Dienstag 07.06.22, 16:06 Uhr
Interview mit dem neuen Team "Politik & Gesellschaft" im Bahnhof Langendreer

Das neue „Polit-Büro“ 3


Kristin Schwierz hat gemeinsam mit Uwe Vorberg – und nach dessen Wechsel zeitweilig mit Karina Lange – den Bereich Politik & Gesellschaft des Bahnhof Langendreer jahrelang maßgeblich geprägt. Uwe Vorberg ist ja bereits seit längerem in andere Verantwortlichkeiten innerhalb des Bahnhofs gewechselt  und mit dem Weggang von Kristin ergibt sich jetzt ein personeller Wechsel in diesem Bereich.

Die Redaktion von bo-alternativ hat sich deshalb mit dem neuen Team – Güler Bulgurcu, Anna-Lina Heimrath und Felix Koblenzer – zusammengesetzt, um zu erfahren, wie es in dieser für die alternative Szene wichtigen Institution nun weitergeht.

bo-alternativ: Es wäre schön, wenn ihr Euch ein wenig vorstellen würdet: Wo kommt ihr her, was habt ihr bisher gemacht und welches Interesse bringt ihr mit, im Bahnhof Langendreer zu arbeiten?

Güler: Ich komme aus Istanbul und lebe jetzt seit zehn Jahren in Deutschland. Ich habe in der Türkei internationale Beziehungen studiert und ich war dort in einer Beratungsstelle für Menschen tätig, die nach Deutschland auswandern wollten. Hier in Deutschland habe ich dann Sozialwissenschaften studiert und in verschiedenen Migrant:innen-Organisationen gearbeitet. Nach dem Ende meines Studiums habe ich mich hier beworben. Ich wollte gern das Wissen aus meinem Studium der Sozialwissenschaften im Bahnhof einbringen. Warum ich hier arbeiten wollte? Hier kann man Politisches und Sozialwissenschaftliches zusammenbringen, kreative Veranstaltungen organisieren mit Blick auf andere Kulturen und andere politische Meinungen. Deshalb bin ich hier und ich bin sehr glücklich, dass ich hier arbeiten kann.

Anna-Lina: Ich habe im letzten Jahr meinen Masterabschluss an der RUB gemacht. In Bochum wohne ich aber schon seit ca. vier Jahren . Mit meinem Umzug nach Bochum bin ich auch recht schnell stadtpolitisch aktiv geworden und habe das Netzwerk „Stadt für alle“ gefunden, mich dort vernetzt und konnte im Rahmen dessen unter anderem ein Festival mitorganisieren, kleine Veranstaltungen und Vorträge ins Leben rufe und konnte mich dadurch immer mehr mit der Szene und Politik in Bochum befassen. Das habe ich  bis dato hauptsächlich ehrenamtlich gemacht und bin froh,  nun hier im Bahnhof gesellschaftspolitische Arbeit als berufliche Perspektive wahrzunehmen.

Felix: Ich bin seit 1 ½ Jahren hier im Bahnhof. Ich war vorher ausschließlich politischer Bildner, habe freiberuflich gearbeitet und Seminare zu allen möglichen Themen gemacht. Ich habe hier im Bahnhof angefangen, weil ich es spannend finde, neben der klassischen Seminararbeit auch Informationsveranstaltungen zu organisieren und  weiter politische Bildung zu machen. Das alles in einem alternativen Kontext, der hier im Bahnhof ja bereits vorhanden ist. Das ist also auch das, was ich schon vorher gemacht habe – Seminare zu geben, Kooperationen gegen Rechtsextremismus zu bilden und Veranstaltungen zu diesem Thema zu organisieren und darüber hinaus auch Bereiche zu beleuchten, die nicht immer im Vordergrund stehen.

bo-alternativ: Ihr seid nun zu dritt – wie habt ihr euch untereinander die Arbeit aufgeteilt?

Felix: Als Kristin noch hier war, habe ich vor allem die Bereiche Rechtsextremismus und Erwachsenenbildung gemacht. Das wird auch weiter so bleiben, es ergeben sich jetzt allerdings in der Zusammenarbeit untereinander immer mehr Querschnittthemen, die sich auch in unserer Programmplanung wieder finden. Wir haben ja auch alle drei aus verschiedenen Gründen keine ganzen Stellen und müssen schon deshalb bereichsübergreifender arbeiten.

