerade so gar keinen Spaß. Kurz nach Kriegsausbruch sagte der russische Ex-Präsident und einer der engsten Putin-Vertrauten Medwedev: „Willkommen in einer schönen neuen Welt, wo die Europäer 2.000 € pro Kubikmeter Erdgas bezahlen dürfen.“ „Willkommen in einer schönen neuen Welt, wo Du Dir Dein … Erdgas sonst wo hinstecken kannst.“ Ist mir spontan als Antwort durch den Kopf gegangen, nur beim Wort Erdgas ist mir schon eingefallen, wie viel wir davon in Deutschland verbrauchen, und wie abhängig wir von den russischen Erdgaslieferungen sind. Mein nächste Gedanke war: “Oh Kacke, das wird heftig.“

Ich kann Euch versichern, jeder Scientist aus dem Bereich arbeitet seit Kriegsausbruch an seiner Belastungsgrenze. Kriegt man nicht viel von mit, ist aber so. Schon am 17.03.2022 hat S4F-Deutschland eine Stellungnahme mit dem Titel: „Wärmewende gegen Erdgasabhängigkeit“ veröffentlicht. Die steht bei S4F-Deutschland auf der Homepage, kann jeder lesen, der Internet hat und sollten viele mal lesen, die Internet haben, dann würde deutlich weniger Blödsinn geschrieben.

Damit wir alle die selben Informationen haben, fasse ich mal kurz zusammen. Vor Kriegsausbruch haben wir 55% unseres Erdgases aus Russland bekommen, 5% fördern wir in Deutschland selber, 8% kommen aus den Niederlanden, die restlichen 32% beziehen wir aus Norwegen. Die Niederländer und Norweger liefern uns alles, was sie können, also da empfangen wir Deutschen gerade europäische Solidarität.

Im Jahr 2020 ging 66% des Erdgases in die Wärmeerzeugung, nicht ganz 19% in die Stromerzeugung, die restlichen 15% überwiegend in die stoffliche Nutzung inkl. Wasserstoffproduktion. Ja, fast die gesamte Wasserstoffproduktion in Deutschland basiert derzeit auf Erdgas und es wird noch einige Jahre dauern, bis sich das nennenswert ändert.

Das sind also die Fakten, aber was machen wir damit. Ich möchte heute über 3 Dinge reden:

1. Was hilft

2. Was hilft nicht

3. Was schadet

Das Richtige tun, das Falsche lassen, mit nutzlosen Dingen keine Zeit verschwenden.

1. Was hilft:

Wenn auf einmal bis zu 55% der Erdgasversorgung wegbrechen, kann man das Problem auf zwei Wegen lösen. Erstens man sucht sich neue Lieferanten. Zweitens man reduziert den Verbrauch. Wenn wir den Verbrauch wirklich reduzieren wollen, müssen wir uns um die Wärmeversorgung kümmern, Strom ist da gar nicht so entscheidend. In der öffentlichen Diskussion, insbesondere in den Talk-Shows höre ich aber immer nur, wie um alles in der Welt sollen wir das teure Erdgas nur bezahlen und wann wird das Erdgas wieder billiger. Meistens kommen dann noch irgendwelche Spar-Tipps. die man sich bei jeder Verbraucherzentrale besser holen kann. Wir haben in Bochum eine tolle Verbraucherzentrale, nutzen Sie das Angebot. Einen kleinen Info-Flyer haben wir von S4F-Bochum auch erstellt, den können Sie sich am fff-Stand abholen.

Was mich wundert ist: Einen Heizungs-Experten hab ich noch nie in einer Talk-Show gesehen. Wie wäre es denn, wenn wir etwas, das Erdgas verbraucht, durch etwas ersetzen, das kein Erdgas verbraucht. Wenn wir kein Erdgas mehr brauchen, ist es auch egal, was das Zeug kostet und jede Verbrauchsreduzierung senkt den Preis. Aus Klimaschutzgründen müssen wir sowieso von den fossilen Energieträgern runter. Erdgas ist ein fossiler Energieträger und fossile Energieträger haben keine Zukunft. Erdgas ist also nicht zukunftsfähig. Können wir uns beim Klimaschutz nicht ausnahmsweise mal beeilen?

Jedes vernünftige Forschungsinstitut auf dem Gebiet hat Zukunftsszenarien für eine klimaneutrale, nachhaltige, fossilfreie Wärmeversorgung. Die unterscheiden sich etwas voneinander, die Kernaussage ist aber überall gleich. Die Wärmeversorgung der Zukunft wird zum größten Teil durch Wärmepumpen erfolgen, ergänzt durch Solarthermie, Bioenergie, tiefere Geothermie und auch etwas Wasserstoff, davon aber nur so wenig wie möglich. Den brauchen wir in anderen Anwendungen dringender.

