Samstag 12.03.22, 18:38 Uhr
Frauenkampftag 2022 in Bochum

Redebeitrag der 4-Stunden-Liga


Liebe Freund*innen und Genoss*innen, liebe Frauen und Queers,

ich freue mich sehr, hier und heute als Vertreter*in der 4-Stunden-Liga beim Feministischen Kampftag in Bochum reden zu dürfen. Wir danken den Organisator*innen für die Möglichkeit, heute zu sprechen und freuen uns, dass so viele heute gemeinsam auf der Straße sind.

Wir als 4-Stunden Liga treten für den 4-Stunden-Tag bei vollem Lohn- und Personalausgleich ein. Dafür zahlen soll das Kapital! 

Denn Produktionsverhältnisse sind Geschlechterverhältnisse:

Im Gegenwartskapitalismus sind Frauen, Lesben, inter, nicht-binäre, trans und agender Personen (kurz FLINTA) mit einer doppelten Belastung konfrontiert: Sie übernehmen den Großteil der anfallenden Haus- und Sorgearbeit und sie sind lohnabhängig beschäftigt. Sie kaufen ein, kochen, machen sauber, waschen die Wäsche, pflegen Angehörige, bringen die Kinder zur Kita und gehen jeden Tag zur Arbeit. Während die Sorgearbeit weder Entlohnung noch gesellschaftliche Anerkennung findet, steht es auch um die berufliche Position von FLINTA schlecht. Oft arbeiten sie in Teilzeit, da es schlicht nicht möglich ist, neben der Verantwortung für Haushalt, Kinder und Familie einer Stelle im vollen Umfang nachzugehen. So nimmt statistisch gesehen mit jedem Kind die Erwerbsarbeit von cis Männern zu und die von FLINTA ab. In Teilzeit zu arbeiten heißt jedoch häufig, im Niedriglohnsektor zu arbeiten. Zudem werden Jobs in den Arbeitsbereichen, in denen FLINTA überrepräsentiert sind, zum Beispiel in der Pflege und Erziehung, schlecht bezahlt. Im Resultat aus der Verzahnung von Teilzeitstellen und Niedriglöhnen sowie der monetären Abwertung feminisierter Arbeitsmarktsektoren verdienen FLINTA im Schnitt pro Arbeitsstunde 17 Prozent weniger als cis Männer. Sofern sich Frauen in einer heterosexuellen Partnerschaft befinden, geraten sie häufig trotz eigener Erwerbstätigkeit in eine ökonomische Abhängigkeit vom besser verdienenden Partner. FLINTA werden so in die Armut, und spätestens mit der Rente in die Altersarmut gedrängt. Obwohl FLINTA also in doppelter Weise zur gesellschaftlichen Reproduktion beitragen, werden sie für die von ihnen erbrachte Arbeit keinesfalls in doppelter Weise anerkannt. Sie werden doppelt missachtet.

Diese patriarchale Konstellation ist eng an kapitalistische Grundprinzipien gekoppelt. Im Kapitalismus wird das Leben ökonomisch vom Zweck zum Mittel degradiert und den Imperativen von Zeit und Profit unterworfen. Nicht das Leben der Menschen steht im Vordergrund, sondern die gewinnbringende Produktion. Was keinen ökonomischen Wert hat, erfährt auch keine gesellschaftliche Anerkennung. Damit wird auch die Tätigkeit der Erhaltung des Lebens – Reproduktions- und Carearbeit – an den Rand gedrängt. Die Zumutungen dieses menschenfeindlichen Systems werden aufgrund der patriarchalen Tradierung von Rollenmustern und den hochgradig asymmetrischen Machtrelationen zwischen den Geschlechtern in besonderer Weise von FLINTA getragen. 