Anna-Lina: Ich knüpfe zum Beispiel direkt an Kristins Schwerpunkte an – sie hat ja wirklich gute Arbeit im Bahnhof geleistet und  ich freue mich diese fortzuführen. Deshalb werde ich mich daher auch weiter in dem Bereich der sozial-ökologischen Transformation engagieren . Mir ist es dabei wichtig, Bochumer Initiativen und Vereine ins Boot zu holen. Das bedeutet Kooperationen zu bilden, etwa mit „Ende Gelände“, „Fridays for Future“ usw. und meine Netzwerke zu nutzen und auch in diesem Bereich das Netzwerk fortzuführen, was Kristin hier bereits aufgebaut hat. Darüber hinaus ist mein Themengebiet der intersektionelle Feminismus – das will ich hier im Bahnhof weiter stark machen.

Güler: Ich habe auch von Kristin eine schöne Erbschaft übernommen. Sie hat u.a. den Themenbereich des globalen Nordens und Südens bearbeitet, das beinhaltet Menschenrechtsbewegungen LGBTIQ – Bewegungen in anderen Ländern. Ich organisiere Veranstaltungen in unterschiedlichen Formaten über verschiedene Länder, in denen soziale Bewegungen entstehen, um mit diesen in einen Dialog zu kommen. Mein anderer Schwerpunkt ist die Initiativen-Betreuung, denn im Bahnhof Langendreer treffen sich immer noch eine ganze Reihe von Gruppen. Ein anderer Bereich ist neu: seit zwei Monaten treffen sich hier BiPoc-Personen, d.h. wir organisieren einen geschützten Raum für diese Menschen. Dazu gehört auch, mehrfach im Jahr Empowerment-Workshops zu organisieren.

bo-alternativ: Kristin hat auch literarische Lesungen organisiert – wird das auch weitergeführt?

Güler: Ja, das machen wir alle zusammen, denn wir haben verschiedene Themengebiete und Interessen. Wir haben bereits erste Ideen und planen für den Herbst literarische Veranstaltungen.

bo-alternativ: Wie sehen Eure kurz- und mittelfristigen Pläne und Projekte aus?

Anna-Lina: Als direkt nächste Veranstaltungen gibt es neben dem Empowerment-Workshop die Ausstellungseröffnung am kommenden Donnerstag: „Transferring LGBTQI+-stories“. Das ist eine DIY-Ausstellung, d.h. die ist quasi fertig und kann digital an verschiedene Orte und Initiativen verschickt werden. Alle Spendengelder der Ausstellung gehen an das Projekt „Kharkiv Women Association Sphere“ aus der Ukraine. Dann gehen wir erst einmal in den „Antragssommer“, d.h. wir werden Anträge für das zweite Halbjahr schreiben, um gute Projekte zu starten. Ich will in etwa Kristins Projekt fortsetzen mit einer neuen Reihe, die bisher den Arbeitstitel „Ein gutes Leben für Alle“ trägt. Darin wollen wir uns u.a. mit dem Thema der sozialen Gerechtigkeit auseinandersetzen, mit dem Klimawandel und dies aus verschiedenen Perspektiven beleuchten. Zum Beispiel hat Ende Gelände ein Buch herausgebracht und ich plane, mit Aktivist:innen eine Lesung mit Diskussion zu machen. Starten soll die Reihe  mit einem Einführungs-Workshop, der sich v.a. an Bochumer Gruppen wendet um gemeinsam möglichst viele Aspekte zu beleuchten.

Güler: Ich habe für Juni zwei Veranstaltungen geplant, einen Empowerment-Workshop und eine weitere Veranstaltung. Die findet in Kooperation mit CSD-Bochum statt und beschäftigt sich mit der Menschenrechtslage von LGBTQI+-Personen im Libanon . An diesem Abend werden wir auch gemeinsam Lieder einer Band aus dem Libanon singen,– deren Texte   ins Deutsche übersetzt werden. Dann habe ich eine Veranstaltung über Sudan und Äthiopien organisiert, weil dort auch eine sehr schwierige Menschenrechtslage besteht. An deren Grenzen werden Fluchtbewegungen verhindert durch europäische Mithilfe. Zwei Menschenrechtsaktivist:innen werden darüber berichten. Und wie Anna-Lina gesagt hat, brainstormen wir jetzt im Sommer für die neue Pläne und Veranstaltungen.

