Samstag 24.09.22, 15:54 Uhr
Redebeitrag von Juli auf der Kundgebung des Landesverband Psychiatrie-Erfahrener NRW am 23. 9. 22 in Bochum

Die Hemmschwelle zur Nutzung einer Waffe sinkt


Wir vom Landesverband Psychiatrie-Erfahrener NRW haben heute hier zur Kundgebung aufgerufen, um gegen den Einsatz von Distanz-Elektro-Impuls-Geräten (kurz: Taser) bei der Bochumer Polizei und anderswo zu demonstrieren. Lange wurden sie nur von Spezialeinheiten der Polizei genutzt. Mehr und mehr werden sie jedoch im normalen Polizeidienst eingesetzt. In Dortmund, Essen, Düsseldorf, Duisburg und Köln wurde seit 2021 die Taser Nutzung für NRW„getestet“. Zwölf weitere NRW-Städte darunter Aachen, Bochum, Gütersloh, Münster und Wuppertal sowie Teilen des Sauerlands sollen nun folgen. Auch in anderen Bundesländern wie Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Bayern finden Taser im Streifendienst bereits Einsatz.

Gefeiert wird der Taser unter anderem für den Erfolg, durch seine allein abschreckende und somit angeblich deeskalierende Wirkung. Auch dadurch, dass Taser als nicht tödlich Waffen eingestuft sind, bietet er eine angebliche Alternative zur Schusswaffe.

Dabei sehen wir die Gefahr, dass die Hemmschwelle zur Nutzung dieser Waffe sinkt und sie auch vermehrt in niedrigschwelligen Situation benutzt wird. Die Möglichkeit, Menschen per Knopfdruck gefügig bzw. außer Gefecht zu setzten, sehen wir dabei als gruselig.

Auf die Gefahr, dass Taser „schwere Verletzungen bis hin zum Tod“ verursachen können, besonders für Personengruppen mit Herz-Kreislauf-Problemen, Asthmatiker*innen sowie Drogenkonsumt*innen weist z.B. auch Amnesty International hin, wie auch auf die täuschende Einordnung als nicht tödliche Waffe.

Es gibt bereits in Deutschland 7 tödliche Polizeieinsätze in den letzten 3 Jahren, bei denen ein Taser involviert war.

Auffällig ist, dass bei den Todesfällen im Zusammenhang mit Tasern, sich in den meisten dieser Fälle eine psychische Ausnahmesituation vermuten lässt bzw. eine konkrete psychische Vorbelastung bekannt geworden ist. Bei zwei Menschen ging es um einen direkten Versuch einer Einweisung in die Psychiatrie, so 2019 bei einer 49 Jährigen Person in Frankfurt und einer 56 jährigen Person in Pirmasens.

Auch bei dem 16 jährigen Mouhamed D., der am 9. August 2022 in Dortmund erschossen wurde, wurde zuvor ein Taser eingesetzt. Dieser verfehlte, eben wie das eingesetzte Reizgas seine Wirkung. So dass sich für die Polizei eine Situation ergab, ihn der es scheinbar notwendig wurde, ihn mit mehreren Schüssen aus einem Maschinengewehr zu töten.

Wir kritisieren nicht nur den Einsatz von Tasern an sich, insgesamt kritisieren wir ein repressives Auftreten der Polizei, vor allem bei Einsätzen, in denen sich Menschen in Not befinden.

Aggressives Auftreten der Polizei ist besonders für Menschen in psychischen und sozialen Ausnahmesituationen, für traumatisierte Menschen, sowie für Menschen die Psychopharmaka oder andere Drogen einnehmen und/oder an Herz-Kreislauf Vorerkrankungen leiden, gefährlich bzw. wie die Vergangenheit zeigt, sogar lebensgefährlich.

Am 2. Mai wurde in Mannheim ein Mensch bei dem Versuch ihn in eine Psychiatrie zu bringen von der Polizei gewaltvoll zu Boden gebracht und fixiert, woraufhin er kollabierte und verstarb. Mohamed Idrissi wurde 2020 bei dem Versuch ihn zwangsweise zu einer psychiatrischen Untersuchung zu bringen, von der Bremer Polizei erschossen.

Ähnlich wie bei den nach Taser-Einsätzen Verstorbenen, gibt es bei einem großen Anteil, der von der Polizei getöteten Menschen, einen Hinweis auf eine psychische Erkrankung. (Je nach Untersuchung ist von einem Drittel bis zu der Hälfte auszugehen.)

Menschen in Ausnahmesituationen reagieren häufig nicht, wie die Polizei es von ihnen erwartet, was zur Eskalation der Situation führen kann. Menschen fühlen sich dabei nicht nur von der Polizei in die Ecke gedrängt und angegriffen, sie werden dies auch. Häufig wird mit allen Mitteln, die der Polizei zur Verfügung stehen- mit Pfefferspray, Schlagstock und Fixierungs/Schmerzgriffe gegen Menschen vorgegangen.

Es ist ein Armutszeugnis für die deutsche Polizei und des Rechtsstaat, dass Polizisten immer wieder Situationen mit dem Tod von Menschen beenden und u.a. suizidale Menschen statt gerettet, getötet werden, obwohl sich die Polizei in personell deutlich überlegener Situation in Einsätzen befindet und der psychische/psychiatrische Kontext für die Polizei beim Einsatz oft bekannt ist, ob in Frankfurt, Pirmasens, Dortmund, Mannheim oder Bremen.

Im Nachgang lässt sich nach den aller meisten Fällen eingestellten Disziplinar- und wenn überhaupt Strafverfahren evaluieren, dass beteiligte Polizist*innen ohne Konsequenzen, weiter bewaffnet im Polizeidienst tätig sind. Entweder liegt eine Notwehrsituation der Polizei vor, oder es liest sich aus den Berichten so, als ob die Menschen eher zufällig bei oder nach Gewaltsituation sterben. Ursächlich für ihren Tod seien (Herz)-Vorerkrankungen oder Ähnliches.

Wir positionieren uns klar gegen jegliche Aufrüstung der Polizei. Mehr und neue Waffen führen zu mehr Gewalt.

Die Polizei sollte vermehrt in Deeskalation geschult werden und sich mit Lebensrealitäten von Menschen befassen.

Wir fordern, dass sich die Polizei behutsam in Einsätzen mit Menschen in Krisen verhält. Z.B. dem Menschen Zeit und Raum gibt, sich zurück zieht falls dies nötig ist, Psycholog*innen, Freund*innen oder Angehörige versucht werden hinzuzuziehen etc. anstatt „Kamikaze-mäßig“-los zu stürmen.

Auch fordern wir die objektive Aufarbeitungen von Todesfällen und die Einrichtung von unabhängigen Beschwerde- und Kontrollinstanzen.

Wir wollen ein sicheres Leben für Alle.