Samstag 13.08.22, 13:12 Uhr

Nach tödlichem Polizeieinsatz – Angst bei jugendlichen Geflüchteten 3


Die Medizinische Flüchtlingshilfe Bochum hat zusammen mit andere Beratungseinrichtungen zur Erschießung eines jugendlichen Geflüchteten in Dortmund eine Stellungnahme veröffentlicht: »Was wir wissen: Am 9. August 2022 wird Mohammed D., ein Jugendlicher, der als unbegleiteter minderjähriger Geflüchteter aus Senegal in einer Jugendhilfeeinrichtung in Dortmund lebt, durch Polizeischüsse getötet. Betreuer*innen aus der Einrichtung hatten die Polizei gerufen. Der Jugendliche soll ein Messer in der Hand gehabt und damit gedroht haben. Insgesamt sollen elf Polizist*innen vor Ort und Pfefferspray und ein Taser zum Einsatz gekommen sein. Laut Dortmunder Staatsanwaltschaft hat ein Polizeibeamter sechs Schüsse aus seiner Maschinenpistole abgegeben, fünf davon trafen Mohammed D. in den Bauch, in den Kiefer, in den Unterarm und zweimal in die Schulter. Die Staatsanwaltschaft bestätigt weiter, dass der Jugendliche am Morgen aus einer psychiatrischen Einrichtung entlassen wurde. Noch sind viele Fragen offen.


Wir sind schockiert darüber, dass ein Einsatz gegen einen einzelnen Minderjährigen mit dem mehrmaligen Gebrauch von Schusswaffen und dessen Tod endete. Unsere Gedanken sind bei den Angehörigen, Freund*innen und Unterstützer*innen des verstorbenen Mohammed D. Unsere Gedanken sind auch bei all den Menschen, bei denen diese entsetzliche Gewalttat Ängste und existentielle Verunsicherung schürt – davor, selbst angegriffen, verletzt und im schlimmsten Fall getötet zu werden.

Was der Vorfall auslöst:
Junge Menschen erfahren vor und während der Flucht häufig massive Menschenrechtsverletzungen, sie sind Gewalt, Verfolgung, Inhaftierung und Folter ausgesetzt und erleben das Leid und den Tod von Angehörigen mit. Massive Einschränkungen in der Lebensplanung, durch ungewisse Aufenthaltsperspektiven und schlechten Zugang zu Gesundheitsversorgung und Bildung schmälern die Entwicklungschancen und führen zu Einsamkeit und Hilflosigkeit. Nichtsdestotrotz zeigen junge Geflüchtete mit der richtigen Unterstützung eine bemerkenswerte Resilienz und schaffen es, ein Leben in Sicherheit aufzubauen.

Diese so notwendige Sicherheit wird durch den Vorfall in Dortmund grundsätzlich in Frage gestellt. Solange der Fall nicht anderweitig aufgeklärt wird, weckt er vor allem bei Jugendlichen of Color und Schwarzen Jugendlichen schmerzhafte Erinnerungen an Fälle von unverhältnismäßiger rassistischer Polizeigewalt. Das Vertrauen der Jugendlichen in staatliche Strukturen wird erneut massiv erschüttert, wenn die Polizei als Vertreterin des Staates eine Bedrohung für ihr Leben ist. Auch das Jugendhilfesystem und die Psychosozialen Zentren (PSZ) müssen der Polizei vertrauen können, dass bei Selbst- und Fremdgefährdung Sicherheit hergestellt werden kann und keine weitere Gefährdung von Menschenleben zu befürchten ist.

Was es jetzt braucht:
• Die unabhängige Aufarbeitung durch ein Expert*innengremium über die polizeiinternen Ermittlungen hinaus
• Unabhängige Untersuchungs- und niederschwellige Beschwerdestellen zu Polizeigewalt in Jugendhilfeeinrichtungen
• Den Einbezug der Perspektiven der betroffenen Communities
• Die Sensibilisierung von Polizei und Ordnungsbehörden für die Situation psychisch belasteter Menschen und speziell Geflüchteter
• Zugang zu adäquater psychosozialer Versorgung für geflüchtete Menschen«


3 Gedanken zu “Nach tödlichem Polizeieinsatz – Angst bei jugendlichen Geflüchteten

  • Helmut

    Was es jetzt braucht: eine Bewegung zur Abschaffung der Polizei.