Felix: Ich plane in diesem Jahr wieder eine Kooperation – dieses Mal mit der VHS Bochum. Wir werden  im August eine Summer-School organisieren. Dabei wird  es darum gehen Initiativen zu befähigen, eigene Angebote zu planen und durchzuführen. Denn die Arbeit mit Gruppen und Menschen folgt gewissen Grundprinzipien , hierzu wird es Grundlagen-Workshops geben und dann einen besonderen Workshop-Tag mit mehreren Referent:innen, bei dem es unter anderem um gendergerechte Sprache, gewaltfreie Kommunikation und die Organisation von niederschwelligen Angeboten geht. Darüber hinaus ist eine Veranstaltung geplant zum Thema Polizeigewalt gegenüber marginalisierten Gruppen. Anlass ist, dass im Ruhrgebiet in den letzten Jahren mehrfach Menschen mit Migrationshintergrund erschossen worden sind. Das wollen wir genauer beleuchten. Beispielsweise  ein Fall aus Essen, bei dem ein Mann in seinem Stadtteil erschossen wurde und ein großer Teil der Zivilgesellschaft das nicht weiter beachtet. Die Polizei bezeichnet ihn als psychisch erkrankten Menschen, aber wenn man ein wenig genauer hinschaut, stellt sich heraus, dass in diesem Fall einiges nicht stimmt. Weiterhin ist eine Veranstaltung zum Thema Verschwörungstheorien geplant – auch wenn die Querdenken-Proteste gerade abflauen, ist das Phänomen nicht weg (Veranstaltung am 7.Juli).

Anna-Lina: Diese Veranstaltung organisieren wir zum Beispiel auch im Team. Genau genommen wird es dabei um Verschwörungstheorien in Russland gehen und wie diese aktuell von deutschen Rechtsextremist:innen aufgegriffen werden.

bo-alternativ: Ihr seid ja nun ein ganz neues Team – was wollt ihr aus der bisherigen Arbeit aufnahmen und fortführen und was neu und anders machen?

Anna-Lina: Wir können an die bisherige gute Arbeit im Bahnhof anknüpfen, aber wir werden dennoch ein wenig verändern – wir wollen uns etwa mehr in sozialen Netzwerken betätigen, so dass wir mehr Öffentlichkeit generieren. Durch Corona ist ja zwangsweise auch vieles eingeschlafen – jetzt geht es wieder los, aber nun ist auf einmal ein Überangebot an Veranstaltungen da und daher wollen wir in den sozialen Netzwerken als auch in der Stadtgesellschaft mehr Präsenz zeigen. Mir ist es weiterhin ein Anliegen, mit Initiativen direkt zusammen zu arbeiten und meine Netzwerke zu nutzen, so wie es bisher auch im Bahnhof und auch vor Corona gut gelungen ist!

bo-alternativ: Das passt gut zu unserer nächsten Frage. Wenn man zurückblickt auf den Anfang des Bahnhofs, dann waren alle irgendwie in Initiativen der Stadt engagiert und haben damit direkt mitbekommen, was so passierte. Das ist heute sicherlich anders – unsere Frage ist, welche Rolle in Euren Augen der Bahnhof in der Stadt und auch im Stadtteil spielen soll.

Felix: Wir haben ja letztes Jahr zusammen mit „Langendreer/Werne gegen Nazis“ eine Veranstaltungsreihe im Rahmen der Ausstellung „Todesopfer rechter Gewalt“ durchgeführt – solche Kooperationen sollen auch weiter stattfinden. Ich fand das eine sehr erfolgreiche Zusammenarbeit im Stadtteil. Wir hoffen, dass Initiativen Lust auf die Zusammenarbeit haben.

