Samstag 12.03.22, 08:37 Uhr

Soziale Berufe aufwerten


Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di hat in dieser Woche mit einem Warnstreik der Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst auf die brisante Situation in in diesem Bereich aufmerksam gemacht. Mangelhafte Arbeitsbedingungen, nicht angemessene Gehälter zeichnen ein Bild starker Fluktuation und ein sich zuspitzender Fachkräftemangel. Vor rund 150 Teilnehmer:innen ging Svenja Herbst zunächst auf auf den Krieg in der Ukraine ein und machte dann deutlich, warum jetzt der Streik erforderlich ist. Die Rede im Wortlaut: »Zunächst einmal möchten wir, auch symbolisch in Form des Peace Zeichens, unsere Solidarität mit ALLEN Menschen kundtun, die dem Einmarsch von Putins Gruppen und dessen Konsequenzen schutzlos und ohne jegliches Mitspracherecht ausgeliefert sind. Wie immer sterben auch in diesem Krieg Menschen, die dies nicht entschieden haben, unschuldige Menschen!

Wir können nur erahnen welches Leid, welche Ängste und welche Gefühle von Hilflosigkeit und Ohnmacht diese Menschen jetzt gerade durchleben müssen.

Angesichts dieser furchtbaren und menschenverachtenden Situation, von der niemand absehen kann, wie sich entwickeln wird, fällt es uns natürlich nicht leicht, uns auf unseren Arbeitskampf zu konzentrieren. Es fühlt sich nicht gut an. Es scheint alles beinahe banal.

ABER wir müssen auch darauf aufmerksam machen, dass die Situation auch langfristig Auswirkungen auf unsere Gesellschaft hier hat.

DENN Frieden beginnt ganz unscheinbar, nämlich in zwischenmenschlicher Interaktion. Das was wir täglich machen.

NEIN wir sind natürlich nicht die alleinigen Friedensmissionare, ABER wir Kinderpfleger*innen, Erzieher*innen, Sozialpädagog*innen und Sozialarbeiter*innen, Heilpädagog*innen usw. helfen jeden Tag, Menschen in unserer Gesellschaft zu überleben. Wir sind für sehr viele Menschen das Bindeglied zu unserer Gesellschaft und das ist gut so!

2015 hat gezeigt, dass mehr professionelle Helfer hätten eingesetzt werden müssen, um den damals geflüchteten Menschen eine bessere Integration zu ermöglichen.

Es ist super wichtig und gut, dass Menschen herkommen! Noch besser wäre es, wenn von Anfang an Kapazitäten eingeräumt würden, um zum einen „deutsche Bürokratie“ zu überstehen, aber auch um zu vermitteln welche Kulturen, welche Umgangsweisen, Normen und Werte eine wunderbare Vielfalt und ein gelungenes Miteinander ermöglichen. Es funktioniert einfach nicht, Menschen sich selber zu überlassen. Da sind wir gefragt.

Ich beschreibe hier nur einen kleinen Teil unserer Arbeit. Es gibt mehr als genug an stetig wachsenden Herausforderungen an uns Fachkräfte.

Immer präsent sind Themen wie z.B. Arbeitslosigkeit, fehlende Perspektiven, psychische Erkrankungen, Verschuldung, Obdachlosigkeit, familiäre Krisen, Gewalt, Flucht vor der eigenen Familie, mangelnde Bildung, Sprachbarrieren, ein gefährdeter Aufenthaltsstatus, Alkohol-und Drogenabhängigkeit, Prostitution und und und..

Da oft viele Probleme gleichzeitig vorhanden sind, müssen wir ersteinmal Schadensbegrenzung betreiben und die Existenz dieser Menschen sicherstellen, bevor die Arbeit richtig los geht.

Und das ist, entgegen der scheinbar herrschenden Auffassung bezüglich unserer Arbeit, nicht mal eben gemütlich beim Kaffee getan!

Leider muss ich feststellen, dass sich seit 2015 nicht wahnsinnig viel verändert hat. Bedauerlicherweise hätte ich meinen Redebeitrag von damals beinahe 1 zu 1 übernehmen können.

Von einer wirklichen Aufwertung und Anerkennung unserer Arbeit sind wir noch Lichtjahre entfernt!

Im Gegenteil! Wir haben schon 2015 festgestellt, dass unsere Arbeit wenig sexy für Nachwuchskräfte ist. Jetzt haben wir in den Kitas und in der Pflege massive Probleme, genügend Fachkräfte zu gewinnen.