    Während die Polizei hier Kinder erschiesst, lässt die EU an ihren „Grenzen“ aktuell andere Kinder an Skorpionbisssen sterben.

    Linke – pardon „alternative“ bzw „progressive“ Menschen – könnten drüber nachdenken, was das eine mit dem anderen zu tun hat.

    Sind die staatstragenden Akivistis der ALB und der Seebrücke eigentlich gerade im Urlaub

    (selbstverständlich wohlverdient nachdem anstrengenden Spendensammeln für Seenotrettung mit den grenzenschützenden Regierungsparteien und der bellizistischen Mahnwache gegen den Krieg in der Ukraine „Stoppt Putin“)

    oder warum ist es so still?

    • Helmut raus da

      Dann mach doch selbst, Helmut.
      Pöbeln über andere Menschen lässt sich aus dem bequemen eigenen Sessel immer einfacher machen, als sich selbst in widersprüchliche Situationen zu begeben und wenigstens versuchen etwas Linderung/Veränderung zu erreichen. Und den konservativ-bescheidenen Ortsverbänden dieser grenzschützenden Regierungsparteien 30.000€ für Seenotrettung zu entlocken ist kein kleiner Erfolg. Aber Mann kann natürlich auch alles kaputtreden. Sich es schön gemütlich machen in den eigenen Dogmen. Ganz oder Gar nicht. Dann halt lieber gar nicht, wa?

      Also Helmut, raus ausm Sessel und ab in dein Umfeld, Menschen organisieren und in Bewegung kommen :)

  • Norbert Hermann

    Wer ist Mouhamed Lamine Dramé?

    Die Beteiligung aus Bochum am Geschehen in Dortmund ist allerdings seeehr überschaubar. Business as usual. „Die Straßenfest-Saison beginnt.“ Dabei hiess es noch am Tag nach dem Mord in einer Rundmail: „Ich finde nicht, das das in Bochum unbeantwortet belieben darf.“

    Infos:

    Foto frontal (3.300 kb) + Forderungskatalog hier:

    https://magentacloud.de/s/ofcwgc2angZWsJQ

    Termine:

    Beerdigung von Mouhamed Lamine Dramé ist am Mo 15.08.22, 12:00h Hauptfriedhof Dortmund, muslimischer Teil

    Montag, 15. August 18h am Oranienplatz in Berlin

    Auch am 21.8. in Berlin (länger geplant), 1500 h Görlitzer Park, Eingang Skalitzer Str.

    Am 15.8., 19.00 h in Leipzig im Rabet (Aldi)

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    Die Waffe:

    Heckler & Koch MP5: Ist wegen der Masse auf 25 m rel. rückstossstabil und sehr treffsicher, 100 m mit Zielfernrohr. Hier wird allerdings wohl auf „Feuerstoss“ (je 3 Schüsse) gestellt gewesen sein, mit erheblicher Streuwirkung. Dauerfeuer wie bei einem MG machen nur speziell ausgestattete MP5. (nach wikipedia)

    Petition: Unabhängige Untersuchungskommission zum Tod von Mouhamed D. durch die Polizei (von Prof. Claus Melter, Malika Mansouri und Ayse Dogan für die Bielefelder Initiative)

    https://www.change.org/p/unabh%C3%A4ngige-untersuchungskommission-zum-tod-von-mouhamed-d-durch-die-polizei

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    Ruhrnachrichten 12.08.2022: Wer war Mouhamed D.?

