Sonntag 17.04.22, 19:40 Uhr
Ostermarsch 2022 – Bochum - City

Rede von Jochen Bauer, Landesvorstand GEW NRW


Liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Ostermarsch Ruhr,

mein Name ist Jochen Bauer, ich bin Mitglied des Landesvorstandes der GEW und bedanke mich für die Einladung des Bochumer Friedensplenums und das Vertrauen, welches ihr mir entgegenbringt. Ich werde mich kurzfassen, denn es wird anschließend eine moderierte offene Diskussion geben. Mein Kerngeschäft ist die Tarifpolitik und Bildungsfragen. In dieser Zeit erhält der Einsatz für Frieden eine zentrale Bedeutung im Leben eines Gewerkschafters. So hat der ehemalige Bundeskanzler Willy Brandt einmal gesagt: “Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts.“

Diese Worte erhalten gegenwärtig traurige Realität. Zurzeit werden 21 Kriege in aller Welt geführt. Damit muss Schluss sein! Die Spirale der Gewalt und die Logik des Krieges muss durchbrochen werden! Überall!

Ich kann mich sehr gut an meinen Sommerurlaub in Nordengland vor zwei Jahren erinnern. In dem kleinen Fischerort Robin Hood’s Bay gibt es einen kleinen Folk Club und wir besuchten dort ein Konzert lokaler Musiker. Ein Lied hatte mich besonders berührt. Es war ein selbstkomponiertes Lied, welches einer dieser Musiker anlässlich der Nacht des Mauerfalls geschrieben hatte. Es berichtet davon, dass die Last der Kriegsangst, die auch die Menschen in England über Jahrzehnte im Griff hatte, abgefallen war. Endlich konnte man wieder unbeschwert lachen, tanzen, feiern.

Szenenwechsel: Vor einigen Wochen hat Bundeskanzler Scholz im Bundestag verkündet, dass die Bundesregierung 100 Mrd. € in die Bundeswehr investieren werde – ab sofort. Eine Allparteienkoalition, abgesehen von der Linken, brach in Jubelstürme aus! So muss es einst im Reichstag gewesen sein, als man seinerzeit beschlossen hatte, die Risikoflotte aufzubauen, mit deren Hilfe man England in einen Frieden zwingen wollte. Wir alle wissen wo das geendet hat: im Ersten Weltkrieg!

Nur scheinen das bestimmte Kreise der gegenwärtigen Politiker*innengeneration vergessen zu haben. Wie anders ist es zu erklären, dass Außenministerin Baerbock und andere fordern, schwere Waffen in die Ukraine zu liefern. Brigadegeneral a.D. Erich Vad weiß es besser. Er sagt deutlich, dass die Lieferung schwerer Waffen in die Ukraine den Weg in den dritten Weltkrieg ebnet. Es dürfen keine schweren Waffen in die Ukraine geliefert werden!

Frieden gibt es nur auf dem diplomatischen Weg! Frieden lässt sich nicht erzwingen! Schon gar nicht durch noch mehr Waffen!

Zurück zum Ersten Weltkrieg. In diesen Tagen vor genau 107 Jahren im Frühjahr 1915 organisierten die Radikalfeministinnen um Lida Gustava Heymann den Den Haager Friedenkongress mit 1100 Teilnehmerinnen aus 12 Ländern. Der Krieg dauerte jetzt 8 Monate und es war klar, dass man nicht, wie ursprünglich angenommen, Weihnachten wieder zuhause sein werde. Eigentlich hätte der Kongress in Berlin stattfinden sollen, aber die Durchführung wurde verboten. Sie forderten die Kontrolle des internationalen Waffenhandels, eine neue faire Weltwirtschaftsordnung und verurteilten Massenvergewaltigungen als Mittel der Kriegsführung. Die neutralen Staaten sollten einen Friedenabschluss ohne Gebietsansprüche vermitteln. Die Beschlüsse wurden den Regierungen der am Krieg beteiligten Länder zugeleitet. Sie blieben ungehört! Pazifismus war nicht gefragt!

Auch heute sind pazifistische Positionen von den herrschen Eliten nicht gefragt. Alexander Graf Lambsdorff bezeichnete die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an den Ostermärschen jüngst als fünfte Kolonne Wladimir Putins. Ich kann euch beruhigen – ihr seid es nicht. Würde diese Veranstaltung in Moskau stattfinden, würde ihr von Sicherheitskräften verprügelt und inhaftiert, die Initiator*innen würden mit aller Wahrscheinlichkeit in Sibirien in einem Arbeitslager landen.

Man muss fragen, welche Interessen hat ein neoliberaler Interessensvertreter des Großkapitals wie Herr Lambsdorff daran, Pazifstinnen und Pazifisten zu verunglimpfen. Die Antwort ist einfach: im Krieg in der Ukraine geht es nicht um Demokratie und um Menschenrechte, sondern es geht um geopolitische und um kapitalistische Interessen Die Kapitalkonzentration ist heute vergleichbar mit der vor dem Ersten Weltkrieg. Das Kapital sucht Anlagemöglichkeiten und dieser Krieg verspricht reiche Rendite. Vor diesem Hintergrund müssen die Alarmglocken läuten!