Ebenfalls habe ich bereits 2015 versucht zu verdeutlichen, wie viele Menschen mindestens einmal im Leben mit uns Sozi Futzis zu tun haben. Sei es in der Kita, im Jugendamt, im Jugendfreizeithaus, in Beratungsstellen, im Jobcenter, im Sozialamt, in der Behindertenhilfe oder oder oder…

Wir haben massiven Einfluss auf alle Lebensbereiche und wir geben unser Bestes, um den Menschen ein Leben in unserer Gesellschaft zu ermöglichen. Wir alle machen das, weil wir einen Sinn darin sehen und wohl wissend, dass wir damit nicht reich werden.

Lippenbekenntnisse gab es damals schon, aber heute in 2022 muss ich wieder feststellen, dass auf die Arbeit mit Menschen nach wie vor geschissen wird!

Corona Pandemie hätte ich noch im Angebot.

Wie war das noch gleich für Eltern und Kinder, als Kitas, Schulen, Kinder- und Jugendfreizeithäuser usw. geschlossen waren?

Soweit ich das mitbekommen habe, war der Aufschrei enorm und das zurecht! Zu der Zeit wurde unsere Arbeit bejubelt! Scheinbar ist das aber schon wieder in Vergessenheit geraten. Und finanziell hat sich das auch nicht bemerkbar gemacht.

Familien waren derart belastet, weil nun neben der Arbeit die Betreuung der Kinder oder noch schlimmer gleichzeitig Homeschooling an der Tagesordnung standen.

Ich will gar nicht wissen, zu was diese enorme Belastung in einigen Haushalten geführt hat.

Ich habe auch 2 Kinder, die ich natürlich sehr liebe. Aber jetzt mal im Ernst! Wer hat zu diesen Zeiten nicht festgestellt, wie entlastend z.B. Kitas sind?

Ich habe Luftsprünge gemacht, als meine Kinder wieder in die Kita, auf Spielplätze oder sonst wohin durften! Auch im Bezug auf etwas Normalität für die Kinder natürlich, aber auch, weil diese Zeit super anstrengend war.

Ein Großteil der Angebote von Kinder- und Jugendhilfe waren lahmgelegt und alle Kolleg*innen waren und sind immer noch dabei, sich etwas einfallen zu lassen, damit Kontakte zu Kindern, Jugendlichen und Eltern nicht komplett abbrechen.

Ich muss euch nicht erzählen, dass wir technisch unterirdisch, hinter weltlich ausgestattet sind bzw. dass wir viele soziale Medien nicht nutzen können. Das erschwert die Arbeit enorm. Dienstbesprechungen konnten oder können nur im kleinen Rahmen digital stattfinden, was einen lebhaften Austausch sehr erschwert.

Schulsozialarbeiter beispielsweise sitzen in der Schule, können aber nicht dieselben Medien wie diese nutzen und sind somit in vielerlei Hinsicht komplett außen vor. Vermutlich ist es woanders ähnlich.

Da komme ich schon zum nächsten Punkt. Hier wird Wertschätzung besonders deutlich. Während die Lehrerlobby zum Beispiel riesig ist, weil schulische Bildung in der Gesellschaft bzw. in Politik hoch angesehen wird, ist unsere Lobby beinahe beschämend klein. Ich will den Stellenwert von Schule nicht schmälern. Das möchte ich hier klar sagen.

ABER ich möchte auf die unterschiedlichen Umgangsweisen hinweisen. Während es in Schulen für das Personal priorisiert Impfungen und PCR Testungen gab, gab es in der Kita und auch im Jugendamt Masken, die anfangs sogar noch selber zusammengebastelt werden mussten. PCR Pooltestungen gab es in Bochumer Kitas bis zuletzt nicht. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen! Arbeitsschutz und Gesundheitsfürsorge sieht echt anders aus!

Die Kolleg*innen vom SD , Pflegekinderdienst, Straßensozialarbeit oder auch aus der Kindertagespflege mussten sich ebenfalls einiges einfallen lassen. Sie betreten häufig Wohnungen von Menschen, die eine andere Auffassung von Hygiene haben. Nicht aus böser Absicht natürlich, sondern weil häufig ein Bewusstsein dafür fehlt. Ohnehin wissen diese Kolleg*innen nicht, was sie dort erwartet. Dazu begleitet sie nach wie vor die Angst, sich im Rahmen der Arbeit mit Corona zu infizieren. Alles zusätzliche Anforderungen, die durchaus belastend sein können.

