Sonntag 01.05.22, 18:00 Uhr

Das Tragen eines Kopftuches ist in einem katholischen Krankenhaus erlaubt


Der Fachschaftsrat Medizin der Ruhr-Uni teilt in einer Presseerklärung mit: „Mitarbeiterinnen am Universitätsklinikum Marien Hospital Herne dürfen künftig im Dienst ein Kopftuch tragen.“ Kopftuchtragende Bewerberinnen waren bisher pauschal nicht angestellt worden. Krankenhausträgerin ist die „St. Elisabeth Gruppe GmbH – Katholische Kliniken Rhein-Ruhr“ (SEG). Den christlichen Kirchen und ihren Einrichtungen ist es in Deutschland erlaubt, andersgläubige und religionsfreie Menschen zu diskriminieren. Intoleranz ist Wesensmerkmal fast aller Religionen, wird aber in Deutschland durch das Subsidiaritätsprinzip im Jugend-, Gesundheits- und Sozialbereich zu einem besonderen Problem.

Das Subsidiaritätsprinzip regelt, dass es in diesen Bereichen einen Vorrang für sogenannte freie Träger gibt. Das bedeutet, die Stadt oder andere staatliche Stellen dürfen kein Krankenhaus, Kindergarten oder Jugendheim betreiben, wenn ein „freier“ Träger bereit ist, eine solche Aufgabe zu übernehmen. Gleichzeitig muss der Staat die Finanzierung dieser Einrichtungen sicherstellen. Die Kirchen müssen sich also z. B. an der Finanzierung von Krankenhäusern oder Jugendheimen nicht beteiligen. Auch die Arbeiterwohlfahrt und andere Wohlfahrtsverbände haben dieses Privileg.

Das Subsidiaritätsprinzip gilt aber eindeutig als Geschenk von CDU und CSU an die Kirchen. Die beiden C-Parteien verfügten von 1957 – 1961 über die absolute Mehrheit im Bundestag. Bundeskanzler Adenauer fürchtete zu Recht den Verlust der absoluten Mehrheit und ließ gegen heftige Proteste das Subsidiaritätsgesetz verabschieden. SPD und FDP versprachen, die Regelung rückgängig zu machen, wenn die Alleinregierung der Union abgewählt wird. Mehrere Bundesländer und Großstädte klagten vor dem Bundesverfassungsgericht. Mit knapper Mehrheit urteilten die Karlsruher Richter*innen pro Adenauer.

Die beiden großen Kirchen konnten dadurch flächendeckend soziale Einrichtungen aufbauen und sich ein unglaublich karitatives Image organisieren, ohne dafür nennenswert Geld auszugeben. Viele Kirchensteuerzahler*innen blieben Mitglied, obwohl sie nicht an die Jenseitsversprechungen glaubten, aber irrglaubten, dass ihr Geld im Diesseits den kirchlichen Sozialeinrichtungen zugute kommt.

Inzwischen arbeiten ca. 1,2 Millionen Menschen in kirchlichen Einrichtungen. Höchst richterliche Urteile haben etliche Gesetze so ausgelegt, dass die kirchlichen Arbeitgeber:innen das private Verhalten von Beschäftigten zur Begründung von arbeitsrechtlichen Sanktionen bis hin zu Kündigungen z. B. bei Scheidungen und erneuter Heirat heranziehen dürfen.

Verschärft wird dieser Skandal dadurch, dass das Betriebsverfassungsgesetz für kirchliche Einrichtungen nicht gilt. In einem Krankenhaus oder Altenheim, für deren Betrieb die Kirchen keinen Cent dazu zahlen, gibt es kein Recht, einen Betriebsrat zu gründen. Wesentlich Rechte von Beschäftigten gelten in christlichen Anstalten nicht. Bisher sind hier Streiks verboten. Das Bundesverfassungsgericht gibt keine Signale, seine klerikal bestimmten Urteile aus der Adenauerzeit zu revidieren.

Erfolge gibt es in dieser Hinsicht allerdings vor den europäischen Gerichten. Die Antidiskrminierungsgebote sind eindeutig. Das ist allerdings immer ein langwieriger zäher Prozess.

Vor 60 Jahren war es in kirchlichen Krankenhäusern der Normalfall, dass Krankenschwestern klerikal-symbolische Kopfbedeckungen und Kleidungen trugen (Foto oben). Heute gibt es in Deutschland kaum noch Nonnen. Wenn jetzt Musliminnen glauben, ein Kopftuch tragen zu müssen, ist das kein Fortschritt. Menschen wegen ihres Glaubens oder Weltanschauung zu diskriminieren, ist aber immer inakzeptabel.

Wahrscheinlich hat der Fachschaftsrat es nur für den Bereich des Uniklinikums im SEG-Konzern geschafft, die Ausgrenzung von Kopftuch tragenden Musilminnen zu unterbinden. Für das internationale Renommee der Uni wäre es schließlich nicht förderlich, wenn bekannt würde, wie christlich intolerant sich eine ihrer Ausbildungseinrichtungen verhält. Für die SEG wäre es ein herber Verlust, wenn ihre Klinik nicht mehr den Titel Universitätsklinik tragen dürfte und auf zusätzliche Landesmittel verzichten müsste. Auf der Schiene hat der Fachschaftsrat vermutlich erfolgreich verhandelt. Zwischen den Zeilen schimmert das aus der Pressemitteilung raus.

Personalrat und Gewerkschaften sollten überlegen, ob sie nicht dem Beispiel folgen und es skandalisieren, dass an einer Universitätsklinik, das Betriebsverfassungsgesetz nicht Anwendung finden darf.

Die Meldung St. Elisabeth Gruppe GmbH – Katholische Kliniken Rhein-Ruhr zum Thema Kopftuch