Die Ukraine ist ein Land, welches reich an Bodenschätzen ist. Genau aus diesem Grund hatte das Deutsche Reich im Vertrag von Brest-Litowsk 1918 versucht, die Ukraine aus der Sowjetunion abzutrennen. Auch heute haben sowohl Russland als auch die NATO-Staaten wahrscheinlich aus ähnlicher Motivation ein Interesse an der Ukraine. Die riesigen Summen, die in Kriegsmaterial investiert werden, haben darüber hinaus Profiteure: die Rüstungsindustrie und ihre Anleger – einige wenige. Verlieren werden viele: die Menschen in der Ukraine, die Leben lassen müssen oder den Verlust von Kindern, Eltern und Ehepartner beklagen werden und die, die Haus und Hof verlieren. Verlieren werden die Menschen auch hier. Wir erleben gerade, wie eine durch den Krieg beschleunigte Inflation das mühsam Ersparte der abhängig Beschäftigten auffrisst. Wer weiß, was noch kommen wird!

Voller Empörung wird in den Medien über zivile Opfer beim Krieg in der Ukraine berichtet. Die Empörung ist berechtigt. Aber seien wir ehrlich: seit dem Ersten Weltkrieg ist klar, Krieg hat nichts Heldenhaftes. Krieg ist immer Krieg gegen die Zivilbevölkerung! Unter der Zivilbevölkerung sind die Leidtragenden des Krieges zu finden! Deshalb ist der Krieg an sich ein Verbrechen! Man muss sich die ehemaligen Kriegsorte in Flandern ansehen, die bis heute unbenutzbar und von Massengräbern bedeckt sind, um zu erahnen, wie die Ukraine nach Beendigung des Krieges eines Tages aussehen wird: ein zerstörtes Land mit traumatisierten Menschen, Leid und Untergang überall!

Man muss aber auch hinterfragen, was die Summe von 100 Mrd. €, die die Bundesregierung in die Aufrüstung der Bundeswehr investieren will, für andere – zivile – Lebensbereiche bedeutet. Im Bildungsbereich fehlen derzeitig allein 42 Mrd. €, um die maroden Schulgebäude auf einen zukunftsfähigen Stand zu bringen. Unser System produziert Bildungsverlierer, indem es Investitionen in Bildung unterlässt. Wenn eine europäische Eingreiftruppe unter der Führung der Bundeswehr in internationalen Krisenherden intervenieren soll, dann werden unter den 5.000 Soldaten der Bundeswehr nicht die Kinder von Frau Baerbock oder Frau von der Leyen sein, sondern es werden die Bildungsverlierer sein, die ein auf Bewahrung der Klassengesellschaft ausgerichtetes Bildungssystem produziert haben wird. Ganz davon abgesehen, dass ein Beitrag der Bundeswehr zu einer Eingreiftruppe gegen Artikel 12a GG verstößt.

Schon jetzt investiert die Bundeswehr irrwitzige Summen, um ihre Nachwuchsprobleme zu beseitigen. Die Nachwuchsprobleme verwundern allerdings nicht: Soldat zu sein, ist kein normaler Beruf. Es geht um töten und um getötet werden. Es werden Millionenbeträge für Werbefilmchen und Werbetafeln locker gemacht, in der die Bundeswehr als Abenteuerspielplatz dargestellt wird.

Es gibt Profiteure so einer Politik: Der Krieg und der Kapitalismus sind Geschwister. Schon jetzt kann jede(r) am Aktienkurs von Rheinmetall oder anderen Rüstungskonzernen erkennen, wer von den Rüstungsinvestitionen profitieren wird: die Kapitaleigner der Rüstungsindustrie.

Auch Bochum wird in die strategischen Kriegsvorbereitungen der NATO einbezogen! Es gibt Pläne, auf dem Gelände des ehemaligen Opelwerks einen Standort der NATO-Agentur für Information und Kommunikation (NCIA) aufzubauen. Die Kriege der Zukunft werden nicht nur auf den Schlachtfeldern geführt werden, sondern Kriege werden Cyber-Kriege sein, der IT-Bereich wird ein entscheidender Faktor sein. Damit wird auch die Schwelle zum Krieg sinken. Krieg per Knopfdruck – das Eindringen in Versorgungsnetzwerke, Kraftwerke, Lahmlegung des Zahlungsverkehrs, die Steuerung von Tötungsmaschinen per Mausklick … Hoch professionell, schön antiseptisch in einer sterilen Kommandozentrale durchgeführt von IT – Expert*innen des Todes. Das brauchen wir in Bochum nicht!

Meine Vorredner*innen an den Standorten des Ostermarschen haben euch ihre unterschiedlichen Sichtweisen zum Krieg dargestellt. Es gibt nur eine Devise: mit den Worten Bertha von Suttners: Die Waffen nieder – jetzt und überall ohne Vorbedingung!

Ich möchte abschließen mit ein paar Strophen aus dem Bagdad Requiem des Künstlers Mohammed Al-Kasem zitieren, welches im Irak-Krieg entstanden ist:

Bagdad,

Straße der Toten

Hier steht sein Haus.

1001 Nacht hat er hier zugebracht

1001 Traum begraben

Requiem aeternam.

Er sieht sie.

Schwestern, Brüder

Bündel aus Blut und Tränen.

Totenmasken

Auch die Lebenden

Kyrie eleison.

Er gibt ihnen Särge

Da wo da Holz nicht reicht,

reicht ein Rahmen zum Gedenken

Verbranntes Tuch,

noch eben lachend vor den Mund gehalten

Die Straße gibt es her.

Recordare. …

Dies irae.

Zorn Gottes, soll ich das glauben?

Macht nicht das Elend Hass?

Und der Wunsch nach Macht?

Und wer trägt die Verantwortung?

Salva me.

Bagdad, Geschenk Gottes

Stadt der Kalifen

Entzünde die Wunderlampe, Aladin

Kannst du sie retten?