Sonntag 20.02.22, 15:11 Uhr
Dokumentation der Demonstration "Hanau wird nicht vergessen – Gedenken heißt kämpfen!" am 19. 2. 2022 in Bochum

Rede der F:antifa – feminist struggle Bochum


Antifeminismus – Scharnierfunktion zwischen Rechtsextremismus und „bürgerlicher Mitte“ 

Erneut stehen wir hier, um den Opfern des rassistischen Terroranschlags in Hanau vor 2 Jahren zu gedenken. Den Opfern und ihren Familien und Freund*innen gilt unsere Anteilnahme und unsere Solidarität. Wir stehen heute  auch hier, um gegen Rassismus und andere Formen von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ein Zeichen zu setzen.  Wir wollen hier auf die Rolle von antifeministischen Ideologien als Scharnierfunktion zwischen Rechtsextremismus und der sogenannten Mitte der Gesellschaft eingehen, deshalb eine Triggerwarnung: In dem folgenden Text wird tödliche Gewalt gegen Menschen thematisiert. Bewusst wollen wir hier auf Namensnennung der Täter verzichten.

Bereits vor den Mordtaten veröffentlichte der Mörder von Hanau ein 24-seitiges Pamphlet, in dem er neben  Verschwörungserzählungen und wirren weltpolitischen „Analysen“ von der kompletten Vernichtung ganzer Völker schwadronierte. Das Pamphlet offenbarte eine krude Mischung aus Rassismus, Antisemitismus und Frauenhass. Eine Mischung, die bereits bei anderen rechtsterroristischen Anschlägen wie kurz zuvor in Halle, aber auch international, wie z.B. in Utøya, in Christchurch oder in Toronto als ideologischer Hintergrund klar zu erkennen war und sich wie ein roter Faden durch die Bekenntnisse der Mörder zog.

Wir möchten heute vor allem auf das Motiv des Frauenhasses eingehen: Antifeminismus ist eine zentrale Ideologie im Rechtspopulismus und Rechtsextremismus, wird aber häufig weniger stark als menschenfeindlich erkannt und gewertet. Feminist*innen werden lächerlich gemacht, in den sozialen Netzwerken mit Hass, Mord- und Gewaltandrohungen überhäuft. Die Agitation gegen sexuelle Vielfalt und die Gleichwertigkeit aller Geschlechter ist auch in der sogenannten Mitte der Gesellschaft anschlussfähig. Sexismus, Misogynie und Antifeminismus beruhen auf einer Ideologie der Ungleichwertigkeit, die sich durch die komplette Gesellschaft zieht und als Bindeglied zwischen verschiedenen politischen Strömungen, Akteur*innen und Netzwerken dient.

Antifeminismus erscheint auf den ersten Blick nicht so radikal wie Rassismus oder Nationalismus, oder anders gesagt, man kann mit antifeministischen Positionen Ressentiments gegen Antidiskriminierung und Menschenrechte entfachen, ohne plumpe Parolen zu brüllen. Oft wird Antifeminismus sogar gestützt auf vermeintliche biologische Erkenntnisse (die dem heutigen Stand der Wissenschaft jedoch nciht entsprechen) und vom neoliberalen Paradigma der Eigenverantwortlichkeit noch befeuert, indem strukturelle Diskriminierung zum individuellen Versagen umgedeutet wird.
Auch das Narrativ, dass der Feminismus die Existenz der „weissen“ Bevölkerung bedrohe und eine zentrale Ursache des sogenannten „großen Austausches“ sei, findet von der AfD, bis in weite Teile der Gesellschaft Zuspruch.

Antifeminismus ist jedoch genauso wenig eine „Meinung“ wie Rassismus oder Antisemitismus, sondern eine  menschenverachtende und potentiell tödliche Ideologie, wie uns die bereits benannten Attentate und auch die Morde in Hanau zeigen.

* So wurden beispielsweise beim Amoklauf von Isla Vista im Jahr 2014 8 Menschen getötet und 14 weitere verletzt, der Täter bezeichnete sich selbst als „Alpha-Mann“ und wähnte sich im „Krieg gegen Frauen“.

* Der Attentäter von Halle hörte während seiner Mordtaten einen Song, der sich auf menschenverachtende Weise auf ein antifeministisches  Attentat in Toronto, bei dem ein bekennender Antifeminist gezielt FLINTA mit seinem Van überfuhr und hierbei 11 Menschen ermordete und 15 weitere z.T. schwer verletzte, bezog. In einem vor der Tat aufgenommenem Video wetterte er, „der Feminismus ist an der sinkenden Geburtenrate im Westen schuld, die die Ursache für die Massenmigration ist“ und die Wurzel der Probleme sei – na klar- „der Jude“.

* Auch  das Manifest des rassistischen Massenmörder von Norwegen war voll von Hass gegen FLINTA und dem Feminismus, er war der Überzeugung, die „Feminisierung der europäischen Kultur“ durch den radikalen Feminismus mache die „gezielte Ermordung von Frauen“ konsequent notwendig.

Der Mörder von Hanau reiht sich ideologisch in die Serie antifeministischen Rechtsterrorismus ein. So sei  der „Feminismus“ schuld an  seiner ungewollten Sexlosigkeit und an der sinkenden Geburtenrate in Deutschland und somit dem drohenden Untergang der von ihm als Deutsch angesehen, weißen Bevölkerung.

Diese wirre Mixtur aus Rassismus, Antisemitismus und Antifeminismus ist eine tödliche Mischung. Und obwohl der Antifeminismus mit Erstarken von rechten und rechtspopulistischen Positionen weiter gesellschaftsfähig  wird und als Scharnier zwischen Konservativismus und Rechtsextremismus dient, findet die Aufarbeitung der antifeministischen Ideologie bei Hassverbrechen wenig Beachtung. Dabei wäre dies doch so wichtig.

JA, manch eine oder einer wird sich erinnern, dass wir dies bereits im letzten Jahr angeprangert haben, und wir werden es weiter tun, bis es in die Köpfe der Menschen eingesickert ist, dass auch die Aufarbeitung und Bekämpfung der antifeministischen Ideologien notwendig ist und letztlich Menschenleben retten kann.

Der Rassist und Antifeminist von Hanau kam in der Nacht des 19.Februar 2020, um zu töten!
Er tötete in kurzer Zeit 9 Menschen und anschließend seine pflegebedürftige Mutter.
9 junge Menschen, die geliebt wurden und die von ihren Familien und Freund*innen schmerzhaft vermisst werden und um die wir trauern. Wir trauern um

Gökhan Gültekin,
Sedat Gürbüz,
Said Nesar Hashemi,
Mercedes Kierpacz,
Hamza Kurtović,
Vili Viorel Păun,
Fatih Saraçoğlu,
Ferhat Unvar,
Kaloyan Velkov

Wir stehen für eine Welt ohne Hassverbrechen, ohne Rassismus, Antisemitismus und ohne Antifeminismus. Ein Feminismus, der für alle Menschen kämpft, muss antirassistisch sein!