Die Folgen der Pandemie werden uns noch lange begleiten! Kinder haben mich und euch sicher auch mit ihren Gedanken und Ängsten konfrontiert. Sie erzählten zum Beispiel, dass sie ihre Freunde nicht treffen durften oder dürfen, weil sie dann schuld sein, wenn Oma und Opa sterben würden. Viele Kinder haben Ängste vor Bakterien entwickelt und den sozialen Umgang mit anderen Kindern verlernt.

Kinder und Jugendliche, auch Erwachsene sind völlig in ihrem Medienkonsum versunken.

Wir haben Jugendliche, für die Peergroups wichtiger denn je sind für eine gesunde Entwicklung. Viele Kinder, Jugendliche und Erwachsene versinken in Depressionen. Alte Menschen, Menschen mit Behinderung oder auch mit psychischen Erkrankungen, aber auch Menschen, die vor Corona schon wenig soziale Kontakte hatten, benötigen Hilfe und Unterstützung, um wieder Anschluss zu finden.

Auch hier der Hinweis darauf, dass Therapeuten, die Lebensqualität der Menschen verbessern und Ärzte Leben retten. ABER auch wir tun dies, wenn auch in abgeschwächt und eher universell, aber gepaart mit anderen Anforderungen. Auch hier möchte ich die anderen Professionen nicht in Frage stellen. Ich möchte lediglich ein Bewusstsein dafür schaffen, was wir alles leisten liebe Kolleginnen und Kollegen.

Ihr merkt selber. Die Arbeit wird nicht weniger, sondern mehr!!

Was mich am meisten ärgert ist, dass sowohl Arbeitgeber als auch Politiker die Augen davor verschließen und noch immer keinen Handlungsbedarf sehen. Was ist mit eurer Fürsorgepflicht?

Scheinbar sind wir noch immer die Kaffeeschlürfenden, namenstanzenden Vollidioten in deren Augen! Ansonsten wäre unsere Arbeit endlich gleichgesetzt mit vielen anderen wichtigen Berufen oder?

Liebe Kolleginnen und Kollegen, erinnert euch mal zurück an eure Anfänge. Wie gut und wichtig war es, eine qualifizierte Anleitung zu haben, die einem fachlich etwas beibringen, aber auch eine gesunde Psychohygiene vermitteln konnte?

Aktuell sorgen wir selber für unseren Gesundheitsschutz. Anleiter erhalten bisher kein extra Zeitkontingent oder eine finanzielle Anerkennung für ihre wertvolle Arbeit.

Wir benötigen ein hohes Maß an Empathie und Einfühlungsvermögen und müssen zusehen, dass wir die zum Teil heftigen Geschichten von Klienten nicht mit nach Hause nehmen. Supervision Fehlanzeige!

Teilweise müssen wir heftige Entscheidungen treffen, um Menschen zu schützen. Das stößt nicht immer nur auf Zuspruch, wie besonders die Kolleg*innen vom SD wissen.

Genau wie schon 2015 weise ich darauf hin, dass viele neben ihrer Ausbildung ein Studium absolviert haben und dennoch unterscheidet uns nach wie vor von andren Akademikern, dass wir verhältnismäßig lächerlich bezahlt werden.

Auch wird gern übersehen, dass gerade aktuell die Lebenshaltungskosten extrem in die Höhe steigen, während unsere Gehälter quasi gleich bleiben. Das darf nicht sein! Arbeit muss sich lohnen liebe Arbeitgeber!

Und zack. Da sind wir wieder beim Thema Anreize für Fachkräfte. So eher nicht oder?

Wie zum Teufel kann es sein, dass die Arbeit mit Menschen noch immer so wenig wert ist?

Unsere Gesellschaft und unsere Politik hätte enorme Probleme, wenn wir alle dauerhaft unsere Arbeit niederlegen würden. Ich denke, den Arbeitgebern und auch der Politik ist das bewusst. Umso weniger kann ich nachvollziehen, dass noch immer kein Handlungsbedarf gesehen wird und das macht mich unfassbar wütend!

Abschließend bleibt mir nur zu sagen, dass ich mir angesichts der aktuellen Situation zeitnah ein vernünftiges, angemessenes Angebot und Ergebnis wünschen würde.

Also, liebe Arbeitgeber und Politiker, räumt uns endlich die Priorität ein, die unsere Arbeit verdient.«