Also: „Lasst uns die Erdgaskessel rausreißen und durch was Zukunftsfähiges ersetzen.“ Können wir daraus nicht eine Chellenge machen? Jeder Heizungsbauer, der einen Erdgaskessel ausbaut und durch ein nicht-fossiles Heizsystem ersetzt, postet davon ein Foto mit der Überschrift: Deutschland 1 : Gasporm -1. Bei 100 gibt es einen Putin-Patscher in Bronze usw…

Mein wissenschaftlicher Lösungsansatz wäre: Wir machen eine Liste mit allen Erdgasheizungen in Deutschland, fangen bei der ältesten an, dann die zweitälteste usw. und das machen wir solange, bis wir mit der Liste fertig sind. Aus Datenschutzgründen wird das nicht gehen, aber so sieht die Lösung aus.

Jetzt kommt die gute Nachricht: Wir haben die Technik.

Ich hatte die Möglichkeit, mich am 13.07.2022 bei einem der führenden Wärmepumpenforscher Deutschlands über den aktuellen Stand der Technik zu informieren. Und der erzählte uns, dass selbst ein unsanierter Altbau mittlerweile ohne Probleme durch eine Wärmepumpe beheizt werden kann und unterlegt diese Behauptung mit einem einjährigen Feldtest an dem 41 Bestandsgebäude teilgenommen haben. Also Wärmepumpe geht nur mit Fußbodenheizung war vor 10 Jahren richtig. Heute nicht mehr. Moderne R290 (Propan) Wärmepumpen ermöglichen schon für Einzelgebäude Vorlauftemperaturen von 70°C. Wärmepumpen für Quartierswärmenetze schaffen 90°C und Großwärmepumpen für Industrie und Fernwärme gehen knapp über 130°C. Wir haben die Technik, wir wenden sie nur zu selten an. 2021 waren 70% der verkauften Heizungen Gaskessel und nur 17% Wärmepumpen. Das müssen wir ändern. So schnell wie möglich. Was am Ende der Wärmewende rauskommt, kann besser sein, als alles, was wir jemals hatten. Wenn wir es nicht versauen.

2. Kommen wir zu dem, was nicht hilft: Atomkraftwerke

Leute, ich will nicht über Atomkraftwerke reden. Ich will über Wärmepumpen, insbesondere die kostengünstige Großserienfertigung von Wärmepumpen in Deutschland reden, über Solarthermie, über Bioenergie, über tiefe Geothermie über kommunale Wärmeplanung, über Quartierswärmenetze, über warmmietenneutrale Gebäudesanierung, aber nicht über diese … Atomkraftwerke.

Aber, da gefühlt nur noch über Atomkraftwerke geredet wird und das am lautesten von Menschen, die ihre Informationsquellen nicht sonderlich sorgfältig zu prüfen scheinen, mache ich das mal. Ihr müsst Euch das ja auch anhören.

In der Wissenschaft darf man Annahmen treffen. Und das nutze ich jetzt mal schamlos aus als kleinen Ausgleich dafür, was wir in den letztem Monaten alles ertragen mussten.

Also, meine völlig unrealistische Annahme: Es ist wieder Bundestagsdebatte und ein glühender Atomstrombefürworter redet sich so richtig in Rage und brüllt und schimpft und pöbelt und auf einmal macht es Puff und es erscheint eine gute Fee. Die fliegt zu ihm hin und sagt: „Alter Du nervst!“ Wer das ist, darf sich jeder von Euch selber aussuchen. Ich darf als Scientist niemanden persönlich beleidigen, also freie Auswahl. (Als gute Fee stelle ich mir übrigens Oliver Kalkhofe vor.) Die gute Fee weiter: “Dein Gelaber ist so unerträglich, ich mache Dir ein Angebot.“ Du hast 3 Wünsche frei, wenn Du danach 1 Jahr die Klappe hältst, nur noch nette Dinge sagst, oder konstruktive wissenschaftsbasierte Lösungsvorschläge einbringst. Deal? Deal.

Die drei Wünsche sind:

1. Alle 3 deutschen Atomkraftwerke durchlaufen eine vollständige Sicherheitsüberprüfung, nach der sie in einwandfreien Zustand sind. Insbesondere bei Neckarwestheim 2 ohne Zauberstab undenkbar.

2. Es macht Puff und in den Lagern der Atomkraftwerke liegen nagelneue Brennstäbe und zwar genau die, die die Atomkraftwerke brauchen.

3. Die Bundesregierung verlängert die Laufzeit der Atomkraftwerke.

Wie viel Erdgas würde diese Gute-Fee-Szenario einsparen?

Ganz genau kann das niemand sagen, weil das auch witterungsabhängig ist und ganz viele andere Faktoren Einfluss auf das Ergebnis haben, aber im Höchstfall vielleicht 1%.

Warum, ist das so wenig.