Güler: Ich habe hier mitten in der Corona-Pandemie angefangen und jetzt kann ich  u.a. durch mein Engagement im „Netzwerk für Flüchtlinge Langendreer“ viele Menschen aus dem Stadtteil besser kennenlernen. Wir als Netzwerk sind alle zwei Wochen in der Unterkunft und bieten ein Begegnungscafé an. Ich organisiere mit anderen Ehrenamtlichen etwa ein Willkommensfest am 18. Juni bei der Unterkunft. Es gibt einen weiteren Punkt, der uns allen sehr wichtig ist, nämlich dass neue Initiativen hier in den Bahnhof kommen. Wir haben hier die Räumlichkeiten für den Austausch und die Arbeit von Gruppen. Das passiert schon wieder mehr – aber dazu laden wir gern auch weitere ein. Das hilft uns auch in unserer Arbeit, indem wir zum Beispiel neue Ansprechpartner:innen gewinnen.

Felix: Und der Bahnhof ist im letzten Jahr 35 Jahre alt geworden – das wollen wir nun in diesem Jahr feiern und zwar am 9. Juli und dazu ist der Stadtteil herzlich eingeladen.

Anna-Lina: Ich selbst bin über Bochum hinaus auch in Dortmund aktiv. Bei face2face gehen wir Sonntags mit dem Bollerwagen durch die Stadt und verteilen Essen und Getränke – so in etwa, was bodo mit Kaffee und Knifte macht – aber eben selbst organisiert.. Zudem habe ich ein feministisches Kollektiv mitgegründet und war auch bei Bochum Solidarisch am Hauptbahnhof eine Zeit lang aktiv. Das ist mein privates Engagement, aber ich bin sehr froh, dass diese Themen – soziale Gerechtigkeit und ein solidarisches Miteinander , die mich schon seit Jahren privat begleiten und beschäftigen nun auch Teil meiner beruflichen Arbeit sind.

bo-alternativ: Wir danken Euch für das Gespräch und wünschen Euch eine erfolgreiche Arbeit und dass es Euch gelingt, die „Strahlkraft“ des Bahnhofs für die gesellschaftskritische Bewegung in unserer Stadt zu erhalten und zu erhöhen.


3 Gedanken zu “Das neue „Polit-Büro“

  • Rolf

    Das klingt für mich sehr nach universitärer, Mittelschichts-orientierter Identitätspolitik. (siehe Veranstaltung auf der Ruhr-International zur Hegemonialen Erzählform.)
    Spiegelt somit die klassistisch orientierte Politik der Rest-Alternativen-Szene wieder.

    • Heide

      @ Rolf: Was für eine armselige Stänkerei. Der Bahnhof Langendreer ist das politischste sozio-kulturelle Zentrum weit und breit. Werde doch einfach konstruktiv und schreib, was Dir fehlt. Du läufst dann allerdings Gefahr, dass das umgesetzt wird und Du nichts mehr zu kritisieren hast.

      • Susanne mit eigener Meckerei

        Jede Feststellung der Unzufriedenheit mit und Kritik an Bochums selbst erklärter „alternativer“ Szene wird von den Selbsterklärten Alternativen mit dem Vorwurf der Stänkerei beantwortet und natürlich mit der Aufforderung doch bitte „aktiv“ zu werden und sich „einzubringen“.
        „Bochum arrogant“ wäre ein schöner Titel, „Bochum elitär“ geht aber auch in Ordnung.
        Es gibt schlicht KEINEN Grund mit Bochums politischer Szene unzufrieden zu sein. Wer trotzdem meckert, soll doch bitte erstmal selber machen, schließlich wird hier doch täglich vorgeführt, wie unglaublich ENGAGIERT die Bochumer Macher*innen sind. Applaus first! Und Kritik second, aber bitte nur konstruktiv, soviel Ordnung muss sein!

        (Wer im Bahnhof Langendreer schon mal Proletarier*innen gesehen hat, die von ihrer Lohnarbeit, den steigenden Lebenshaltungskosten und den scheußlichen Verhältnissen, noch nicht so ermüdet sind, dass sie nach noch Feierabend „Empower-Workshops“ machen wollen, soll sich jetzt melden).

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