Anstatt aber offensiv, progressiv und solidarisch auf die ökonomischen Angriffe von Staat und Kapital auf unsere Leben zu reagieren und für eine tatsächliche Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern auf allen Ebenen einzutreten, sind weite Teile der Gesellschaft geistig in der patriarchalen Arbeitsgesellschaft des Fordismus gefangen. Die auf Arbeit gründenden Identitäten wurden nicht abgelegt, werden aber durch die Realität ökonomischer Unsicherheiten permanent untergraben. Die daraus erwachsende Verunsicherung hegemonialer Männlichkeit äußert sich zum einen in direkter frauenfeindlicher Gewalt, zum anderen in antifeministischen und rechtspopulistischen Bewegungen und Parteien der Gegenwart. Diese wünschen sich eine Welt zurück, in welcher der gute alte nationale Wohlfahrtsstaat dem Arbeiter das Recht gab, sein ganzes Leben von nur einem Unternehmen verschleißen zu lassen, während die Ehefrau ihr Leben unter die Hausarbeit und das Diktat ihres Mannes stellte.

In diese Vergangenheit will uns die erstarkte Rechte zurückschicken. Aber wir sagen ganz deutlich: Wir wollen diese Vergangenheit nicht! Es ist kein Zufall, dass das Gesicht der Proteste gegen diese autoritären Entwicklungen weltweit, von Argentinien, über Polen bis Indien, weiblich und queer ist. Wir wollen diese Vergangenheit nicht! Wir wollen Zeit für ein gutes, geschlechtergerechtes und solidarisches Leben für alle!

Gegen die sexistische Aufspaltung von Produktions- und Reproduktionssphäre bzw. bezahlter Lohnarbeit und unbezahlter Carearbeit fordert die 4-Stunden-Liga eine radikale Verkürzung der Lohnarbeitszeit. Alle sollen nur vier Stunden am Tag arbeiten müssen, bei vollem Lohn- und Personalausgleich. Durch den vollen Lohnausgleich entgehen Teilzeitbeschäftigte dem hohen Armutsrisiko, von dem aktuell vor allem FLINTA bedroht sind. Durch die zusätzliche Nachfrage nach Arbeitskräften stärkt der volle Personalausgleich die Beschäftigten in ihren Arbeitskämpfen, die zunehmend von FLINTA geführt werden, und die zusätzliche Lebenszeit erlaubt eine geschlechtergerechte Umverteilung unbezahlter Reproduktionstätigkeiten und schafft uns Freiräume, um für unsere politischen Utopien zu kämpfen.

Radikale Arbeitszeitverkürzung zielt auf die Umwälzung der patriarchalen Erwerbs- und Verteilungsstruktur der alten Arbeitsgesellschaft und damit verbundener Identitäten. Sie ist unsere offensive Antwort auf die Zumutungen der Flexibilisierung und Prekarisierung des Lebens, von denen FLINTA in besonderer Weise betroffen sind. Dabei handelt es sich – ebenso wie bei der Überwindung der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern – um ein gesamtgesellschaftliches Projekt.

Unsere Utopie ist ein gutes Leben im Hier und Jetzt für Alle. Dazu ist es nötig, dass wir uns von den Ketten des patriarchalen Kapitalismus befreien, solidarisch für unsere Rechte einstehen und gemeinsam für eine Verbesserung unserer Arbeits- und Lebensbedingungen eintreten. Eine radikale Arbeitszeitverkürzung sabotiert nicht nur die sexistische Produktions- und Konkurrenzlogik, sondern auch den kapitalistischen Wachstumsimperativ und die damit einhergehende Ausbeutung von Mensch, Tier und Natur. Die Kämpfe feministischer und ökologischer Bewegungen, marginalisierter Gruppen wie Menschen mit Behinderungen, Migrant*innen und rassifizierte Personen und nicht zuletzt die Kämpfe der internationalen Arbeiter*innenklasse verbinden sich intersektional in der Forderung nach einer radikalen Arbeitszeitverkürzung. Lasst uns gemeinsam für unsere Utopien einstehen und unsere Kämpfe für eine bessere Welt verbinden!

Es lebe der 8. März. Es lebe der internationale Feministische Kampftag! Vielen Dank!