    “ … Erst nach seinem Tod erfuhr das Dortmunder Jugendamt, dass Mouhamed existiert oder er in der Stadt war. Seine dünne Akte hat Dortmund nicht erreicht. Sie befinde sich noch beim Jugendamt in Rheinland-Pfalz, Mouhameds erster Station in Deutschland. Das sei allerdings üblich in dem komplexen und bürokratischen Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten wie Mouhamed, wie der Dezernent erklärt. …

    Der 16-jährige Mouhamed habe Familie in Mali und Senegal gehabt, erzählt Stüdemann. Die Flucht nach Deutschland sei er mit seinem jüngeren Bruder angetreten. Sein Vater sei vor „geraumer“ Zeit gestorben, seine Mutter kurz vor der Flucht – ob es eine Krankheit oder eine Operation war, wisse man nicht. … Sein jüngerer Bruder soll im Mittelmeer ertrunken sein. …

    Im Mai kam Mouhamed dann in die Obhut des Jugendamtes im Rhein-Pfalz-Kreis. Dort habe er auch am 24. Mai eine Vormundschaft zugesprochen bekommen. …

    In einer Pressemitteilung des Rhein-Pfalz-Kreises heißt es, dass Mouhamed den Wunsch geäußert habe, in Dortmund untergebracht zu werden. Er soll gerne Fußball gespielt haben. Laut Jörg Stüdemann sei dem Jugendamt Dortmund mitgeteilt worden, dass Mouhamed vor allem vom BVB und den Spielern mit afrikanischen Wurzeln begeistert war. …

    Am 1. August sei Mouhamed schließlich in Dortmund angekommen, so der Rhein-Pfalz-Kreis. Er wurde in der Jugendwohngruppe St. Antonius an der Holsteiner Straße aufgenommen, wie Stüdemann ergänzen kann. …

    Der Rhein-Pfalz-Kreis schreibt, dass „fast alle unbegleiteten Jugendlichen durch die Flucht traumatisiert sind“. … Wegen seiner psychischen Probleme sei er wohl am Samstag (6.8.) in die Elisabeth-Klinik des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) in Dortmund-Aplerbeck gekommen. Am Sonntag sei der 16-Jährige jedoch bereits wieder entlassen worden. …

    Ãœber den Charakter von Mouhamed ist nicht viel bekannt. Still und zurückhaltend soll er gewesen sein, aber nicht völlig in sich gekehrt. Aufgrund seiner Biografie habe er Stimmungsschwankungen gehabt. Das habe Stüdemann erfahren. In Zornheim, seiner ersten Station in Rheinland-Pfalz, sei der 16-Jährige nicht auffällig gewesen, „insbesondere nicht durch Aggressivität“. …“

    https://www.ruhrnachrichten.de/dortmund/mouhamed-d-jugendlicher-aus-dem-senegal-w1781489-p-2000600609/ (Auszüge/Abschrift aus der Printversion)

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    Ruhrbarone: Bericht von der Kundgebung am 12.08.:

    “ Um die 800 Menschen gedachten heute Nachmittag auf dem Friedensplatz in der Dortmunder Innenstadt dem am Montagabend von der Polizei erschossenen Mohammed D..“

    https://www.ruhrbarone.de/dortmund-wir-wollen-eine-bessere-polizei/211844/

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    Fotos von der Kundgebung am 12.08.:

    https://www.flickr.com/photos/korallenherz/albums/72177720301252537/

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    Solidaritätsbanner beim Spiel des BVB Dortmund in Freiburg:

    https://www.hellwegeranzeiger.de/bvb/bvb-fans-in-freiburg-kritisieren-mit-plakat-polizeiarbeit-im-fall-mouhamed-d-w1781538-1000645910/

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    taz: Opfer der deutschen Migrationspolitik: Tödliche Folgen der Abschottung

    Geflüchtete werden besonders oft Opfer von Übergriffen und Polizeigewalt. Eine Berliner Initiative dokumentiert solche Fälle seit fast 30 Jahren.

    https://taz.de/Opfer-der-deutschen-Migrationspolitik/!5873887/

    https://taz.de/Gedenken-an-erschossenen-Jugendlichen/!5874253/

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    Allemagne : un jeune réfugié sénégalais de 16 ans tué par la police

    https://www.visionguinee.info/allemagne-un-jeune-refugie-senegalais-de-16-ans-tue-par-la-police/

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    Emotionales Totengebet für Mouhamed D. in der Abu-Bakr-Moschee in der Nordstadt von Dortmund (Islamischer Bund Dortmund e.V, sunnitisch, Guinea)

    https://www.nordstadtblogger.de/emotionales-totengebet-im-innenhof-der-abu-bakr-moschee-im-dortmunder-norden/

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