Erstmal 66% des Erdgases gehen in die Verbrennung zur Wärmeerzeugung. Da hilft Strom nicht.

Dann gehen um 15% in die stoffliche Nutzung und Strom ersetzt keine Moleküle.

Bleiben die 19% die in die Stromversorgung gehen, wobei das 2020 war. Das dürfte mittlerweile etwas weniger geworden sein.

Aber da kann Strom tatsächlich Erdgas ersetzen.

Fast die Hälfte der Fernwärmeerzeugung in Deutschland erfolgt durch Erdgas. Gaskraftwerke, die in ein Fernwärmenetz einspeisen, müssen vor allem im Winter laufen, um die Wärmeversorgung sicher zu stellen. Da hilft Atomstrom auch nicht.

Dann sind viele Gaskraftwerke Spitzenlastkraftwerke. Das sind Gasturbinenkraftwerke, die sehr schnell an und wieder ausgehen. Das können Atomkraftwerke am aller wenigsten. Von allen Kraftwerken, die es gibt, sind Atomkraftwerke die langsamsten. Das einzige, was Atomkraftwerke können, ist den Sockel, auf dem die Spitzenlastkraftwerke an und aus gehen, ein bisschen nach oben verschieben und das bringt eben maximal 1%.

Wieso jetzt so ein Getöse um das eine Prozent? Ich finde es viel wichtiger, wo wir die restlichen 54% schnellstmöglich herbekommen. Für die Leute, die jetzt sagen: 1% ist besser als kein %. Lass uns doch das eine % nehmen und dann sehen wir weiter, hätte ich noch einen kleinen Hinweis. In dieser Realität haben wir keine gute Fee.

Ganz ehrlich, das gute Fee Szenario ist eine reine Verzweiflungstat, weil ich kein realistisches Szenario erstellen kann, in dem die Atomkraftwerke einfach so weiterlaufen. Das geht nicht. Und das zu behaupten. ist hochgradig unseriös, womit wir beim nächsten Thema wären.

3. Was schadet: Desinformation

Atomkraftwerke hatten wir gerade. Dass es erkenntnisresistente Politiker gibt, ist ja nichts neues. Aber, was mir wirklich Sorgen bereitet ist, dass es offenbar gelungen ist, einen nennenswerten Teil der Bevölkerung davon zu überzeugen das das 2011 beschlossene, planmäßige Abschalten von 3 Atomkraftwerken den Untergang der deutschen Wirtschaft zu Folge hätte. Wie geht das? Wie ist so etwas möglich? Ich verstehe es nicht. Das hat nichts mit der Realität zu tun, aber anscheinend glauben das genug Menschen, dass Ausschreitungen befürchtet werden müssen, wenn die neue Bundesregierung einfach bei dem Plan bleibt. Mit sinnlosen Diskussionen wertvolle Zeit zu verschwenden, ist nicht hilfreich.

Über eine Desinformation müssen wir auch noch reden: “Wir brauchen nur Nord Stream 2 in Betrieb zu nehmen, da kommt dann ganz viel billiges Erdgas raus und alles ist wieder gut.“

Ich zitiere REZO: “Es tut körperlich weh, so dumm ist das.“ Wir haben 3 funktionsfähige Pipelines die von Russland nach Deutschland führen. Soyus, Yamal und Nord Stream 1. Diese 3 Piplines waren bisher völlig ausreichend, um Deutschland und weite Teile Europa mit Erdgas zu versorgen. Bis vor einem Jahr sogar zu einem Börsengaspreis um 2 Cent/kWh. Es macht keinen Unterschied, ob die Kriegsverbrecher im Kreml durch 3 oder 4 Piplines kein Gas schicken.

Ich mache mir keine Sorgen, dass wir die Energiewende nicht schaffen, die Technik haben wir und sie wird immer weiter verbessert. Ich mache mir auch keine Sorgen, dass Energie längere Zeit unbezahlbar bleibt. Die Erneuerbaren sind so günstig, die drücken die Preise von ganz alleine wieder nach unten, wenn wir sie weit genug ausgebaut haben. Was mir Sorgen bereitet ist, dass so viele Desinformation über die Menschen gekippt werden, das zu viele so verwirrt sind, dass sie Fehlentscheidungen treffen, und wir die Umsetzung nicht schnell genug hinbekommen.

Abschluss:

Ich hab eingangs gesagt, dass ich schon lange keinen guten Tag mehr hatte. Das stimmt auch. Ich weiß aber, wann ich wieder einen haben werde. Wenn sich irgend jemand von unserer Bundesregierung vor die Kamera stellt und sagt: “Unsere gemeinsamen Bemühungen waren erfolgreich. Wir können den Sanktionen ein Gasembargo hinzufügen.“ Das wird ein guter Tag.

Danke für das Zuhören, ich wünsche Euch allen noch einen schönen Tag.
Helge, S4F-Bochum